TK-Vorstandschef Baas „Wir haben zu viele Krankenhausbetten“

Für Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, treibt die Anzahl der Krankenhausbetten die Kosten im Gesundheitssystem in die Höhe. Quelle: imago images

Für Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, treibt die Anzahl der Krankenhausbetten die Kosten im Gesundheitssystem in die Höhe. Die Trennung zwischen gesetzlicher Krankenkasse und privater Krankenversicherung würde er gerne überwinden.

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WirtschaftsWoche: Herr Baas, rechnet die Techniker Krankenkasse wegen der Rekordhitze, die vielen Menschen zu schaffen macht, mit höheren Ausgaben?
Jens Baas: Der Sommer ist für uns keine teure Saison. Finanziell spürbar sind hingegen die Grippewellen zwischen Herbst und Frühjahr.

Wie gehen Sie mit den hohen Temperaturen um?
Heute trage ich keinen Anzug, sondern legere Kleidung. Allerdings nur, weil ich später noch zu den Harley-Days in Hamburg gehen will.

Auch so wird es für die Krankenkassen teurer, denn Gesundheitsminister Jens Spahn fordert mehr Leistungen ...
... oder dass wir die Beiträge senken. Beides sollen wir aus den Rücklagen finanzieren. Für die Techniker Krankenkasse macht das in den kommenden drei Jahren einen Betrag von rund einer Milliarde Euro aus.

Wofür müssen Sie konkret mehr Geld ausgeben?
Spahn will etwa den Medizinischen Dienst, der Abrechnungen der Krankenhäuser prüft, von den Krankenkassen loslösen. Kliniken, die korrekt abrechnen, sollen seltener, schwarze Schafe strenger geprüft werden.

Wieso soll das mehr kosten?
Ziel der Reform ist es, die Zahl der Prüfungen zu reduzieren. Abrechnungsbetrug könnte zunehmen oder öfter unentdeckt bleiben, sodass die Kosten steigen.

Die Kassen sitzen auf 20 Milliarden Euro an Rücklagen, daher überzeugt das Kostenargument nicht wirklich.
Momentan geht es der GKV gut, auch dank der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Allerdings reichen die Rücklagen nur für die Ausgaben von wenigen Wochen. Einmal abgebaut, lassen sie sich nicht mehr einsetzen, um Beitragserhöhungen abzufedern. Wenn wir jetzt allzu drastisch die Beiträge senken, wird das nicht nachhaltig sein.

Jens Baas ist seit Juli 2012 Vorstandschef der Techniker Krankenkasse. Der studierte Mediziner arbeitete unter anderem als Chirurg in den Unikliniken Münster und Heidelberg. Quelle: Laif


Die Beiträge könnten sofort deutlich sinken, wenn auf überflüssige Operationen verzichtet würde.
In Deutschland haben wir zu viele Krankenhausbetten. Um die zu finanzieren, wird manchmal zu schnell eine Operation als notwendig angesehen. Manchmal gilt: Besser nichts tun als operieren.

Woran machen Sie das fest?
Ich habe selbst lange als Chirurg an Unikliniken gearbeitet. Wir mussten oft Fehler von Ärzten korrigieren, die bestimmte Eingriffe schon lange nicht mehr gemacht haben. Komplexe Operationen sollten nur spezialisierte Kliniken durchführen. Wir brauchen aber auch die Grundversorgung in der Fläche, insbesondere für Notfälle.

Kassen haben selbst getrickst und Ärzte zu falschen Diagnosen gedrängt, die dann mehr Geld brachten.
Diese Einflussnahme auf Ärzte ist inzwischen verboten. Defizite gibt es noch bei der Aufsicht. Eigentlich sollten alle Kassen unter einheitlicher Aufsicht stehen. Nach Plänen von Jens Spahn soll dies der Bund übernehmen. Dazu sollten sich die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) bundesweit für Mitglieder öffnen. Diesen Schritt versuchen sie zu verhindern, weil sie weiter unter der Aufsicht der Länder stehen wollten.

Sind die Länder weniger streng?
Bei der Aufsicht wird mit zweierlei Maß gemessen. Das widerspricht einem fairen Wettbewerb. Wie wichtig die Aufsicht ist, zeigt ein Gutachten des WIG2 Instituts für Gesundheitsökonomie in Leipzig. Danach werden Ärzte noch immer verbotenerweise beeinflusst.

Der bisherige Finanzausgleich verteilt Gelder unter den Kassen nach 80 Krankheiten, die Ärzte dann auffällig häufig diagnostizieren. Was muss sich ändern?
Der Risikostrukturausgleich ist sinnvoll, weil sich Patienten mit hohen Gesundheitskosten ungleich auf die Kassen verteilen. Wir wollen nicht, dass Kassen Versicherte selektieren. Ein Finanzausgleich muss aber resistent gegen Manipulationen sein. Der Gesetzentwurf zu dessen Reform ordnet die Verteilungsmechanismen neu und bremst Manipulationen. Das ist ein guter Weg, aber eben wirksam nur mit einer gleichen Aufsicht für alle.

Kritiker sehen die PKV auf dem Sterbebett. Ohne Privatpatienten, wie Sie, Herr Baas, ließe sich medizinische Versorgung auf dem heutigen Niveau aber nicht finanzieren.
Das stimmt so nicht. Eine Studie des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung belegt, dass rund 75,8 Prozent der Einnahmen bei Arztpraxen von Kassenpatienten kommen. 2013 waren es 74,1 Prozent. Der Umsatzanteil der GKV wächst also.

Aber 89 Prozent aller Versicherten sind Kassenmitglieder. Also bringt die PKV den Ärzten pro Patient mehr Umsatz.
Dennoch wird die wirtschaftliche Bedeutung der Privatpatienten für die Versorgung übertrieben dargestellt.

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