
Jeder Steuerzahler und jeder Krankenversicherte kann den Millionen Menschen, die kranke Familienmitglieder oder Freunde pflegen, dankbar sein. Denn dieses Heer der Anonymen erspart den Sozialämtern und Pflegekassen jährlich Milliarden Euro. Die müssten sie aus Steuergeldern oder Versicherungsbeiträgen sonst Jahr für Jahr ambulanten Pflegediensten und stationären Heimen für die hohen Kosten kranker Menschen überweisen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vor kurzem die Klage zweier pflegender Frauen aus Bayern über vermeintliche Ungerechtigkeit bei der Entlohnung ihrer Dienste zu verhandeln und veröffentlichte jetzt seine Entscheidung.
Die Beschwerdeführerinnen versorgten zuhause ihren schwer erkrankten Ehemann beziehungsweise Vater (Pflegestufe III). Sie bezogen von Pflegegeld in Höhe von 665 Euro pro Monat. Eine überschaubare Summe in Anbetracht ihres 24-Stunden-Dienstes am Kranken.
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Fakten aus dem Pflegereport 2013
Die Zahl Pflegebedürftiger ist mit mehr als 2,5 Millionen auf ihrem Höchststand und wird bis 2050 auf 4,5 Millionen steigen. Es gibt große regionale Unterschiede: So wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 in Brandenburg um 72 Prozent steigen, in Bremen nur um 28 Prozent. Im Bundesdurchschnitt wird ein Plus von 47 Prozent erwartet.
Rein statistisch brauchen Männer in ihrem Leben 16 Monate Pflege, Frauen 32 Monate. Tatsächlich aber verdoppelt sich die Pflegezeit bei den wirklich betroffenen bei den Männern und liegt bei den Frauen um die Hälfte höher.
Die Eigenanteile bei Pflegeleistungen in allen Pflegestufen steigen weiter. Dies gilt auch bei den rein pflegebedingten Kosten, die ursprünglich vollständig von der Versicherung übernommen werden sollten. Hier betragen die Eigenanteile je nach Pflegestufe zwischen monatlich 346 Euro und 760 Euro.
Die Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungsleistungen – von denen vor allem demente Menschen profitieren – hat sich auf gut 200 000 Menschen verdreifacht. Hier spiegelt sich die zunehmende Bedeutung ambulanter Pflegedienste wider.
Es sind vor allem die Frauen, die Angehörige pflegen. Ein Heer von rund 2,2 Millionen meist Töchtern und Partnerinnen kümmert sich um kranke Angehörige. Das sind 6,2 Prozent aller über 16-Jährigen. Hingegen entsprechen die 1,3 Millionen pflegenden Männer nur 4 Prozent aller über 16-jährigen Männer.
Die Einnahmen der Pflegeversicherung steigen seit fünf Jahren. 2012 standen Einnahmen von 23 Milliarden Euro Ausgaben von 22,9 Milliarden Euro gegenüber. Zuletzt hatte es 2007 einen negativen Saldo in der Pflegekasse gegeben. Die Pflegeversicherung verfügte Ende 2012 über 5,55 Milliarden Euro.
Hätten sie stattdessen professionelle Hilfe in Anspruch genommen, wären für diese externen Pflegeleistungen bis zu 1432 Euro monatlich erstattungsfähig gewesen. Für viele Angehörige ist diese monetäre Diskrepanz schwer verständlich, da sie sich mindestens mit demselben Zeitaufwand um ihre Kranken mühen. Auch die beiden Klägerinnen fanden die vermeintliche Unterbezahlung ihrer vergleichbaren Leistung verfassungswidrig. Das oberste Gericht sieht das anders.
Ihre Klage, das ihnen gezahlte Pflegegeld auf das Niveau der Pflegesachleistungen anzuheben, wurde von den Verfassungsrichtern zurückgewiesen. Die geringeren Geldleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege durch Familienangehörige gegenüber den Geldleistungen beim Einsatz bezahlter Pflegekräfte verstoßen nicht gegen das Grundgesetz (Az.: 1 BvR 1133/12).
Ihre Begründung liegt in der sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der dürfe sich für ein System entscheiden, das den Pflegebedürftigen die Wahl lässt, ob er sich durch externe Pflegehilfen oder durch selbst ausgewählte Pflegepersonen versorgen lässt. Keiner werde zur privaten, geringer bezahlten Pflege gezwungen.
Noch ein anderer Aspekt aber war den Richtern wichtig: Es sei legitim, dass der Gesetzgeber davon ausgehe, dass Angehörige nicht des Geldes wegen pflegen. Die gegenseitige Beistandspflicht von Familienangehörigen rechtfertigt es daher, das Pflegegeld in vergleichsweise niedrigerer Höhe zu gewähren, so das Gericht. Schließlich läge der Konzeption des Pflegegeldes zu Recht der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht würde.