Porträt Im Haus von Marc Faber: Zwischen Mao und John Stuart Mill

Marc Faber ist einer der einflussreichsten Investoren der Welt. Von Thailand aus analysiert er Märkte, schreibt Börsenbriefe und verwaltet Kundengelder. Sein Lebensstil ist ebenso ungewöhnlich wie seine Wohnort-Wahl, wie ein Besuch in seinem Haus zeigt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Marc Faber Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Ein rotes Haus am Fluss? Der Taxifahrer am Flughafen von Chiang Mai weiß sofort Bescheid. Zwar leben in Thailands zweitgrößter Stadt gut 5000 „Expats„, doch niemand wohnt in einem so extravaganten Gebäude und niemand ist so oft am Flughafen wie Marc Faber, weltweit bekannter Börsenguru und Autor des Börsenbriefs „Gloom Boom & Doom Report“, den weltweit rund 1000 Banken, Unternehmen und Anleger abonniert haben. 

Von Letzterem weiß der Taxifahrer nichts. Er sieht nur, dass dieser "farang" (Ausländer) eine thailändische Frau, zwei große Hunde und vier Motorräder hat. Der brave Thai hat noch nie im Leben etwas von Stock Exchange oder Dow Jones gehört. Und sowieso würde kein Mensch am Ende der schmalen, von Bananenstauden und einfachen Hütten gesäumten Soi 4 Lamphun Road ein Finanzgenie erwarten. Der Wagen hält vor einem riesigen ochsenblutfarbenen Haus. Zwei übermannshohe Diener-Statuen buckeln vor einem gigantischen Holzportal, das einstmals einer Kirche im Süden Indiens als Eingang gedient hat. Der Hausherr empfängt seine Besucher in Socken, verwaschenen Jeans und T-Shirt – seinem Lieblingsoutfit.

Um den Baum gebaut

„Den Einheimischen ist das hier alles ein wenig suspekt“, sagt Faber in seinem unverkennbar schweizerisch gefärbten Deutsch, „mein Haus, die Autos, mein ganzer Lebensstil – das ist zu viel für einfache Thais.„ Nicht nur für Thais. Das Arbeitszimmer wirkt wie eine Kathedrale; es ist ein monumentaler Raum, der fast das gesamte Erdgeschoss einnimmt.

Der Grundriss misst 22 mal 9 Meter, größer ging es nicht – „wegen der Bäume“, erklärt der Hausherr. Er wollte sie nicht fällen, also hat er eine Ecke um einen mächtigen Banyan-Baum gebaut. In der Mitte der Halle steht ein Tisch von überwältigenden Maßen, groß wie ein Swimmingpool, an dem problemlos zwei Dutzend Gäste sitzen können. Entworfen hat ihn seine Frau Supatra, eine ehemalige Flugbegleiterin bei Cathay Pacific, die der Anlageexperte vor rund 30 Jahren in Hongkong kennengelernt und geheiratet hat. Sie hat drei schwere, sechs Meter lange Gummibaum-Platten auf einen Unterbau aus verschiedenfarbigen Glassockeln montieren lassen und Lampen in die Sockel integriert. Am Abend leuchtet der Tisch wie ein eben gelandetes Raumschiff. Eine Kolonnade von Mao-Büsten aus weißem Stuck thront selbst bei wichtigen Besprechungen oder Dinner-Partys in der Tischmitte. 

„Darum ging es mir bei diesem Haus: Ich wollte endlich einmal wirklich Platz haben“, sagt Faber. Deshalb, und weil er vor lauter Besuchern nicht mehr zum Arbeiten kam, hat er Hongkong vor rund zehn Jahren verlassen. Aus demselben Grund ist er nicht nach Bangkok oder in eine andere asiatische Metropole, sondern nach Chiang Mai gezogen, eine vergleichsweise ruhige Provinzstadt. Dort hat er sich sein ganz eigenes Reich geschaffen, getrennt vom eigentlichen Wohnhaus, einer thailändischen Holzkonstruktion auf Stelzen, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht und in dem seine Frau und er leben. Genau genommen: Seine Frau lebt dort, er selbst eher sporadisch. Bestenfalls eine Woche im Monat ist der unermüdliche Börsenbeobachter zu Hause, die restliche Zeit jettet er um den Erdball, von Konferenz zu Konferenz, von München nach Miami, von São Paulo nach Singapur, von Tokio nach Toronto. 

