Profi-Investoren Überlebensstrategien der Investment-Elite

Seit Notenbanken so tun, als könnten sie unendlich Geld schöpfen, ist auf nichts mehr Verlass. Aktien oder Gold? Rohstoffe oder Immobilien? Chefreporter Dieter Schnaas über Anlageprofis und den Preis des Geldes

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Andreas Utermann Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Es ist eine kleine Enttäuschung, das Büro von Andreas Utermann. Ein Aquarium mit einer Sitzgruppe und zwei Büropflanzen, kaum 30 Quadratmeter groß, an der Stirnwand Warhol, Lichtenstein und eine Zeichnung für my daddy, auf dem Schreibtisch zwei Flachbildschirme, ein Glas Joghurt und eine lange Reihe mit den Fotos derer, die man viel zu selten sieht.

Normaler geht’s nicht. Draußen, vor der Glaswand, sitzen sie wie die Schwarmfische vor ihren Tischtrennwänden und Kurstabellen und lassen sich treiben vom Wellenrhythmus der Bloomberg-News. Drinnen sitzt der König der Geldmeere, der Finanzhai, Deutschlands mächtigster Investor, der Global Chief Investment Officer der Allianz-Aktienfonds, ein Mann, dem wir unser Geld und unser Vermögen anvertrauen, unsere Rente und unsere Zukunft: rund 100 Milliarden Euro, mit der Bitte um Vermehrung.

Nichts in Utermanns Büro deutet auf Macht, Größe, Geltung, Geld oder Gier hin, nicht einmal Utermann selbst. Der Finanzhai trägt ein blütenweißes Hemd und eine rosa Krawatte, ausgewählt, nicht exklusiv, er erzählt von seinen Briefmarken, seinem Fußballclub und seiner Schwäche für Kartoffelchips, wirkt freundlich, souverän, weckt Vertrauen – ganz so, wie ein Patient sich seinen Arzt wünscht: Gestatten, Andreas Utermann, Börsenmediziner und Geldchirurg.

Nichts ist unwichtig

Finanzoperationen, sagt Utermann, sind wie Herzoperationen: Scheitern ist keine Option. Man muss verliebt sein ins Gelingen beim Geschäft mit dem Geld, immer überzeugt davon, dass einem alles glückt. Wer diese Zuversicht nicht mitbringt, diese professionelle Sicherheit, die keinen Zweifel kennt und kein Zögern, kann kein guter Geldprofi sein. Das ganze Geheimnis eines erfolgreichen Fondsmanagers, sagt Utermann, besteht darin, in seiner Normalität herausragend zu sein – und in seiner Durchschnittlichkeit außergewöhnlich.

Man muss es fertigbringen, die Welt als Informationspuzzle zu betrachten, als 1000-fach zersplitterte Wirklichkeit, die sich nur denen zum Bild fügt, die auch einen Sinn fürs Triviale und Abseitige haben, fürs scheinbar Nebensächliche und Oberflächliche. „Nichts ist unwichtig“, sagt Utermann, „alles ist relevant.“ Ein Waldbrand in Australien, eine Wahl in Indonesien, eine Demonstration in Moskau, eine Buchvorstellung in New York... – die ganze Welt ist ständig im Fluss, bewegt und belebt von Namen und Nachrichten, die an der Börse, am Markt der Märkte, ihren Ausdruck finden.

Es gibt nichts, für das sich Utermann nicht interessiert. Er kennt sich aus in Wirtschaft, Politik, Sport, Kunst, Musik, Prominententratsch und Religion, er bewundert die Dynamik Chinas und die Diskussionskultur der britischen Demokratie, er schätzt die Grundsätze der protestantischen Kirche als Kompass für ein anständiges Leben und Adam Smith wegen seiner Laudatio auf den Eigennutz.

Utermann liest „FAZ“, „Financial Times“, „Economist“ und „L’Equipe“, schlingt täglich Kommentare, Analysen, Statistiken, Gutachten, Charts, Fachbücher und Opernkritiken, hört Udo Jürgens und die Black Eyed Peas, spielt selbst Gitarre, Tennis, fährt gern Ski, er mischt bei den britischen Liberal Democrats in seiner Stadtteilheimat London-Hampstead mit und versäumt nie seinen Sommerurlaub an der französischen Atlantikküste, in einem kleinen Dorf bei Biarritz – ohne Blackberry und Mailverkehr, versteht sich, denn „jenseits aller facts and news“, sagt Utermann, „geht es darum, einen klaren Kopf zu behalten und das Weltgetöse abzudämpfen zum bloßen Hintergrundrauschen, zur produktiven Grundlage intuitiver Entscheidungen“.

