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Ratingagentur warnt Versicherungskunden drohen starke Einbußen

Wer eine Lebenpolice hat, zahlt die Zeche für die Finanzkrise. Laut Ratingagentur S&P dürfte die Gewinnbeteiligung wegen des niedrigen Zinsniveaus bald kräftig sinken. Die Lebensversicherung wird zum Auslaufmodell.

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Zentrale der Ratingagentur Standard & Poor`s: Die Ratingagentur warnt vor sinkenden Zinsen für Versicherte. Quelle: dapd

Düsseldorf Kaum ein Vorsorgeprodukt wurde in diesem Jahr derart gebeutelt wie die Lebensversicherung. Nachdem die meisten Gesellschaften die Überschussbeteiligungen für dieses Jahr auf knapp vier Prozent senken mussten, griff das Bundesfinanzministerium beim Garantiezins hart durch. Für Neuverträge ab 2012 hat die Aufsichtsbehörde jetzt den Garantiezins auf den Sparanteil von 2,25 auf 1,75 Prozent gesenkt.

In Zukunft müssen sich die Versicherten mit noch weniger Zinsen begnügen. Das prophezeit zumindest die Ratingagentur Standard & Poor’s. Viele deutsche Lebensversicherer werden nach einer aktuelle Analyse in den kommenden Jahren ihre Gewinnbeteiligung senken müssen, um ihre langfristige Finanzstärke zu sichern.„Nachhaltig niedrige Zinsen, volatile Finanzmärkte und steigendes Kreditrisiko dämpfen die Aussichten für die Entwicklung der Rohüberschüsse und erhöhen zugleich den Druck auf die Lebensversicherer, ihre Gewinnbeteiligung zu reduzieren,“ sagte Wolfgang Rief, Versicherungsanalyst bei Standard & Poor’s.

Die Branche klagt. Die Niedrigzinspolitik in Europa sei für die Versicherer „weit schlimmer als jede Abschreibung auf griechische Staatsanleihen“, sagt Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Sein Verband sieht schon die Altersvorsorge der Deutschen in Gefahr. „Die Bezüge werden im Ruhestand geringer ausfallen als ohne Niedrigzinsstrategie“, sagte Hoenen und fordert ein Exit-Szenario aus der aktuellen Zinspolitik.

Für 2011 lag die durchschnittliche Gewinnbeteiligung der Lebenpolicen bei rund 4,1 Prozent. Für dieses Jahr senken fast zwei von drei Gesellschaften ihre Überschussbeteiligung, darunter Branchengrößen wie Allianz oder R+V Leben. Ein Vergleich des Analysehauses Morgen & Morgen für Handelsblatt Online unter 72 Gesellschaften zeigt: Im Schnitt liegt die laufende Verzinsung nur noch bei 4,05 Prozent. Vor zehn Jahren lag der Satz noch bei mehr als sieben Prozent.

Und der Trend zeigt weiter abwärts. „Für die jetzt vor Jahresende 2011 zu beschließende Gewinnbeteiligung für 2012 erwarten wir angesichts des großen Wettbewerbdrucks nur eine relativ geringe Absenkung,“ sagte S&P-Analyst Rief. „Jedoch erwarten wir weitere Absenkungen für die Jahre danach, wenn das Zinsniveau nachhaltig niedrig bleibt.“

Die Krise trennt die Spreu vom Weizen. Finanzstarke Unternehmen mit hohen Investmenterträgen und soliden Risikoüberschüssen sollten laut S&P ihre Gewinnbeteiligungen nur geringfügig absenken müssen. Schwächere Gesellschaften dagegen dürften deutlich senken und es künftig im Wettbewerb sehr schwer haben.

Schon jetzt sind die Unterschiede enorm. Die laufende Verzinsung bestimmt neben dem Garantiezins maßgeblich die Rendite einer Police. Jedes Jahr legen die Versicherer diese Messgröße neu fest. Um bis zu 0,4 Prozentpunkte geht die Überschussbeteiligung 2011 runter. Die höchste Überschussbeteiligung bieten Targo mit 4,8 Prozent sowie Europa und Fortis mit jeweils 4,5 Prozent. Am Ende des Marktes liegen der Münchener Verein mit 3,00 Prozent sowie VPV und Öffentliche Berlin mit 3,25 beziehungsweise 3,4 Prozent.