Selbst Fabers schärfste Kritiker müssen in der Rückschau zugeben, dass er mit seinen Marktprognosen meist richtig lag. So warnte Faber 1987 seine Kunden rechtzeitig vor dem Schwarzen Montag an der Wall Street, er sagte das Platzen der japanischen Blase im Jahr 1990 ebenso korrekt voraus wie den Zusammenbruch der US-Casinoaktien 1993 und die Asienkrise von 1997/98. Zu früh war Faber mit der Warnung vor dem Platzen der Technologieblase. Das sagt er selbst. Er riet schon zum Ausstieg, bevor es an Nasdaq und Neuen Markt erst richtig losging nach oben. Aber wer Fabers Rat folgte, hat später nichts verloren und kam auch ungeschoren durch die 2007 ausbrechende globale Schuldenkrise.

Marc Fabers Büro

Wegen seiner erstaunlichen Trefferquote ist Fabers Meinung heute gefragter als jemals zuvor. Sein monatlicher „Gloom, Boom & Doom Report“ genießt bei Anlegern auf der ganzen Welt Kultstatus. Seit vielen Jahren nimmt er am Börsen-Roundtable des US-Anlegermagazins „Barrons“ teil, er ist regelmäßiger Interviewpartner in den Börsenprogrammen von Bloomberg und CNBC und wird als Redner zu unzähligen Investmentkonferenzen auf der ganzen Welt eingeladen. Sein konträrer Anlagestil und seine meist pessimistischen Ansichten über die Wirtschaft haben ihm zwar den Titel „Dr. Doom„ eingebracht. Trotzdem sei er Optimist, sagt Faber. Warum? Weil er sich traue, in Thailand Motorrad zu fahren.

Aber nicht nur deshalb: In seinem 2002 veröffentlichen Buch „Tomorrow's Gold – Asia's Age of Discovery“, hat Faber ausführlich zukünftige Investitionsmöglichkeiten rund um den Globus beschrieben. Das Buch stand mehrere Wochen auf der Amazon-Bestsellerliste und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Und als im März 2009 niemand Aktien haben wollte, riet Faber allein auf weiter Flur in einem Bloomberg-Interview zum Einstieg in den Aktienmarkt. Der US-Aktienindex S&P 500 legte anschließend um mehr als 80 Prozent zu. Es sei ja schön, akademisch zu argumentieren, aber man müsse auch praktisch handeln, sagt Faber. Er sei schließlich Anleger.

Mao-Sammlung ist in Vermögen wert

Marc Faber wurde 1946 in Zürich geboren. Nach seiner Schulzeit in Genf und Zürich studierte er Ökonomie an der Universität Zürich, wo er im Alter von 24 Jahren mit Auszeichnung magna cum laude in Wirtschaftsgeschichte promovierte. 1970 heuerte Faber bei der US-Investmentbank White Weld & Company an, für die er bis zu deren Übernahme durch Merrill Lynch 1978 in New York, Zürich und Hong Kong arbeitete. 1973 verlegte Faber seinen Lebensmittelpunkt nach Asien und zog nach Hongkong. 1978 wurde er Managing Director in der Hongkonger Niederlassung von Drexel Burnham Lambert, jener Investmentbank, die der legendäre Junk-Bond-Königs Michael Milken Mitte der Achtzigerjahre zur profitabelsten Wall-Street-Adresse machte und 1990 wegen Milkens Fehlspekulationen und Insiderskandalen unterging.

