
Man nehme einmal an, der Markt für Lebenspolicen in Deutschland würde so funktionieren, wie es sich der Versicherungsrechtler Hans-Peter Schwintowski erst neulich in einem Interview gegenüber Handelsblatt Online ausgemalt hat: Kunden, die kurzfristig an das Ersparte heran müssen, wäre es verboten, ihre Policen zu kündigen. Sie hätten stattdessen das Recht, die Police an einen Zweitmarktanbieter zu verkaufen.
Für Schwintowski könnten in einer solchen Welt alle profitieren: „Die Kunden kämen raus, die Policen würden aber weiter bis zum Ende laufen. Das würde die Renditen deutlich erhöhen, weil sich Versicherer den langfristigen Anlagehorizont bewahren.“ Bestandskunden stünden also am Ende besser da, aber auch die Kündiger. Sie bekämen für ihre laufende Police vom Zweitmarktanbieter mehr ausbezahlt als vom Versicherer.
Schwintowskis Gedankenspiel hat die zuletzt eingeschlafene Diskussion um den Zweitmarkt für Lebensversicherungen in Deutschland wieder entfacht – zumindest für die Zweitmarktanbieter selbst. Der Verband BVZL, in dem 13 Anbieter organisiert sind, nutzte die Aussagen des Versicherungsrechtlers, um einmal mehr für das eigene Business zu werben – den Aufkauf von bereits laufenden Policen.
Versicherungs-Chinesisch: Wie Sie Ihren Bescheid richtig lesen
Sie zeigt zum Stichtag (zum Beispiel "Stand 01.06."), was gezahlt wird, wenn der Versicherte bis Vertragsende durchhält, wenn er vorzeitig kündigt oder falls er stirbt.
Ergebnis aus den mit dem Garantiezins verzinsten Beiträgen. Angelegt und verzinst wird nur der Sparanteil der Beiträge. Der bleibt übrig, nachdem Vertriebs- und Verwaltungskosten abgezogen wurden. Bei guten Versicherern werden 80 Prozent der Einzahlungen als Sparanteil angelegt und verzinst, bei teuren nur 60. Was garantiert ist, hat der Kunde sicher, wenn er den Vertrag bis zur Fälligkeit behält.
Erwirtschaften Versicherer mit Kapitalanlagen mehr als den Garantiezins, gibt es für den Kunden noch etwas oben drauf. Von den Zinsüberschüssen müssen sie mindestens 90 Prozent an die Kunden auszahlen. Im Bescheid steht der Betrag als garantierte Leistung aus Überschussbeteiligung. Von Gewinnen, die darüber hinaus entstehen, wenn der Versicherer etwa die Verträge günstiger führt als zuvor berechnet, fließen maximal 75 Prozent in die Überschussbeteiligung. Aus Überschüssen, die den Kunden zustehen, speisen sie auch die Zinszusatzreserve. Die Branche bunkert dort aktuell 13,3 Milliarden Euro. Jetzt ausgezahlte Verträge profitieren davon nicht. Wenn weitere Überschüsse bleiben, dürfen die Versicherer ihr Grundkapital mit mindestens vier Prozent verzinsen. Das passiert derzeit selten.
Garantiert dem Kunden gutgeschrieben wird ein Teil der jährlichen Überschüsse, den Rest hält der Versicherer bis Vertragsende in der Kasse. Diese Leistung wird oft auch Schlussgewinn genannt. Dessen Höhe ist nicht gesetzlich geregelt. Verträge mit hohem Garantiezins haben oft magere Schlussgewinne, die bei Kündigung wegfallen können.
Die Summe bekommen Kunden, die kündigen, zum angegebenen Stichtag. Der genannte Betrag im Bescheid ist garantiert, der Rest sind unverbindliche Beteiligungen an Überschüssen.
Sie entstehen durch Kursgewinne auf die vom Versicherer gehaltenen Wertpapiere. In einem Beispielfall stellte die Versicherung sieben Monate vor Wirksamwerden der Vertragskündigung noch eine Schlusszahlung aus Bewertungsreserven in Höhe von 6629 Euro in Aussicht. Mit der Kündigung zum 1. Januar 2014 schrumpfte der Betrag auf 4896 Euro. Ob das in Ordnung geht, kann nur die Aufsicht BaFin nachrechnen. Tipp: Wenn Sie Ihren Versicherer nach dem "Sockelbetrag" und dem "volatilen Anteil an den Bewertungsreserven" fragen, kann er sie nicht mit pauschal zu niedrigen Werten abspeisen.
Eine gesetzliche Hinweispflicht müsse es geben, forderte der Verband im Zusammenhang mit der Lebensversicherungsreform. Verbraucher, Versicherer – alle könnten davon profitieren. Doch einmal mehr blieben die Forderungen ungehört. Seit Jahren schaffen es die Anbieter nicht, ihr Ankaufvolumen zu steigern. Der Markt stagniert. Mit Policen im Wert von rund 200 Millionen Euro erwerben sie nur einen Bruchteil, rund 1,4 Prozent, des jährlichen Stornovolumens.
Warum tut sich der Zweitmarkt hierzulande so schwer? Liegt es nur daran, dass, wie die Anbieter behaupten, nur jeder Zehnte Lebensversicherte überhaupt weiß, dass sie ihre Police auch verkaufen können? Versicherungsexperten und Verbraucherschützer bezweifeln das. Für sie ist das Hauptproblem, dass Kunden ihre Policen meistens gar nicht verkauft bekommen. „Der Zugang zum Zweitmarkt steht nur den wenigsten Verbrauchern offen“, sagt Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten. Der Grund: Nur die wenigsten Policen sind für die Zweitmarktanbieter attraktiv genug.
In der Tat: Für die Anbieter lohnen in der Regel nur solche Verträge, die einen hohen Rückkaufswert haben – also solche, die der Kunde zeitlebens gut bespart hat und die schon eine ganze Weile laufen. „Je kürzer der Vertrag läuft, desto schneller kommen die Zweitmarktanbieter aus dem Vertrag heraus und können die Ablaufleistung kassieren.“, erklärt Kleinlein. „Bei langen Restlaufzeiten riskiert der Anbieter dagegen, dass die Versicherer ihre jährlichen Zinsgutschriften zurückfahren – und am Ende weniger Ablaufleistung übrig bleibt.“
Auch Zweitmarktanbieter selbst leugnen das betriebswirtschaftliche Kalkül nicht. „Das Investitionsfenster für Zweitmarktinvestoren beginnt erst, wenn die Abschlusskosten des Vertrags getilgt sind“, heißt es etwa vom Marktführer Policen Direkt. „Erst dann übersteigt der Rückkaufswert die kumulierten Prämien“. Zu Deutsch: Erst zu diesem Zeitpunkt ist der Vertrag mehr wert als hereingesteckt wurde. Erfahrungsgemäß sei dies laut Policen Direkt ab einem Rückkaufswert von 10.000 Euro der Fall. Das ist der Grund, warum der Anbieter in der Regel nur solche Verträge ankauft.