Branchenkrise belastet die Versicherten

Und selbst mit diesen Sätzen zahlen die Versicherer noch mehr als sie sich aktuell eigentlich leisten können: "Die meisten Gesellschaften dürften angesichts der niedrigen Zinsen aktuell ihre Reserven angreifen", sagt Martin Zsohar, Geschäftsführer bei Morgen & Morgen. Auch das Kölner Ratinginstitut Assekurata registriert ein massenhaftes Absinken der Verzinsung. Die Branche bezeichnet die Renditen gleichwohl als immer noch "attraktiv".

S&P malt ein düsteres Bild der Branche. Die deutschen Lebensversicherer sitzen zwischen allen Stühlen. Auf der einen Seite fordern Versicherer, Aufsicht und Aktionäre die Kapitalerfordernisse zu senken und Profitabilität zu erhöhen. Auf der anderen Seite meiden Kunden Lebenpolicen, wenn sie keine langfristige Garantien und hohe Gewinnbeteiligungen erhalten.

Noch in diesem Jahr müssten die Versicherer wegen des niedrigen Zinsniveaus Mittel für die Bildung einer Zusatzreserve bereitstellen. Allein wegen dieser Sicherheitsmarge soll laut S & P die Gewinnbeteiligung sinken..

Die Folge: Die Lebensversicherung könnte zum Auslaufmodell werden. S&P empfiehlt alternative Produkte mit veränderten Garantiekonzepten oder Hybridprodukte, die den Gesellschaften eine langfristige Finanzstärke erhält. Solche neuen Produkte könnten etwa flexiblere Garantien, die sich den Entwicklung der Finanzmärkte anpassen sein. Bislang lieben die Deutschen allerdings ihre Lebensversicherung. Jedes Jahr zahlen sie mehr als 80 Milliarden Euro an Beiträgen, jeder Einwohner besitzt im Schnitt 1,2 Verträge - Greise wie Kinder inklusive.

Die laufende Verzinsung ist beim Abschluss aber nicht alles. Was letztlich übrig bleibt, hängt auch an den Kosten für Abschluss und Verwaltung. Bei Direktversicherern gehen gut sieben bis acht Prozent der Beiträge dafür drauf, bei vertriebsintensiven Gesellschaften 12 bis 15 Prozent. Die teuersten Gesellschaften verlangen sogar bis zu 18 Prozent. "Die Renditen variieren je nach Laufzeit, unter dem Strich können Kunden im Schnitt mit vier Prozent per Anno rechnen", sagt Zshoar.

"Heute braucht niemand mehr eine solche Police", lautet das vernichtende Fazit von Michael Wortberg von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. " Das Produkt ist zu unflexibel und steuerlich nicht mehr bevorteilt".


Warnung vor dem Abschluss

Bisher lautete die Devise, dass eine Kapitallebensversicherung für Gutverdiener mit sicherer Anstellung noch geeignet sei. Das gelte bei sinkender Rendite und attraktiven Alternativen im Gegensatz zu Rentenvarianten für das Standardprodukt so nicht mehr. Je nach Status empfiehlt Wortberg drei unterschiedliche Strategien: Wer vor 2004 seinen Vertrag abgeschlossen habe, solle diesen "einfach weiter laufen lassen". Denn hier bleibt der Steuervorteil erhalten.

Bei neueren Verträgen müsse man genauer schauen. Wer knapp bei Kasse ist oder einen schlechten Anbieter hat, sollte eine Beitragsfreistellung prüfen. Eine komplette Kündigung ist dagegen nicht ratsam, da die Verluste zu hoch wären. Auch dem Verkauf steht der Verbraucherschützer sehr skeptisch gegenüber: "Die uns bekannten seriösen Anbieter übernehmen so junge Policen nicht. Und von Angeboten, die Auszahlungen auf Raten oder Ähnliches versprechen, raten wir in der Regel ab."

Neukunden sollten dagegen keine neue Lebensversicherung abschließen. "Es gibt genügend andere gute Produkte", so Wortberg.

Mit Material von dpa.

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