Beherrscher der Informationskulisse

Letztlich, sagt Utermann, ist es genau das, was einen guten Fondsverwalter von einem schlechten unterscheidet: Der gute beherrscht den Nachrichtenlärm als Informationskulisse; der schlechte macht sich zum Sklaven von Breaking News.

Wie aber kann ein Fondsmanager sich seine Entscheidungsfähigkeit bewahren, seit alle Nachrichtensignale aus Politik und Wirtschaftswelt widersprüchlich sind? Wie erhält er sich seine Entschlusskraft, seit die Ungewissheit zur einzigen Gewissheit geworden ist, seit niemand mehr nichts Genaues wissen kann über Ausmaß und Dauer der Banken-, Wirtschafts- und Schuldenkrise?

Sämtliche Weltökonomen rätseln, ob in den nächsten Jahren mit Inflation oder Deflation zu rechnen sei. Keiner weiß, ob die Märkte schon wieder überhitzt sind oder noch überschüssige Liquidität aufnehmen wollen, ob der Ölpreis explosionsartig steigt oder der Konjunktur in den Keller folgt, ob die Welt noch immer abhängig ist vom Konsumhunger der USA – oder ob Chinas Wachstum die Nachfrageschwäche der amerikanischen Verbraucher kompensieren kann.

Vor allem aber weiß niemand, ob die Weltkonjunktur überhaupt noch Einfluss hat auf die Bilanzen der Banken, die finanzielle Fitness von Staaten und die Gesundheit von Währungen. Nicht nur der Glaube an die Effizienz der Finanzmärkte ist tief erschüttert; auch der Glaube ans Geld selbst ist verloren gegangen, seit die Notenbanken immer mehr Papiergeld drucken – und so tun, als ließe es sich beliebig vermehren.

Hat sich das Geldverständnis der Kapitalartisten verändert, seit sich die Schuldenspirale ins Unendliche dreht? Gibt es ein Umdenken in der Branche, seit jedes Kind weiß, dass die frischen Kredite, mit denen sich der Staat sozusagen selbst beleiht, nicht dazu da sind, um Schulden zu begleichen, sondern um alte Kredite ins Unendliche zu verlängern? Hat sich das Verhältnis der Geldprofis zum Gegenstand ihrer Profession, dem Geld, verändert, seit die Banken bewiesen haben, dass sie als Bürge unserer Vermögen ausfallen? Gehen Fondsmanager vorsichtiger, tastender oder einfach nur anders mit Geld ihrer Anleger um, seit sie wissen, dass das Geld selbst auf dem Spiel steht?

Gold-Spekulation

Nicht wirklich, sagt Andreas Utermann, warum auch, im Grunde sei die Sache sonnenklar: Wenn fast alle das Gefühl haben, die Aussichten seien trüb, wenn fast alle schreien, das Zeitalter der Aktie neige sich dem Ende entgegen, "dann ist das ganz bestimmt ein guter Zeitpunkt zum Einstieg". Antizyklisch kaufen und langfristig denken, das sei früher seine Devise gewesen, und das sei heute seine Devise, sagt Utermann. Um den Markt in diesen unsicheren Zeiten zu schlagen, müsse man freilich mehr denn je auf "säkulare Trends" setzen, die großen Linien sehen, la longue dureé im Blick haben - und in Schwächephasen beherzt zugreifen auf die Papiere aussichtsreicher Unternehmen. Vor allem Rohstoffaktien sind attraktiv, sagt Utermann, weil Rohstoffe zunehmend knapp und teuer werden - und Luxustitel, weil die wachsende Mittelschicht in China und Indien sich für Markenware interessiert.

Wem das kurzfristig zu riskant ist, sagt Utermann, soll auf inflationsgeschützte Bonds vertrauen, in die Ausbildung seiner Kinder investieren, Grund und Boden kaufen – vor allem aber seine Finger vom Gold lassen. Gold kostet Geld (Lagerung), kann leicht gestohlen werden, hat keinen Cash-Flow, wirft keine Dividende ab, sagt Utermann; im Übrigen sei der Goldpreis das Ergebnis „purer Spekulation“.

