Spekulanten Das Geschäft mit dem Börsenabsturz

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Nationales Durcheinander

Was den Shorties in die Hände spielt: Sie können nicht nur auf Derivate an den Terminbörsen, sondern auch an andere Finanzplätze ausweichen. Großbritannien, anders als 2008 nicht im Zentrum der Krise, will mit Rücksicht auf seinen Finanzplatz Leerverkäufe nicht verbieten.

Belgien dagegen verbietet Banken sogar den Verkauf von Zertifikaten. Hierzulande sind nur ungedeckte Leerverkäufe, also Verkäufe von Papieren, die der Shortseller sich nicht einmal geliehen hat (siehe Shortfacts auf der ersten Seite dieses Artikels) komplett verboten. Bei Aktien von zehn Banken und Versicherungen müssen Shorties größere Leerverkaufspositionen melden. Übersteigen diese 0,5 Prozent des Börsenwerts der Bank, werden sie auf der Internet-Seite der Finanzaufsicht BaFin veröffentlicht. Der Shortie allerdings bleibt anonym, ihn kennt nur die BaFin.

Die neue EU-Börsenaufsichtsbehörde ESMA würde Regeln für Leerverkäufe gern vereinheitlichen. ESMA-Chef Steven Maijoor sagte Anfang August, europaweite Regeln müssten „so schnell wie möglich“ eingeführt werden, aber man lässt ihn nur Konferenzschaltungen zwischen nationalen Aufsichtsbehörden organisieren. Die ESMA besitzt zwar die Macht, für alle 27-EU-Staaten gleiche Regeln zu erlassen und Leerverkäufer an die Kette zu legen. „Weil Leerverkäufe nicht den Tatbestand der Marktmanipulation erfüllen, geht das allerdings nur, wenn der EU-Rat gemeinsam das Vorliegen einer Krisensituation feststellt“, sagt Kai Schaffelhuber, Rechtsanwalt bei Allen & Overy. Die Staats- und Regierungschefs allerdings dürften sich hüten, offiziell eine Krise auszurufen. Der europäische Regulierungs-Flickenteppich wird also erst einmal Bestand haben.

Privatanleger sollte dies nicht stören. Ärgerlich ist für sie etwas anderes: Um Leihgebühren zu kassieren, leihen Fonds Aktien nur allzu gern an Shortseller aus. „Ich schätze, dass Wertpapierleihe in Großbritannien von 70 bis 90 Prozent aller Fonds betrieben wird“, sagt Simon Crown, Partner bei der Anwaltsfirma Clifford Chance in London. In Deutschland dürfte die Quote kaum niedriger sein.

Wenn Shortseller die Kurse überbewerteter Aktien korrigieren, mag dies gesamtwirtschaftlich noch so erwünscht sein – für den einzelnen Aktionär oder Fondsanleger ist es schmerzhaft. Michael Frick von der Fondsgesellschaft Lupus alpha sagt: „In engen Marktsegmenten können Leerverkäufe zu extrem übertriebenen Reaktionen bei Aktienkursen führen. Insofern ist das Instrument der Leerverkäufe ein zweischneidiges Schwert.“

Der Brite Lord Paul Myners, ehemals Chef der Fondsgesellschaft Gartmore und 2008 als Finanzstaatssekretär eine Schlüsselperson bei der Bankenrettung, sagte der WirtschaftsWoche: „Diese Leihe-Praxis ist mit größeren Risiken verbunden, als viele wissen. Auch die Aufsichtsbehörden haben den potenziellen Gefahren bisher nicht die nötige Bedeutung beigemessen.“

Mitgefangen, mitgehangen...

Fonds laufen Gefahr, dass sie einmal verliehene Papiere nicht zurückbekommen. Es gibt seitenlange Listen der US-Börsenaufsicht SEC, mit Aktiennamen, bei denen es zu Lieferausfällen oder  -verzögerungen zwischen Kontrahenten kam. Bei den Fonds kommen zwar Sicherheiten ins Spiel, die Shortseller hinterlegen müssen. „Diese Sicherheiten können aber unter Umständen nicht angemessen sein“, warnt Myners, der heute einen Hedgefonds führt, der, wie er betont, keine Shortgeschäfte macht.

Gemessen an dem Risiko, Aktien im Ernstfall nicht zurückzubekommen – etwa dann, wenn ein großer Hedgefonds pleitegegangen ist –, ist der Nutzen der Leihegeschäfte für Fondsanleger gering. Fonds-Weltmarktführer BlackRock etwa sagt, man zahle 60 Prozent der Einnahmen aus der Wertpapierleihe in die Fonds und behalte 40 Prozent, um die mit der Leihe verbundenen Kosten abzudecken. Lord Myners aber fragt: „Und wie steht es mit dem Risiko? Wird das auch im Verhältnis 40 zu 60 aufgeteilt, oder bleibt es doch zu 100 Prozent beim Anleger?“

Die Antwort dürfte klar sein. 

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