Julian Nagelsmann konnte seine Begeisterung kaum zügeln: „Er war wie eine Lebensversicherung, überragend gut“, schwärmte der Bayern-Coach im August über Stürmerstar Robert Lewandowski nach dem Supercupduell gegen Borussia Dortmund. Beim 3:1-Sieg der Bayern war Lewandowski an allen drei Toren beteiligt. Klar, einen Spieler mit einer solchen Torgarantie würden auch andere Vereine liebend gerne aufs Feld schicken. Aber die Kombination aus „Lebensversicherung“ und „überragend gut“ wirkte trotzdem aus der Zeit gefallen.
Als Lebensversicherungen noch „überragend gut“ waren, da standen Bundesligatrainer auch noch in ausgebeulten Sporthosen und mit Klemmbrett am Spielfeldrand. Die Spieler tranken nach einem Sieg in der Kabine zusammen Bier – anstatt sich in der Kühlkammer auf den nächsten Einsatz vorzubereiten.
Neuerdings wird über die Qualität von Lebensversicherungen in Deutschland ähnlich heftig diskutiert wie über Sinn oder Unsinn einer Abwehrviererkette auf dem Fußballfeld. Spätestens seit die Bundesregierung die Garantieverzinsung neuer Verträge von 2022 an auf 0,25 Prozent deckelte und Branchenprimus Allianz die Abkehr von der Beitragsgarantie hoffähig machte, misstrauen viele Verbraucher ihrer einst liebsten Altersvorsorge. Jetzt steuert auch noch die Inflation auf vier Prozent zu und übersteigt damit die mickrigen Erträge vieler Verträge. Viele Versicherer haben Probleme, die vor allem den Altkunden garantierten Leistungen zu erwirtschaften. Ein Viertel der etwa 80 deutschen Lebensversicherer sei angezählt, heißt es in Alarmmeldungen.

Lohnt der Abschluss einer Lebensversicherung überhaupt noch? Wenn ja, bei wem? Und sollten Altverträge fortgeführt werden? Neben klassischen Verträgen mit Garantiezins bieten viele Versicherer heutzutage neue Konzepte an, die bei abgesenkten Garantien mehr Spielraum bei der Kapitalanlage haben sollen – um den Niedrigzinsen zu entkommen. Als „zeitgemäß“ und „chancenreich“ preisen die Anbieter sie an. Sind sie das tatsächlich?
Hilfestellung bei der Wahl des Anbieters gibt das exklusive Rating der WirtschaftsWoche. Es zeigt, welche Lebensversicherer dem zunehmenden Druck standhalten und wo die Kunden auf höhere Auszahlungen hoffen dürfen. Seit 1997 ermittelt es die Gesellschaften, die beste Chancen auf Überschüsse oberhalb des garantierten Mindestniveaus bieten. Dabei geht es nicht um vergangene Erfolge, sondern um die künftige Leistungsfähigkeit (hier geht es zu den Ergebnissen).
Besonders gut schneiden im Rating – durchgeführt vom Hamburger Datenspezialisten Ascore Analyse – Versicherer ab, die über viel freies Risikokapital verfügen. Sie haben finanzielle Polster, können riskanter und damit auch renditestärker anlegen. Denn sie müssen nicht fürchten, dass mögliche Anlageverluste die gegenüber den Kunden gemachten Versprechen gefährden.
Die Methodik des Ratings
Welche Lebensversicherer bieten ihren Kunden die besten Renditechancen? Diese Frage beantwortet die WirtschaftsWoche schon seit 24 Jahren. Der zentrale Ansatz ist in all den Jahren gleich geblieben: Je mehr Kapitalpolster Versicherer haben, desto rentabler können sie anlegen. Sind auch die Kosten niedrig und werden Kunden an Überschüssen fair beteiligt, ist die „Leistungsfähigkeit für den Kunden“ hoch. Die Methode hat der Finanzwissenschaftler Jörg Finsinger entwickelt. Die Hamburger Ascore Analyse wertet dafür die Geschäftsberichte aus und prognostiziert die Überschüsse. Dabei kommt es nicht auf vergangene Erfolge an, sondern auf die Verzinsung der Kapitalanlagen, die Versicherer im Modell künftig erzielen können. Die vergangene Verzinsung wird nur zum Vergleich dokumentiert, ohne Einfluss auf das Rating. Die künftige Verzinsung („realistischer Zins auf die Kapitalanlagen“) steigt mit dem frei verfügbaren Kapital eines Versicherers, das nicht durch feste Kundenansprüche gebunden ist. Dieses Kapital kann riskanter und damit renditestärker angelegt werden. Im Modell bringen sichere Anlagen langfristig 1,8 Prozent im Jahr, bei riskanteren werden 5,3 Prozent angesetzt.
Ein Beispiel: Ratingsieger Europa kommt auf 7,2 Prozent Anteil des freien Risikokapitals an den Kapitalanlagen. Weil für Versicherer strenge Regeln gelten, sind Totalverluste quasi ausgeschlossen. Daher können sie im Modell das 1,91-Fache ihres freien Risikokapitals riskanter investieren. Dieser Faktor basiert auf statistischen Verlustrisiken. Damit könnte die Europa Lebensversicherung 13,8 Prozent riskanter anlegen (1,91 mal 7,2 Prozent). Diese 13,8 Prozent des Kapitals bringen annahmegemäß 5,3 Prozent Rendite, die übrigen 86,2 Prozent 1,8 Prozent. Das ergibt 2,3 Prozent realistischen Zins.
