
Die Steuerregeln für Renten haben sich 2005 grundlegend geändert. Bei der Umstellung musste die damalige rot-grüne Bundesregierung eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts beachten: Wichtig sei, so die Verfassungsrichter, „dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird“ (2 BvL 17/99). Jeder Rentner müsse wenigstens so viel an Rente steuerfrei erhalten, wie er vorher an Rentenbeiträgen steuerpflichtig eingezahlt habe. Eine neue, noch unveröffentlichte Studie im Auftrag der Vers Versicherungsberater Gesellschaft, einer Honorar-Versicherungsberatung aus Berlin, deutet jedoch darauf hin, dass die Vorgabe nicht eingehalten wird. Spätestens ab 2020 würden sich die Fälle einer Zweifachbesteuerung häufen, schreiben die Autoren, der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Günter Siepe und der Finanzmathematiker Werner Siepe. Bei Rentenstart 2040 überstiegen die steuerpflichtig gezahlten Beiträge die steuerfrei kassierten Renten um rund 46 000 Euro.
Bei 30 Prozent Grenzsteuersatz müssten diese heute 40-Jährigen später bis zu 14.000 Euro zu viel Steuer zahlen. Zum Hintergrund: Seit der 2005 erfolgten Umstellung, bleiben Rentenbeiträge teilweise steuerfrei. Aktuell liegt der steuerfreie Anteil bei 82 Prozent, er steigt um zwei Prozentpunkte pro Jahr. Im Gegenzug müssen Rentner einen Teil ihrer Rente versteuern. Dieses Jahr startende Neurentner müssen lebenslang 72 Prozent versteuern; ab 2040 sind es 100 Prozent. Schon vor mehr als zehn Jahren hatte es Kritik gegeben. So monierten Experten des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (später in der Deutschen Rentenversicherung aufgegangen) eine unzulässige Zweifachbesteuerung. Sowohl die Bundesregierung als auch eine Sachverständigenkommission sahen das anders. Die Kommission leitete der Finanzwissenschaftler Bert Rürup, heute Präsident des Handelsblatt Research Institutes, das, wie die WirtschaftsWoche, zur Verlagsgruppe Handelsblatt gehört.





Die neue Studie berücksichtigt Rechengrundlagen, die bei der Umstellung vor über zehn Jahren noch nicht bekannt waren. So stützen sich die verwendeten Werte auf den Rentenversicherungsbericht 2015, der deutlich niedrigere Steigerungen bei Renten und Beiträgen prognostiziert als damals absehbar. Wie die frühere Kommission betrachten auch die Studienautoren bei jedem Rentner 45 Beitragsjahre und 17 Rentenjahre. Allerdings basierten die Berechnungen der Kommission auf einem Höchstbeitragszahler.
Die Autoren gehen vom jeweiligen Durchschnittsverdienst und entsprechendem Beitrag aus. Hauptunterschied ist jedoch, wie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Ruhestand rechnerisch berücksichtigt werden. Die Studienautoren werten diese – anders als die frühere Kommission – nicht als steuerfreie Rententeile. Zwar würden diese Beiträge direkt von der Rentenkasse abgeführt und steuerlich als Sonderausgaben abgezogen.
Der steuerliche Abzug stehe aber jedem zu und sei kein Privileg der Rentner. Es sei daher „aus steuersystematischer Sicht höchst fragwürdig“ die Beiträge als steuerfreie Rente zu werten. Der frühere Kommissionsleiter Rürup weist die Kritik zurück. Die Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge sei sorgfältig geprüft worden. „Die vorgeschlagene Lösung war sachlich und inhaltlich richtig.“ Endgültige Klärung dürften erst Gerichtsurteile bringen, wenn betroffene Rentner sich gegen eine vermutete Zweifachbesteuerung wehren wollen.