Genau dies nutzen Verkäufer nun aus. „Die Höhe dieser Anpassungen ist schon enorm. Für viele Kunden bedeutet dies eine erhebliche finanzielle Verschlechterung oder sogar eine Bedrohung der Existenz“, erklärte Ozan Sözeri, Gründer der Widge.de. GmbH. Und er fragt populistisch: „Warum müssen immer allein die Versicherten diese falschen Kalkulationen ausbaden?“ Doch ist dies wirklich ein Skandal? Der Tarif, dessen prozentuale Steigerung Sözeri anprangert, liegt weit unter dem Niveau der meisten Versicherten in der Krankenversicherung. Bisher zahlten die Kunden dort 100 Euro, künftig sind es rund 150 Euro. Das ist selbst in der PKV ein sehr geringer Beitrag, erläutert Branchenexperte Güssler.
Tarifexperte Güssler bestätigt damit die Angaben des Versicherers. Nur in einem einzigen Vollversicherungstarif (Tarif EL-Bonus) könne es zu Anpassungen in einer Höhe von 50 Prozent kommen, erklärte Axa. Das Beitragsniveau liege nach Anpassung bei maximal 153 Euro. Gegebenenfalls kämen gesetzlicher Zuschlag und Risikozuschlag hinzu. Über alle rund 780.000 Vollversicherte hinweg werde die Axa Krankenversicherung die Beiträge ab 2014 um durchschnittlich knapp drei Prozent anpassen, erklärte eine Sprecherin darüber hinaus. Zudem sei die Darstellung falsch, auch Axa-Kunden, die im vergangenen Jahr eine Beitragsanpassung von 40 Prozent erhalten hätten, wären von der neuerlichen Beitragserhöhung betroffen.
Gleichwohl bleibt festzuhalten: Mit seiner Pressemitteilung hat Widge.de im Internet und über manche Medien enorme Aufmerksamkeit für sein Geschäftsmodell erzeugt. Das da lautet: „Durch einen Tarifwechsel sind oftmals Einsparungen von 40 Prozent und mehr möglich – und das bei gleichem Leistungsniveau.“ Der Versicherer Axa stellt dagegen fest: Einzelfallbetrachtungen bei Beitragsanpassungen seien grundsätzlich nicht sachgerecht. Denn dabei hingen die Preise immer vom jeweiligen Tarif und den Voraussetzungen des Kunden ab. Also von: Geschlecht, Alter, individuellen oder gesundheitsbedingten Risikozuschlägen sowie der Versicherungshistorie.
Wann sich der Wechsel zur PKV lohnt und worauf zu achten ist
Jenseits der 40 lohnt sich ein Wechsel eher selten. Es bleibt weniger Zeit, um Alterungsrückstellungen anzusparen.
Kinder und nicht erwerbstätige Partner lassen sich in der PKV nicht kostenlos mitversichern, anders als in der gesetzlichen Kasse.
Trotz Rückstellungen zahlen Versicherte mit 65 schnell das Dreifache dessen, was sie mit 30 gezahlt haben. Wer wechselt, sollte Geld zurücklegen, um Beiträge im Alter finanzieren zu können.
In die gesetzlichen Kassen führt kaum ein Weg zurück. Interessenten sollten sich bei einem Honorarberater informieren.
Die PKV ist nichts für Versicherte, die ihre Ruhe wollen. "Wegen des zunehmenden Kostendrucks prüfen Krankenversicherer kritischer als bisher eingereichte Rechnungen", sagt Timo Voss vom Bund der Versicherten. Immer häufiger muss sich der Versicherte wehren.
Versicherer stellen ausführlich Fragen zur Gesundheit. Wer Vorerkrankungen angibt, etwa einen Bandscheibenvorfall, muss mit hohen Risikozuschlägen rechnen. Es lohnt sich also für Wechselwillige, in die PKV einzusteigen, solange sie noch halbwegs gesund sind.
Versicherte sollten überdurchschnittlich viel Leistung für ihre Prämie erhalten. Billigtarife sind meist keine gute Wahl, weil sie kaum mehr, zum Teil sogar weniger als die GKV bieten. Ihre Beiträge steigen meist überdurchschnittlich, weil sie knapp kalkuliert sind.
Ein hoher Selbstbehalt drückt zwar die Prämie, lässt aber bei einem späteren Tarifwechsel wenig Spielraum. Ein niedrigerer Selbstbehalt im neuen Tarif gilt nämlich als Mehrleistung, was Risikozuschläge nach sich zieht . Tipp: Neueinsteiger sollten Tarife mit niedrigem Selbstbehalt bevorzugen.
Viele Versicherte beschränken ihre Leistungen, etwa bei Krankengymnastik, auf detaillierte Kataloge. Was nicht drinsteht, wird nicht erstattet. Offene Leistungskataloge wie der des Top-Tarifs KVS1 von HanseMerkur passen sich
dem medizinischen Fortschritt an.
Genauso kritisch zu sehen sei, wenn bei Beitragsanpassungen allein auf die prozentuale Veränderung geschaut werden, erklärte die Axa. Und Branchenexperten wie Güssler stimmen da zu. „Wir geben Anpassungen deshalb in Euro und somit in absoluten Zahlen an“, erklärte die Axa-Sprecherin. Sehr hohe prozentuale Steigerungen würden zudem in der Regel bei Personen auftreten, die mit einem Tarifwechsel die Beiträge vorher reduziert hätten. Dann sei die gleiche absolute Steigerung prozentual deutlich höher als bei einem vergleichbaren Kunden ohne Tarifwechsel, erklärte die Axa-Sprecherin.
Eine ähnliche Werbestrategie wie Widge verfolgt auch Delegare, ein anderes Unternehmen der Tarifwechselbranche. „Im Namen von www.beitragsoptimierung24.de bitte ich Sie heute darum, die privat Krankenversicherten unter Ihren Lesern bzw. Zuhörern und Zuschauern zur Teilnahme an einer Online-Umfrage einzuladen“, lautete eine Anfrage, die Anfang Dezember bei Handelsblatt Online landete. Wer sich beteiligt, dem versprach Delegare: „Wir bedanken uns bei den Medien, die den Aufruf zur Teilnahme veröffentlichen, dadurch, dass wir Ihnen die Ergebnisse einen Tag früher zur Verfügung stellen als der allgemeinen Öffentlichkeit. Vermutlich wird dies für die allgemeine Öffentlichkeit der 18.12. und für Sie entsprechend der 17.12. sein.“
Eine Pressemitteilung zum Thema veröffentlichte Delegare dann am 28. Dezember. Ein Sprecher von Delegare stellte dazu fest: "Die Umfrage verfolgt nachweislich nicht das Ziel, Einzelfälle zu skandalisieren." Das wird in der Branche allerdings ganz anders gesehen, insbesondere die Pressemitteilung von Widge gilt als Beleg für die Strategie: Einzelfälle zu skandalisieren – und mögliche Kunden auf die eigene Dienstleistung aufmerksam machen. Beides gefällt den Versicherern ganz und gar nicht.