Jünger der Apokalypse

Und dann diese Endzeitrhetorik der Gold-Euphoriker! Das panikhafte Weltuntergangsgeraune! Diese törichte Hoffnung auf ein gelb glänzendes Metall, das irgendwo in Afrika aus der Erde gebuddelt, in Barren gegossen und in Tresoren weggesperrt wird! Utermann hat für die schwarze Religion der weltweiten Goldglaubensgemeinde nur Hohn und Spott übrig.

Wer Gold kauft, glaubt an das Chaos, sagt er spitz – und wer an das Chaos glaubt, muss vor allem in Dobermänner investieren, um sein Gold im Chaos behalten zu können. Er selbst jedenfalls werde sich hüten, auf die Apokalypse zu wetten. Es spricht zwar nichts dafür, dass es nach der Finanzkrise ein Umdenken gegeben habe. Auch müsse das Geld endlich teurer werden, um die Kreditspirale zu unterbrechen. Aber selbst wenn alles beim Alten bleibt und die nächste Krise kommt, sagt Utermann: Es geht immer weiter, weil es weitergehen muss.

Hans Albrecht Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Hans Albrecht ist sich da nicht sicher. Der 55-Jährige bezeichnet sich selbst als Heuschrecke – und versteht das durchaus despektierlich: „Der Franz Müntefering von der SPD lag damals gar nicht so falsch.“ Albrecht hat nach der Wende Ostdeutschland mit Kopiergeräten versorgt („Eine meiner coolsten Geschichten“), fünf Jahre lang das Europa-Geschäft des US-Finanzinvestors Carlyle Group aufgebaut – und 2004 Nordwind Capital gegründet, einen Private-Equity-Fonds in München, der typischerweise 50 Millionen Euro in mittelständische Firmen mit Kapitalbedarf investiert. Albrecht ist nicht gut auf seine Branche zu sprechen, hat auf die „ganze Industrie keinen Bock mehr“.

Jeder, der auf einer Business School gelernt habe, „sich Pomade ins Haar zu schmieren und Koks in die Nase zu reiben“, wolle heute Hedgefondsmanager werden. Natürlich sei Private Equity kein Teufelszeug, sagt Albrecht, um Himmels willen, nein, im Gegenteil, Geld sei nützlich, keine Frage, ohne die Finanzspritze von Königin Isabella hätte Kolumbus nie und nimmer die Neue Welt entdeckt. Ein halbes Jahrtausend später jedoch würde die Geldbranche nicht mehr darauf spekulieren, mit einer riskanten Unternehmung Geld zu verdienen, sondern an ihr. „Die stürzen sich auf aussichtsreiche Firmen“, sagt Albrecht, „kaufen sie auf Pump und saugen sie aus bis aufs Blut – wie die Mücken im Hochsommer.“

Giftmüll produziert

Albrecht erzählt gern die Geschichte von den beiden Segelschiffen im Hafen von Bombay, um zu erklären, was schiefläuft im Weltfinanzsystem. Auf dem einen Schiff erhält der Ladeoffizier eine Provision für die Ware, die in London ankommt, und segelt mit. Auf dem anderen Schiff wird der Ladeoffizier für jede Tonne bezahlt, die er verstauen kann – und bleibt in Bombay. Und was hat das Ganze mit der Finanzkrise zu tun?

Ganz einfach, sagt Albrecht: Die Banken haben mit ihren gebündelten, gestückelten und verkauften Subprime-Krediten jede Menge Giftmüll produziert, ihren Volkswirtschaften aufs Schiff geschmuggelt – und uns dann allen eine gute Reise gewünscht. Aber damit nicht genug.

Etwas Ähnliches wie mit den Subprime wiederhole sich nun in seiner Branche, sagt Albrecht, mit sogenannten PIK Notes, die es Firmenjägern ermöglichen, Kredite ohne Zins und Tilgung aufzunehmen. Der Schuldner muss nur für die Rückzahlung geradestehen und am Fälligkeitstermin einen Aufschlag zahlen – wenn er den Kredit nicht vor Ablauf der Frist längst weiterverkauft hat. Inzwischen, sagt Albrecht, sei mit PIK Notes ein schwunghafter Handel entstanden, ganz so, wie es ehedem bei Subprime-Krediten  der Fall war: „Das Ganze wird uns bald um die Ohren fliegen.“ Albrechts Geschäftsfreunde nehmen diese Warnungen ernst. 1999, kurz bevor die Dotcom-Blase platzte, hat er ihnen Charles Mackays Klassiker über den Spekulationswahn unter den Weihnachtsbaum gelegt; im Dezember 2006, anderthalb Jahre vor der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, reichte er John Kenneth Galbraiths „The Great Crash 1929“ herum.