Im Juni 1990 machte sich Faber selbständig und gründete in Hongkong die Investmentgesellschaft Marc Faber Ltd. Für seine vorwiegend in Asien ansässigen Kunden verwaltet er heute etwa 300 Millionen Dollar. Es könnten problemlos ein paar Milliarden Dollar sein. Doch Faber hat keine Lust auf den damit verbundenen organisatorischen und juristischen Aufwand. Faber berät außerdem eine Reihe privater Investmentfonds und sitzt in Aufsichtsgremien mehrerer Unternehmen. Er ist Direktor von Ivanhoe Mines, dem Bergbauunternehmen des schillernden Mineninvestors Robert Friedland, sowie von Sprott Inc., einem unabhängigen kanadischen Vermögensverwalter, bei dem Faber auch im Anlageausschuss sitzt.

Faber steht für Unabhängigkeit, das demonstriert er auch in seinem Auftreten. Dem WirtschaftsWoche-Fotografen präsentierte er sich in der vergangenen Woche in Berlin nicht als nicht als glattgebügelter Investmentbanker im Nadelstreifenanzug, sondern im Tiger-T-Shirt.

Nicht alle seine genialen Einfälle hat er postwendend weitergegeben. So hat er die Idee, Mao-Memorabilia zu sammeln, für sich behalten. Als er Anfang der Siebzigerjahre nach Hongkong kam, lebte Mao Tse-tung noch; es gab Poster, Büsten und Badges in Hülle und Fülle für wenig Geld zu kaufen. „Ich dachte mir, dass dieser ganze Schrott, sobald Mao stirbt, nicht mehr hergestellt und vermutlich sogar zerstört werden wird, und dass sich diese Dinge in Sammelobjekte verwandeln könnten.“ Dr. Doom behielt recht. Seine Sammlung mit über 3000 Plakaten, 33 000 Buttons und unzähligen der kleinen roten Bücher mit Zitaten aus Maos Reden, ist heute ein Vermögen wert. Poster, die er einst für 20 US-Cent erstanden hatte, wechseln heute für Hunderte von Dollar den Besitzer. Allein die Mao-„Buttons“ und „Plates“ um die Gartentür – auch dies ein imposantes und extrem gewichtiges Holzportal – sind so viel wert wie ein Kleinwagen. Nicht dass er vorhätte, sie zu verkaufen: „Meine Tochter wird später entscheiden müssen, was mit dem Kram geschehen soll.“ 

Marc Faber in seinem Büro

Fabers Frau hat sich daran gewöhnt, dass ihr Mann ständig auf Reisen ist und an den wenigen Tagen, die er zu Hause in Chiang Mai verbringt, bis tief in die Nacht arbeitet. Sein Tagesrhythmus ist auf die New Yorker Uhrzeit eingestellt, er lebt mit ständigem Jetlag, selten geht er vor fünf Uhr morgens ins Bett. 

„Wenn Leute für einen Bericht wie den meinen gutes Geld zahlen, dann muss er exzellent sein, sonst kaufen sie ihn nicht. Einst habe ich meinen ‚Gloom Boom & Doom Report’ am Wochenende geschrieben, jetzt brauche ich fast eine Woche dafür.“ Den amerikanischen Börsenschluss erlebt er meist am Computer, morgens um vier, Chiang-Mai-Zeit. Früher war dies der Startschuss für ausgiebige Streifzüge durch das Nachtleben. Jetzt bleibt er zu Hause. „Ich habe ein Abkommen mit meiner Frau“, erzählt er munter, „in Chiang Mai gehe ich nicht ohne sie aus, und wenn ich unterwegs bin, mache ich, was ich will.“ 

Fabers Arbeitstisch ist eine Eigenkreation aus einer massiven Holzplatte und zwei chinarot lackierten Schubladengestellen. Die Bücherwände ringsum sind fünf Meter hoch und voller wertvoller Erstausgaben, unter anderen von Ökonomen wie Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill und dem Enzyklopädisten Denis Diderot. Dazwischen auch Edward Gibbons mehrbändiger historischer Klassiker „Decline and Fall of the Roman Empire“, eine 1786 gedruckte Ausgabe von Johann Caspar Lavater über die Physiognomik oder ein antikes Traktat über die Geschichte der Prostitution. 

