Wer einen schweren Unfall hatte, kommt sich schnell verloren und allein gelassen vor. Die Verzweiflung über die eigene Lage wird umso schlimmer, wenn sich irgendwann noch die Krankenkasse quer legt. Denn dann fehlt schnell das Geld für eine weitere Behandlung, die Aussicht auf Besserung verspricht.
Einige extreme Fälle, in denen Krankenkassen Geld für Patienten verweigerten, hat im Januar ein Film des Südwestfunk beschrieben. Die Beispiele zeigen: Der Spardruck führt nicht nur bei privaten Versicherern, sondern auch im gesetzlichen System dazu, dass immer häufiger wichtige Leistungen auf zweifelhafte Weise abgelehnt werden.
Beispiel Schlaganfall. Eine Frau blieb danach halbseitig gelähmt. Zuerst zahlt ihre Krankenkasse die Reha, dann jedoch nicht mehr. Sie sei "austherapiert", noch mehr würde sich nicht mehr lohnen.
Beispiel Bandscheiben-Probleme. Ein Kraftfahrer bezog wegen chronischer Beschwerden Krankengeld. Dann jedoch strich ihm die Kasse die Zahlungen - wegen eines Formfehlers.
Beispiel Verordnungen des Arztes. Krankenkassen stellen diese infrage und zahlen nicht, obwohl der Arzt ein Medikament oder eine Therapie verschrieben hat.
Für Anwälte und Patientenschützer sind das keine Einzelfälle. Der Präsident der Patientenschutzorganisation DGVP, Wolfram-Arnim Candidus, kritisiert, die Versicherten würden von den Ihnen zustehenden Leistungen in Kranken- und Pflegeversicherung offensichtlich immer stärker und willkürlich ausgeschlossen. Das erfolge selten transparent und nachvollziehbar. „Wir müssen von verdeckter Rationierung sprechen.“
Fallpauschalen statt tatsächlichem Bedarf
Patientenschützer kritisieren das ökonomische Denken im Gesundheitswesen. So seien bei Krankenhausaufenthalten Fallpauschalen für die Abrechnung das entscheidende Kriterium – und nicht ob noch Behandlungs- und Betreuungsbedarf besteht. So mancher Krankenhaltaufenthalt ist daher unerwartet kurz, mitunter auch, weil die Krankenkasse auf die Klinikärzte und Klinikleitungen Druck ausübt. Die Klinik, die zu Gunsten des Patienten entscheide und weiter behandele, werde anschließend kritisiert, stellt Patientenschützer Candidus fest. Gegebenenfalls werde die Zahlung für die erbrachten Leistungen gekürzt oder verweigert. Das wollen sich nur wenige leisten.
Wie hoch die Ablehnungsquoten der Krankenkassen sind, ist nicht bekannt. Dass es sich jedoch um keine Einzelfälle handelt, zeigt folgender Hinweis der Zeitschrift Finanztest. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) hätten im Jahr 2009 rund 77.000 Widersprüche in der Kranken- und Pflegeversicherung bearbeitet. Das seien drei Widersprüche auf 1.000 Versicherte. In 40 Prozent aller Fälle habe die Kasse eingelenkt, ohne dass der Versicherte vor ein Gericht ziehen musste.
Der Trick mit der Krankschreibungslücke
Gelegentlich stellen sich die Kassen richtig stur. Auch vor Tricks scheuen sie dabei nicht zurück, wie der Südwestfunk in seiner Reportage aufdeckte. Die Reporter belegten das anhand eines Kraftfahrers, der in eine sogenannte Krankschreibungslücke gefallen ist.
Es handelt sich dabei letztlich um eine juristische Spitzfindigkeit, die so funktioniert. Nehmen wir einen Taxifahrer, der wegen Schulter- und Alkoholproblemen sowie Depressionen behandelt wurde und dann als arbeitsfähig aus der Klinik entlassen wurde. Am nächsten Tag schreibt der Hausarzt ihn wegen der Schulter wieder krank.
Die Krankenkasse wollte dennoch kein Geld mehr zahlen - schließlich sei der Mann für ein paar Stunden offiziell arbeitsfähig gewesen, so ihre Begründung. Das Unglaubliche an dieser Vorgehensweise sei, so der Südwestfunk: Der Spitzenverband der Krankenkassen habe seinen Mitgliedern leicht nachvollziehbar erklärt, wie sie Patienten mit juristischen Spitzfindigkeiten in eine "Krankschreibungslücke" locken können, um nicht zahlen zu müssen.
Wer den Termin verpasst, riskiert Krankentagegeld
Der Taxifahrer hatte Glück. Das Gericht gab ihm recht, wie das Onlineportal www.gratisrecht.de berichtet. Er sei nicht schuld an der „Krankschreibungslücke" - die Psychiatrie habe seine Schulterprobleme nicht im Blick gehabt (LSG Baden-Württenberg Az: L 11 KR 472/11). Der Südwestfunk berichtet dagegen von einem anderen Kraftfahrer, der noch immer gegen den Bescheid der Krankenkasse kämpft.
Das Problem: Wenn jemand Krankentagegeld bezieht, muss er die Krankschreibung zu einem bestimmten Zeitpunkt verlängern lassen. Die Fälle zeigen: Versicherte sollten vorsichtshalber schon vor Ablauf der alten Krankschreibung zum Arzt gehen. Ob das für einen kranken Kassenkunden zu schaffen ist, steht dabei auf einem anderen Blatt.
Verpasst man als Patient hingegen den besten Zeitpunkt und lässt sich erst an dem Tag wieder krankschreiben, an dem man eigentlich wieder arbeiten sollte, können die Krankenkassen eine „theoretische“ Lücke feststellen. Und man riskiert das Krankentagegeld.