Und heute? „Es ist pervers“, sagt Albrecht, „der deutsche Staat bürgt für Griechenland, die deutschen Bürger tragen das Risiko einer Pleite – und die deutschen Banken streichen zum Dank für die öffentliche Sanierung ihrer Bilanzen sechs Prozent Zinsen ein.“ Er bitte um Entschuldigung, aber: „Wir alle werden hier auf der Großleinwand betrogen.“

Er selbst, sagt Albrecht, wolle mit Geld, das nur noch auf sich selbst reflektiert, nichts mehr zu tun haben. Es zieht ihn back to the roots, wie er sagt, zum Idealisten und Umweltschützer, der er war und ist, seit er mit 16 beim Segeln in eine Kloake fiel, die sich Elbe nannte. Albrecht, der Hamburger Bildungsbürgersohn, hat später Medizin studiert und Jura, bei der UNO gearbeitet und „die Welt verbessern wollen – bis ich begriff, dass man Geld braucht, um ein vernünftiger Idealist zu werden“.

Heute weiß Albrecht, dass auch umgekehrt ein Schuh draus wird: Man braucht Idealismus, damit Geld Vernunft annehmen kann. „Wir Finanz-Heinis sind Parasiten“, sagt Albrecht, „wir leben von den Ideen der Ingenieure. Nicht unsere Innovationen bringen uns weiter, sondern ihre. Nicht wir schaffen Werte, sondern sie.“ Natürlich können Parasiten nützlich sein, Geld hilft immer, klar, aber Geld sei kein Wert an sich, sondern dazu da, den Ideen der Ingenieure zur Wirklichkeit zu verhelfen.

Eine Idee hält Albrecht derzeit für besonders aussichtsreich: Die Firma Cargo Beamer hat ein Verladesystem entwickelt, mit dessen Hilfe der Lastverkehr „endlich runter von der Straße, rauf auf die Schiene kann“. 15 Millionen Euro hat Albrecht mit ein paar Freunden investiert: „Anschubfinanzierung für eine kleine Revolution.“ Die Gespräche mit der Bahn laufen, im Herbst geht’s los, Probelauf auf einem Pilotbahnhof. „Es ist herrlich, Geld arbeiten zu sehen“, sagt Albrecht, „ich meine: dass es wirklich arbeitet. Dass man es wirklich sieht.“

Albrecht Fürst zu Castell-Castell Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Rund um die 800-Seelen-Gemeinde Castell, 30 Kilometer östlich von Würzburg, arbeitet Geld seit 25 Generationen in Form von Wald, Wein und Wiesen. Seine Durchlaucht, Albrecht Fürst zu Castell-Castell, 85 Jahre, wachsam, hell und rege, hat die traditionsreichen Geschäfte des Fürstenhauses längst in die Hände seines Sohnes, des Erbgrafen, gelegt: „Nur einer übernimmt in jeder Generation das Erbe, mit der Verpflichtung, das Ererbte zu erhalten, zu mehren und an die nächste Generation weiterzugeben“ – so will es das Hausgesetz.

Der Fürst empfängt gern Gäste in seinem Schlösschen, er möchte den Jungen ein Ratgeber sein, vielleicht sogar ein bisschen Vorbild, er hat ein Vademecum seines Lebens geschrieben, spricht gern von Werten, Tugenden und Pflichten, von Verzichtbereitschaft, Verantwortung und Selbstdisziplin. „Geld ist nicht mein Lieblingsthema“, sagt er, „sprechen wir also vom Vermögen, als Eigentum und menschliche Fähigkeit.“

