Pflege Der Lebensabend wird teurer als gedacht

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Akademiker pflegen selten

„Pflegenoten leisten nach heutigem Wissen sehr wohl einen Beitrag zur ersten Differenzierung und Qualitätsbeurteilung. Doch die Anbieter verschenken die Chance damit für sich zu werben“, sagt Karin Siebels, Expertin für Pflegeimmobilien bei der HSH Real Estate. „Doch da liegt der Wettbewerbsvorteil: Transparenz schaffen, mit Qualität überzeugen und sich so von der Konkurrenz positiv unterscheiden.“

In Anbetracht magerer Renditen im Kerngeschäft suchen die Manager der Pflegewirtschaft Neuland. Denn auch das von den Konzernen oft mitbetriebene Geschäft mit Reha-Kliniken zur Wiederherstellung Kranker nach einem Klinikaufenthalt liegt darnieder in Zeiten des Spardiktats bei den Krankenkassen.

Ein aussichtsreiches Feld bieten Anlagen für betreutes Wohnen. Die Kundschaft verlangt danach, weil viele im Alter zwar unterstützt werden, aber unabhängig bleiben wollen. Für Investoren ist der Markt lukrativer und risikoärmer als der für Pflegeimmobilien. Die Mieten für solche Wohnungen liegen schon jetzt am oberen Rand des ortsüblichen Mietspiegels, Serviceleistungen gehen extra. Die Nachfrage steigt in Anbetracht der zunehmenden Alterung. Keine staatlichen Auflagen wie bei einem Pflegeheim – zum Beispiel Stellenschlüssel und Dokumentationswahn – verderben die Rendite.

Concierge-Service wie im Hotel

Zudem gelten solche Senioren als gern gesehene Mieter: Sie zahlen zuverlässig und lärmen nicht. Die privaten Anbieter haben das früher erkannt als die Wohlfahrtsverbände: Kursana, Curanum, Marseille-Kliniken – alle bauen das Geschäft mit der zahlungsfähigen Klientel und dem überschaubaren Risiko aus.

Man kaufe in Städten mit vielen Senioren innenstadtnah günstige Immobilien, die aus vielen kleinen Wohnungen bestehen. Man vergrößere das Bad und mache es barrierefrei, verkleinere die Küche, ergänze das Erdgeschoss der Wohnanlage um Restaurant, Physiotherapie, Fußpflege und eine 24 Stunden besetzte Zentrale für alle Fälle. Dazu bietet die eigene Tochterfirma Servicedienste – und vorausschauende Senioren stürmen die Wartelisten.

Hochpreis-Anbieter wie Augustinum oder die auch in Deutschland aktive US-Kette Sunrise bieten das Gleiche in der Edelvariante: elegante Immobilien mit Ein- und Zwei-Zimmer-Apartments von 35 bis 80 Quadratmetern, dazu ein Concierge-Service wie im Hotel und – besonders wichtig – gute Küche. Die Qualität des Essens sei tägliches Gesprächsthema im Haus, warnt ein Münchner Betreiber.

Teure Heimplätze sind oft nicht nötig

Was bei Augustinum funktioniert, ist auch ein aussichtsreiches Geschäftsmodell für bestehende Wohnungen. „Die Zukunft liegt im seniorengerechten Wohnen zu Hause“, sagt Bernhard Heiming vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Aus einer Hand bekommt die Kundschaft dabei den barrierefreien Umbau ihrer Wohnung – sowohl für Miet- als auch für Eigentumswohnungen – und oft auch Serviceleistungen wie Essen, Reinigung oder ein Hausnotruf-System. Manche Anbieter arbeiten zwecks Komplettpaket mit ambulanten Pflegediensten zusammen.

Bisher sind nur fünf Prozent der Haushalte mit Bewohnern, die älter als 65 Jahre sind, barrierefrei, so das Bundesbauministerium. Mit 800 000 umbaubedürftigen Wohnungen rechnet Heimings Verband. „Dieses Modell wird das einzige sein, was alte Menschen auch ohne großes Vermögen bezahlen können“, sagt Heiming. Bei solchen Hilfsangeboten für den Alltag seien teure Heimplätze oft nicht nötig. „Wir werden einen Run erleben“, prophezeit er. Denn ein Umzug auf die alten Tage belastet viele Ältere; die Vorstellung, die gebrechliche Mutter oder den verwirrten Vater zu sich zu holen, viele Jüngere.

Für den Run werden schon die Akademiker-Eltern und -Kinder sorgen. Denn mit dem Generationenvertrag wird es vor allem bei ihnen nichts. Die von den Soziologen als „liberal-bürgerlich“ oder „konservativ-bürgerlich“ klassifizierte Schicht seilt sich bei der Pflege ab – weil sie beruflich verhindert ist oder weil sie es sich leisten kann.

„Heimsog“ nennen die Betreiber von betreutem Wohnen, Alten- und Pflegeheimen euphemistisch dieses Phänomen, das ihnen die Zukunft sichert.

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