Der Kasse widersprechen
Über das spitzfindige Vorgehen mancher Krankenkasse können sich Versicherte und Anwälte nur wundern: Wann sonst – als nach Ablauf der alten Krankschreibung – soll er diese denn vom Arzt verlängern lassen, fragen sich die Betroffenen und ihre Helfer. Kritiker sprechen hier auch von einem „Kassenspielertrick“. Die Krankenkassen selbst äußerten sich nicht zu dem Thema. "betrifft"-Autor Wolfgang Luck vom Südwestfunk gelang es trotz vieler Versuche nicht, deren Vertreter vor die Kamera zu bringen. Die Verantwortlichen hätten monatelang aus Termingründen jedes Interview verweigert.
Vierwöchige Widerspruchsfrist
Anwälte und Verbraucherschützer raten, gegen diese Praxis Widerspruch einzulegen und im Zweifelsfall vor Gericht zu gehen. Lehnt die Krankenkasse eine Leistung ab, bleiben dem Versicherten vier Wochen Zeit für den Widerspruch, so die Zeitschrift Finanztest. Im Ablehnungsbescheid müsse die Kasse den Versicherten auf sein Recht zum Widerspruch hinweisen. Sonst verlängere sich die vierwöchige Frist auf ein ganzes Jahr.
Zunehmend kritischer betrachten Verbraucher- und Patientenschützer dabei den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dieser prüft häufig die Entscheidung der Kasse. Dieses Gutachten kann der Patient auch jederzeit einfordern. Liegt bei einer Ablehnung oder Zahlungsverweigerung keine Begründung der Kasse vor, sollte der Kunde auf jeden Fall eine verlangen. Im schriftlichen Widerspruch muss er schließlich die Argumentation der Kasse nachvollziehbar widerlegen.
MDK ist nur noch Leistungskontrolleur
Der Medizinische Dienst stehe auf der Gehaltsliste der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), er erhalte von dort seine Aufträge und prüfe mit nicht unerheblichen Kosten die ärztlichen Verordnungen, zieht Patientenschützer Candidus eine wichtige Basis der Krankenkassen in Frage. Da die GKV haushalten müsse und wolle, könne die Zielvorgabe, Leistungen durch die Kranken- oder Pflegekasse nicht zu gewähren, wohl nicht abgestritten werden.
Ursprünglich war der Medizinische Dienst dafür gedacht, eine hohe Versorgungsqualität für Patienten zu sichern. Mittlerweile fungiere er jedoch meist nur noch als Kontrolleur von Leistungen und Kosten, kritisiert Candidus: „Wenn Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes dann auch nicht nur in die Verordnung des Arztes eingreifen, sondern auch die Pflege und das Patientenverhalten selbst kontrollieren, geht das entschieden zu weit.“
Im Zweifel vor Gericht gehen
Auseinandersetzungen mit einer Krankenkasse kosten Kraft, und sie erfordern Wissen. Verbraucherschützer empfehlen daher, einen Arzt oder einen Patientenberater um Rat zu fragen, wenn man gegen eine Ablehnung der Krankenkasse Widerspruch einlegen wolle. Wenn viel auf dem Spiel stehe, könne der Versicherte auch einen Fachanwalt für Sozialrecht aufsuchen oder ein medizinisches Gutachten in Auftrag geben. Die Kosten dafür trage er jedoch zunächst selbst.
Untätigkeitsklagen sind kostenlos
Kein Problem ist es übrigens, wenn man länger als vier Wochen braucht, um seinen Widerspruch zu begründen. Dann widerspricht man erst einmal allgemein und liefert die Gründe nach. Wenn die Sachbearbeiter der Kasse bei ihrem Nein bleiben, prüft ein Widerspruchsausschuss die Entscheidung. Hier sitzen auch Gewerkschafter oder Patientenvertreter.
Das hört sich zwar gut an, ist es aber nicht immer. Immerhin zahlen Versicherte für dieses Verfahren keine Gerichtskosten. Alternativ bestehe auch die Möglichkeit, Beschwerde beim Bundesversicherungsamt, der Aufsichtsbehörde der Krankenkassen, zu erheben.
Nach spätestens drei Monaten müsse die Krankenkasse das Ergebnis im „Widerspruchsbescheid“ mitteilen, erläutert Finanztest. Verschlafe die Kasse die Frist, könne der Versicherte kostenlos eine Untätigkeitsklage bei einem Sozialgericht einreichen. Oft reiche es aber schon, wenn man damit nur droht. Wenn dies keinen Erfolg hat, sollte man einen Anwalt einschalten, empfehlen Juristen.
Klage gegen Kasse nicht ohne Rechtsschutzversicherung
Für eine Klage vor einem Sozialgericht hat der Versicherte vier Wochen Zeit, wenn er eine Ablehnung erhalten hat. Das Verfahren ist zwar kostenlos, doch Verbraucherschützer raten: Ohne einen Fachanwalt für Sozialrecht wird es schwierig. Denn vor Gericht benötigt man neue Argumente. Der Nachteil von Prozessen: Als Verlierer bleiben Versicherte auf den Anwaltskosten sitzen. Sinnvoll wäre es daher, eine Rechtsschutzversicherung zu haben, die die Anwaltskosten trägt. Der Hamburger Rechtsanwalt David Andreas Köper rät: „Wichtig ist immer: Anträge stellen und gegen Ablehnungen Widersprüche erheben." Denn Anträge und Widersprüche seien im Sozialrecht kostenlos und könnten nicht von Nachteil sein - das Unterlassen von Anträgen oder Widersprüchen leider sehr wohl.