Familienbesitz erhalten

Zum größten Vermögen seiner Familie, sagt der Fürst, zählt das Geschenk, den Wert von Kontinuität und Nachhaltigkeit nicht eigens schätzen lernen zu müssen. Substanz erhalten, Erträge sichern, Besitz bewahren – ohne die Geschwister und Ehefrauen, die auf ihr gesetzliches Erbteil verzichten, „könnte unser Wirtschaftsunternehmen nicht überleben“. Umgekehrt, sagt der Fürst, wachse dem Erben durch den Verzicht der Verwandten die tief empfundene Verpflichtung zu, den Wert des Familienbesitzes zu erhalten: „Niemand möchte das schwache Glied in der Traditionskette sein.“ Mit Führung und Fürsorge, mit Festigkeit und viel Vertrauen in die Kraft seiner Mitarbeiter habe er die Meierei (450 Hektar Ackerbau), die Forstverwaltung (4500 Hektar Wald), das Domänenamt (70 Hektar Wein) und natürlich auch das Geldinstitut durch die Nachkriegszeit geführt, sagt der Fürst: „Weil ich nie in Zahlen gedacht habe, sondern in Aufgaben.“

Vielleicht deshalb zählt die Fürstlich Castell’sche Bank, das älteste Geldinstitut in Bayern („Andere sprechen von Tradition. Wir nennen es Haltung.“), zu den wenigen Profiteuren der Wirtschaftskrise. Im 237. Geschäftsjahr stehen alle Zeichen auf Expansion: Das Geschäft mit Privatkunden floriert am Stammhaus in Würzburg, seit die Frankfurter Geldkathedralen einzustürzen drohen; das Interesse an Dauer und Echtheit ist sprunghaft gestiegen, seit die Vermögenden um den Bestand ihres Buchgeldes fürchten.

Provisionen tabu

Lange ist die Fürstenbank belächelt worden wegen ihrer Umsicht und Andersartigkeit, auch wegen ihres Anspruchs als Kreditkasse, an der Wohlfahrt des fränkischen Landes mitzuwirken. Vor zwei Jahren erst hat sie ihre letzte fahrbare Zweigstelle eingestellt; noch heute kümmert sie sich um jeden Kunden, der aus dem Steigerwald herab kommt, um seine Rechnung in den gusseisernen Briefkasten der Bank am Marktplatz einzuwerfen.

Natürlich arbeiten die Bankfürsten für ihre vermögenden Kunden (ab 250.000 Euro) auf Honorarbasis – Provisionen sind tabu; natürlich beraten sie immer unter dem Gesichtspunkt des langfristigen Werterhalts – keine krisenanfälligen Monokulturen, breit gestreute, starke Werte. „Ein guter Mischwald wirft nicht von heute auf morgen hohe Erträge ab. Aber er ist widerstandsfähig. Und wenn man ihn ordentlich bewirtschaftet, haben auch noch die Kinder was davon“, sagt der Fürst. Rund 1,2 Milliarden Euro sind der Privatbank anvertraut – Tendenz stark steigend. „Unsere Kunden wissen, dass wir nur in Sachen investieren, die wir verstehen. Daher mögen sie in der Wirtschaftskrise das Vertrauen in die Finanzmärkte verloren haben. Nicht aber das Vertrauen in uns.“

Jens Erhardt Quelle: LAIF/Tim Wegner

Mit Jens Ehrhardts Vertrauen ist es so eine Sache. Sein Selbst-Vertrauen ist ihm nicht zugeflogen wie Andreas Utermann, er kann es nicht aus der DNA seiner Familie schöpfen, so wie der Fürst. Selbst-Vertrauen, das ist für Ehrhardt kein natürliches Attribut, sondern ein Lernprozess, das Ergebnis harter Arbeit. Jens Ehrhardt hat es fraglos geschafft. Er zählt zu den größten unabhängigen Vermögensverwaltern in Europa; seine Fonds überragen den Marktdurchschnitt seit Jahrzehnten mit Traumrenditen; der Wert der von ihm und seiner Firma DJE (Dr. Jens Ehrhardt) Kapital AG verwalteten Vermögens liegt bei zehn Milliarden Euro.

Der Preis des Geldes

Und doch weht Jens Ehrhardt im Spätherbst seiner Karriere der Hauch von Vergeblichkeit an; immer wieder begegnet ihm die Frage: Und das, dieses erfolgreiche Berufsleben, dieses ständige Vermehren von Geld, soll alles gewesen sein?

Der Tsunami in Thailand, sagt Ehrhardt, am 26. Dezember 2004, hat sein Leben geändert, ein für alle Mal, das war wie eine Zäsur im Kopf, wie der Beginn eines neuen Lebens. Ehrhardt hat die Katastrophe kommen sehen, das Wasser war weg, bevor die Wellen kamen, die Fische zappelten auf dem Land, es war klar, das etwas Ungewöhnliches vor sich ging.

