Mehr Beitrag für gesetzlich Versicherte? Die linke Nummer mit der Krankenkasse

Quelle: imago images

Sozialpolitiker diskutieren über eine Anhebung der Bemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung. Schädliche Nebeneffekte blenden sie aus. Dahinter könnte eine perfide Strategie stecken. Ein Kommentar.

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Es ist womöglich nur ein perfides politisches Spiel – aber ein äußerst riskantes. Angesichts von absehbaren Milliardenlöchern in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist eine Debatte über eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze entbrannt. Versicherte müssten so auf noch deutlich höhere Einkommen Kassenbeiträge zahlen als bisher. Es sei sinnvoll, über eine deutliche Anhebung zu diskutieren, sagte SPD-Politikerin Dagmar Schmidt dem „Handelsblatt“. Sie ist immerhin stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion.

Ganz neu ist die Forderung nicht. Auch die Grünen befürworten einen solchen Schritt, die Linkspartei sowieso. Den Politikern schwebt vor, die Bemessungsgrenze der Krankenversicherung von derzeit 4987,50 Euro im Monat auf maximal 7300 Euro anzuheben. Dieser Wert gilt heute schon in der gesetzlichen Rentenversicherung in den alten Bundesländern. Gutverdiener würde das schnell 220 Euro mehr kosten, jeden Monat, nur als Arbeitnehmeranteil!

Der Schritt mag auf Sozialpolitiker verlockend wirken: So kommen Milliarden zusätzlich zusammen. Dafür aufkommen müssten nur Besserverdiener und deren Arbeitgeber. Und doch sind allein die Gedankenspiele riskant. Denn sie blenden die schädlichen Nebeneffekte aus. Arbeitgeber müssten eine massive Erhöhung der Lohnnebenkosten hinnehmen – schließlich müssten sie bei Angestellten die Hälfte der Erhöhung tragen. Fachkräfte müssten bei Lohnerhöhungen einen noch höheren Anteil an Staat und Sozialkassen abführen, was nicht nur leistungsfeindlich, sondern angesichts des grassierenden Fachkräftemangels auch extrem schädlich für die Wirtschaft sein könnte. Schon die mit dem Einkommen steigenden Steuersätze lassen die Abgabequote schnell steigen.

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Die von den Sozialpolitikern gezogene Parallele zur höheren Bemessungsgrenze in der Rentenversicherung führt ohnehin in die Irre. Beide Systeme lassen sich nicht vergleichen. So erwerben Beitragszahler in der Rentenversicherung höhere Ansprüche, je mehr sie einzahlen. Wer gut verdient, zahlt zwar mehr, sichert sich so aber auch eine höhere Rente. In der Kranken- und Pflegeversicherung hingegen entscheidet die Bemessungsgrenze nur über die maximale Beitragshöhe, hat jedoch keine Relevanz für die individuellen Leistungen.

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So bleibt als Rechtfertigung für eine höhere Bemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung eigentlich nur der Solidargedanke. In einem gemeinschaftlichen System sollten sich alle an der Finanzierung beteiligen, gemäß ihrer Leistungskraft. Das könnte grundsätzlich sogar gegen jegliche Bemessungsgrenze sprechen. Allerdings würden Gutverdiener dann einen starken Anreiz bekommen, aus dem System auszusteigen. Schon bei der aktuellen Bemessungsgrenze zahlen sie insgesamt, als Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil, weit über 900 Euro monatlich ein – mehr, als zum Beispiel die meisten Privatkrankenversicherten zahlen.

Um diese Fluchtoption zur PKV zu versperren, müsste daher gleich auch die Versicherungspflichtgrenze angehoben werden. Der Weg in die PKV bliebe dann nur noch für absolute Spitzenverdiener geöffnet. Die PKV bekäme allerdings aufgrund ausbleibender neuer Mitglieder massive Probleme, würde zunehmend vergreisen, für sie eine existenzielle Gefahr.

Womöglich ist das gar der Hintergedanke der jetzigen Vorstöße: Mit der Drohung, die duale Krankenversicherung aus GKV und PKV durch die Hintertür abzuschaffen, wollen linke Sozialpolitiker Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dazu bringen, doch mit Steuergeldern die Lücken im Gesundheitssystem zu stopfen. Dass sie damit viele Fachkräfte verunsichern dürften, nehmen sie schlicht hin. Eine linke Nummer!

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