
In der Medizin findet derzeit eine technische Revolution statt, die neuen Optionen sind verlockend: So können wir mit Fitness-Apps oder Innovationen wie der in der vergangenen Woche präsentierten Smartwatch von Apple unseren Körper vermessen. Doch nicht nur die Herzen von Medizinern, IT- und Sportfreaks schlagen deshalb höher: In der Versicherungsbranche wird derzeit hinter vorgehaltener Hand über Krankenversicherungstarife diskutiert, die sich daran orientieren, wie viel wir uns bewegen. Noch gibt es so etwas hierzulande nicht. „Uns ist kein solcher Tarif bekannt“, sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten.
Aber der Datenschutz spräche nicht grundsätzlich dagegen: Solange die Kunden einwilligen, wäre ein solcher Tarif wohl zulässig. „Es gilt aber der Grundsatz der Datensparsamkeit, sodass wirklich nur die notwendigen Daten übermittelt werden dürften“, sagt Julius Reiter, auf Finanzen und Datenschutz spezialisierter Rechtsanwalt in Düsseldorf.
Rabatt für vorsichtiges Fahren
In der Kfz-Versicherung sammeln Anbieter bereits Daten über das Verhalten ihrer Kunden: Seit Anfang des Jahres bietet die Sparkassen-Tochter S-Direkt einen „Telematik-Tarif“ an. Kunden installieren dafür eine Box im Auto, die Daten übers Fahrverhalten speichert, etwa die Geschwindigkeit und die Zahl der Nachtfahrten. Wer vorsichtig und selten nachts oder in der Stadt fährt, kann bis zu fünf Prozent Rabatt erhalten.
Experten wie Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH in Dresden, sind jedoch skeptisch, weil die Telematik-Technik noch nicht ausgereift ist. Bei Geräten, die man bisher – außerhalb des S-Direkt-Angebots – getestet habe, bestehe die Gefahr, „dass der Rabatt eher von Zufällen als von der Fahrweise abhängt“.
Zu Telematik-Tarifen gedrängt
S-Direkt hat den Verkauf nach 1000 Policen vorerst eingestellt und prüft nun, wie das Modell in der Praxis funktioniert. Einiges aber spricht dafür, dass es künftig mehr solcher Angebote gibt: Ab Herbst 2015 soll gemäß EU-Vorgaben jeder Neuwagen ein automatisches Notrufsystem enthalten. Damit wäre eine Datenerfassung für Telematik-Tarife kein Problem mehr, die Installation einer Box unnötig.
Rechtsanwalt Reiter befürchtet nun, dass auf lange Sicht wirtschaftlicher Druck entsteht, Daten preiszugeben. „Wenn sie günstiger sind als klassische Tarife, könnten sich viele Kunden zu Telematik-Tarifen gedrängt fühlen“, sagt er.
Der Gesetzgeber, so Reiter, müsse deshalb verhindern, dass Unternehmen Druck aufbauen. „Es darf nicht sein, dass Bürger für günstige Tarife eine ständige Überwachung ihrer Fahrweise und womöglich sogar der Bewegungsprofile ihres Autos in Kauf nehmen." Das Problem: Menschen, die sich ständig kontrolliert fühlen, verkrampfen und neigen dazu, mehr Fehler zu machen.
Hinzu kommt: Eine umfassende Datenpreisgabe würde zu immer individuelleren Versicherungstarifen führen – sei es bei Kraftfahrzeug-, Kranken- oder anderen Policen. Damit drohen nicht nur Datenverweigerern höhere Beiträge, sondern auch Risikokunden. „Das aber widerspricht dem Solidaritätsgedanken bei Versicherungen“, warnt Kleinlein vom Bund der Versicherten.