Ehrhardts Hotel blieb von der Springflut verschont, er selbst unverletzt, aber nicht unbeeindruckt. „Ich habe mich früher übers Geld definiert“, sagt Ehrhardt, „ich war ehrgeizig, stolz auf mein Vermögen, wollte ein Großer sein. Das ist heute nicht mehr so.“ Heute weiß Ehrhardt, dass der Preis des Geldes sehr hoch sein kann. Er hat sich vor 20 Jahren von seiner Frau getrennt und den Beruf endgültig zu seiner Geliebten gemacht; seither lebt er allein in einer Villa in München-Solln.

Den Porsche hat er längst verkauft, was soll so ein Auto, sagt Ehrhardt, allein „Sylvia“ ist ihm geblieben, seine englische Herzdame, ein Holzsegler, Baujahr 1925.

Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes

Geld, sagt Jens Ehrhardt, das war für ihn immer Freiheit, Sicherheit, Selbstständigkeit. Früh hat er sich etwas zum kleinen Taschengeld dazuverdient, mit Teppichklopfen bei Oma, als Cola-Verkäufer beim HSV im Volksparkstadion, als Platzanweiser beim Tennisturnier am Rothenbaum. Sein solitärer Vater Alfred, Dozent an der Kunsthochschule Hamburg, ein hochbegabter Maler, Fotograf und Filmemacher, hielt Jens nicht nur kurz; er warf auch einen mächtigen Schatten auf ihn. Nie konnte Jens die bestimmten Erwartungen des Vaters erfüllen, immer waren ihm seine künstlerischen Defizite nur zu bewusst. Ein Jahr hat er seinen Vater schließlich begleitet, als er 20 war, nach Island, ein letztes Mal, um auszuprobieren, ob es doch noch was werden könne mit dem Künstlerleben – dann war Jens klar, dass er seinen Weg gehen muss: „Unter einem starken Baum gedeiht nicht viel.“

Erst in München, fernab der Heimat, wächst Jens Ehrhardt selbst zu einem starken Baum heran. Er studiert Betriebswirtschaft, wird Asta-Sprecher, fährt an den Wochenenden Delikatessen für Dallmayr aus, kalte Menüs für die gute Gesellschaft: „Ich wollte dahin, wo das Geld war.“

In seinem ersten Job sorgt Ehrhardt mit dem Verfassen von Börsenbriefen „für den halben Umsatz und den ganzen Gewinn“ der Firma seines Chefs; 1974 gründet er sein eigenes Unternehmen; 1987 legt er, kurz vor dem Crash, mit einer Serie von Verkaufsoptionen „eine meiner Glanzleistungen“ hin. Natürlich, sagt Jens Ehrhardt, sei er seither nicht schlechter geworden, im Gegenteil: Schon im Jahre 2000, als die Unze noch keine 300 Dollar kostete, habe er seinen Kunden geraten, sich mit Gold einzudecken. Das Geschäft selbst jedoch sei immer problematischer geworden. „Es gibt keine langen Linien mehr“, sagt Ehrhardt, „und die kurzfristigen Trends drehen immer schneller.“

Europa in zwei Sackgassen

Im Moment, so Ehrhardt, laufe Europa in zwei Sackgassen zugleich: Einerseits werde die lockere Geldpolitik in eine Inflation münden. Andererseits würden Länder wie Griechenland kaputtgespart. „Eigentlich“, sagt Ehrhardt, „müsste ich meinen Kunden sagen, dass es in den nächsten Jahren nicht um Vermögensvermehrung gehen kann, sondern nur noch um Kapitalerhalt.“ Doch die Kunden, sagt Ehrhardt, verlangen fünf bis zehn Prozent Rendite, „ganz gleich, was da draußen los ist“, und diese fünf bis zehn Prozent, die werde er auch schaffen.

Nur für ihn selbst, da gelten künftig andere Maßstäbe. Ehrhardt hat zwei Stiftungen gegründet, die seinen Eltern gewidmet sind, spendet hie und da was für Greenpeace, die tibetische Sache, für Werte, die ihm wichtig sind. Er möchte etwas zurückgeben, sagt Ehrhardt, auch wenn er nicht wisse, warum. Er wisse nur, dass Geld einen abnehmenden Grenznutzen hat: „Irgendwann hat man genug, will nicht noch mehr.“

Ehrhardts Sohn Jan steht bereits in den Startlöchern, um seinen Vater zu beerben. Er ist noch jung. Und will mehr.

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