"Ein Haus das zu Mao und mir passt"

Im hinteren Teil des Hauses schwebt die Decke in luftigen 25 Meter Höhe. Steile Stiegen führen auf Halbetagen, und der Besucher ist dem Architekten dankbar, dass er auf Geländern bestanden hat. Der Hausherr wollte sie nicht. Schwindelgefühle sind ihm offenbar fremd. Er steht auf der Treppe vor einer dreieinhalb Meter hohen steinernen Buddha-Statue aus einem Tempel in Burma und beobachtet die warme Luft, die, angereichert vom Qualm unzähliger Marlboros, aus den Tiefen des Arbeitsbereichs empor steigt und durch eigens unter dem Dach angebrachte Schächte entschwindet. „Ein geniales Lüftungssystem“, freut sich der Hausherr. Die vorhandene Klimaanlage wird kaum benutzt. „Sie schadet den alten Büchern“, sagt Faber. 

Das Haus, dass er selbst entwarf und mit Unterstützung eines Architekten bauen ließ, ist in vieler Hinsicht unkonventionell. Faber wollte kein typisches Thai-Haus, sondern „eines, das sowohl zu Mao als auch zu mir passt“ – daher die Dominanz der Farbe Rot, die chinesischen Stilelemente, die vielen Buddhastatuen und die Antiquitäten. „Ich neige zur historischen Schule“, lautet die Erklärung. Auch seine kuriose Affinität zum Kommunismus – „es geht ja hier nicht nur um Mao, sondern um alle Idealisten, die die Welt verbessern wollten“ – hat geschichtliche Gründe: „Immerhin waren Lenin, Engels, Ho Chi Minh, Trotzki und Mao historisch wichtige Persönlichkeiten. Mao Tse-tung hat sein Land geeinigt. Er war zwar ein Schlächter wie Stalin, aber in der chinesischen Geschichte wird er einen wichtigen Platz einnehmen. „Man muss solche Figuren stets im historischen Kontext sehen. Im Hause Faber hängen sie jedenfalls Seite an Seite, auch Fidel Castro, Che Guevara und Karl Marx sind mit von der Partie. 

Noch unkonventioneller als die merkwürdige „Ahnengalerie“ der Weltverbesserer ist die Architektur selbst. Ein abendländischer Architekt hätte sich bei dem Auftrag, ein Haus um bereits vorhandene, überdimensionale Türen und Fenster, noch dazu nach den Entwürfen eines Doktors der Ökonomie, bauen zu müssen, wahrscheinlich die Haare gerauft. Nicht so die Thailänder. „Sie kamen mit zwei koffergroßen Werkzeugkasten und machten sich ohne viel Aufwand an die Arbeit“, erinnert sich der Bauherr. Ein Kran wurde bei dem Vorhaben nur ein einziges Mal gebraucht, um die massigen, 20 Meter hohen Teakbaumstämme, die dem Holzgebälk als Stütze dienen, über die Außenwände ins Haus zu hieven. 

Das ist es, was der glückliche Hausherr an Asien am meisten schätzt: Die Freiheit, tun und lassen zu können, was er möchte, wie er möchte, wann er möchte – ohne dass gleich jemand auf der Bildfläche erscheint, um auf bestimmte Regelwerke hinzuweisen. „Ich werde sicher nicht mehr nach Europa zurückziehen“, prophezeit der Wahl-Thailänder, „ich fahre gerne besuchsweise hin, aber ich möchte nicht in einem Schweizer Altersheim sterben – dann doch lieber in einem thailändischen Massagesalon.“ 

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%