Kosten drücken Rendite
Entscheidend ist auch, welchen Beitragsanteil Vertreter und Verwaltung verbrauchen (Kostenquoten). Außerdem, wie viel Kunden erhalten (Ausschüttungsquote). Diese Werte (realistischer Zins auf die Kapitalanlagen, Kostenquote und Ausschüttungsquote) werden mit branchenüblichen Niveaus verglichen. Schneidet der Versicherer besser ab, steigt die Leistungsfähigkeit. Bei hoher Leistungsfähigkeit sollte der Versicherer sein Zinsversprechen auch künftig halten können und Überschüsse erzielen. Eine negative Abweichung von über 100 Prozent zeigt, dass Kunden laut Modell theoretisch mit keinen Überschüssen rechnen dürfen. In der Realität kann dies dennoch gelingen.
Abkehr von der Garantie
Die meisten Versicherer versuchen, sich diesen Spielraum selbst zu schaffen – indem sie im Neugeschäft Garantien reduzieren. Viele belassen es nicht nur beim abgesenkten Garantiezins, sondern wollen lieber Verträge ganz ohne Garantiezins verkaufen. Die Policen der „Neuen Klassik“ zählen zu dieser Kategorie. Hier wird das Geld der Kunden zwar wie in den klassischen Policen angelegt, also nicht individuell in Fonds wie bei Fondspolicen, sondern kollektiv und überwiegend zu festen Zinsen. Doch den Kunden wird mittlerweile in den meisten dieser „Neue Klassik“-Verträge nur eine Rückzahlung unterhalb ihrer Beitragssumme garantiert, zeigt eine Auswertung des Analysehauses Assekurata. Marktführer Allianz, der rund ein Viertel der deutschen Lebensversicherungskunden bedient, garantiert bei neuen Verträgen generell nur noch ein Guthaben von maximal 90 Prozent der Beiträge – abgesehen von wenigen Ausnahmen, bei denen eine Beitragsgarantie vorgegeben ist, etwa bei Riester-Verträgen.
Was nach einer Verschlechterung klingt, muss keine sein. Über 60 Prozent der eigenen Neukunden wählten bei Fondspolicen seit Jahren bewusst Verträge komplett ohne Garantie, sagt Andreas Billmeyer, Leiter Risikomanagement beim Münchner Versicherer LV 1871. „Etwas weniger Garantie kann mehr Sicherheit bringen“, sagt Herbert Schneidemann, der nicht nur Vorstandschef der Versicherung BL die Bayerische ist, sondern auch der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), also der Vertretung der Versicherungsmathematiker. In Zeiten von Niedrig- und Negativzinsen seien die Begriffe nicht mehr wie im Duden als Synonyme zu verwenden, erklärt Schneidemann. Er persönlich besitze noch klassische, hoch verzinste Altverträge, aber auch eine fondsgebundene Versicherung ohne Garantie. Gerade mit Blick auf die Inflation rät Schneidemann beim Neuabschluss zum Beispiel zu einer Police, die nur 80 Prozent der Einzahlungen garantiert. Schon dieses reduzierte Garantieniveau reiche, um nennenswert in Aktien investieren zu können – bei entsprechend besseren Renditen und dennoch geringem Verlustrisiko. Das bringe mehr Sicherheit als eine volle Beitragsgarantie, die die Kapitalanlage stark einschränke – und am Ende, nach Abzug der Inflation, dann zu Kaufkraftverlusten führe.
„Das sind die üblichen Absichtserklärungen der Versicherer“, widerspricht ein anderer Versicherungsmathematiker: Axel Kleinlein. Der Branchenkritiker führt die Verbraucherschutzorganisation Bund der Versicherten und sagt: „Die Möglichkeiten, stärker in Aktien zu investieren, bestehen seit zwei Jahrzehnten.“ Doch die Versicherer hätten sie nie genutzt. Er hält der Assekuranz vor, sich insbesondere in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit bis zu vier Prozent Garantiezins „total übernommen“ zu haben. „Sie hatten keinen Plan, wie sie diese hohen Garantiezinsen auf Dauer stemmen wollen.“ Das gehe heute auch zulasten langjähriger Kunden.
Tatsächlich haben die Lebensversicherer im aktuellen Zinsumfeld zunehmend Schwierigkeiten, ihre Zusagen zu erfüllen. Auch deshalb drängen sie bei der Riester-Rente darauf, die gesetzlich vorgeschriebene Beitragsgarantie endlich zu kippen. Sonst werde es schon nächstes Jahr kaum noch Anbieter dafür geben. Die extrem niedrigen Erträge sicherer Anlagen reichten dann schlicht nicht mehr, um die den Kunden berechneten Kosten wettzumachen. Stark ins Risiko gehen – in der Hoffnung, dass sich die Garantie am Ende schon erfüllen lässt – dürfen die Versicherer nicht. Sie investieren weiter überwiegend in festverzinsliche Papiere mit langen Laufzeiten. Ende 2020 machten die 82,5 Prozent aller Kapitalanlagen aus. Aktien standen hingegen nur für 4,6 Prozent. Nur in wenigen Nischen, etwa bei Infrastrukturinvestments von Autobahnen bis zu Windparks, profitieren Lebensversicherer von ihrem langfristigen Anlagehorizont und werden mit verlässlichen Einnahmen belohnt.