Wenn es nach den Verbraucherschützern geht, sollten die Versicherer nun so wie die Autohersteller handeln. „Kaputte Autos werden vom Hersteller zurückgerufen und kostenlos repariert“, meint die Verbraucherzentrale Hamburg. „Für fehlerhafte Abrechnungen von Policen muss das Gleiche gelten.“
Der Versicherer Allianz hat gerade einen entsprechenden Prozess verloren. Daher forderten die Hamburger den Konzern auf, „ihren Kunden das ihnen zustehende Geld unverzüglich zu erstatten.“ Wenn das alle Lebensversicherer täten, könnten viele Milliarden Euro an die Kunden zurückfließen, glauben die Verbraucherschützer.
Freiwillige Rückzahlungen und dann auch noch in großem Stil wird es jedoch wohl nicht so oft geben. Zwar haben Allianz-Kunden, die ihre Kapitallebens- oder Rentenversicherung gekündigt haben, nun theoretisch einen Anspruch auf einen Nachschlag. Doch diesen müssen sie schriftlich einfordern, wie die Stiftung Warentest feststellt.
Immerhin: Ein Sprecher der Allianz kündigte nach Berichten von Nachrichtenagenturen an, betroffene Kunden zu entschädigen. Wer noch entsprechend versichert sei, bekomme automatisch eine Erhöhung der beitragsfreien Leistungen.
Urteile gegen Lebensversicherer: Worum geht es?
„Bei kapitalbildenden Versicherungen muss die Kapitalbildung auch bei den Verbrauchern stattfinden und nicht nur bei den Versicherern und ihren Vermittlern – dies von Anfang an!“
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass (auch) die zwischen Mitte 2001 und Ende 2007 gebräuchlichen Versicherungsbedingungen
· zur Abschlusskostenverrechnung (nach dem sog. „Zillmerverfahren“),
· zum Stornoabzug und
· zur Nichtauszahlung von „Kleinbeträgen“ (dort € 10,00) unwirksam sind.
Auch wenn die Urteile vom 25. Juli 2012 und 17. Oktober 2012 nur gegen den Deutschen Ring und die Generali (früher: Volksfürsorge) ergangen sind und Verträge aus der Zeit 2001 bis 2007 zum Gegenstand hatten, gelten sie im Ergebnis für alle Versicherungsnehmer, die zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 kapitalbildende Lebens- oder Rentenversicherungen abgeschlossen habe UND diese bereits gekündigt oder prämienfrei gestellt haben oder dies noch tun werden.
Fast alle Versicherungsgesellschaften sind von Mitte 1994 bis Ende 2007 den Empfehlungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gefolgt und haben mit nahezu identischen Versicherungsbedingungen gearbeitet.
Alle betroffenen Versicherungsnehmer haben Anspruch auf einen „Nachschlag“, der zumindest die Erstattung des Stornoabzugs, meistens aber auch die Erstattung eines Teils der Abschlusskosten zum Gegenstand hat.
Am größten ist der Nachzahlungsbetrag bei den Versicherungsnehmern, die ihre Verträge binnen der ersten 3 – 5 Vertragsjahre gekündigt oder prämienfrei gestellt haben.
Wie hoch der Nachzahlungsbetrag genau ist, hängt davon ab,
· mit welchen Abschlusskosten und
· mit welchem Stornoabzug
der einzelne Vertrag belastet wurde. Das weiß nur der Versicherer.
Die betroffenen Verbraucher sollten die Nachzahlungsaufforderung an den Versicherer mit einer Aufforderung zur Auskunft verbinden, rät Rechtsanwalt Bluhm.
Wurde der Rückkaufswert (= Zeitwert) um einen Stornoabzug verkürzt? Falls ja: Wie hoch war dieser?
Wie hoch war der nicht um den Stornoabzug verringerte Rückkaufswert (= Zeitwert) des Vertrages bei seiner Beendigung?
Wie hoch war das nicht um verrechnete Abschlusskosten verminderte („ungezillmerte“) Deckungskapital des Vertrages bei seiner Beendigung? Die Hälfte davon ist nämlich der vom Bundesgerichtshof zuerkannte „Mindestbetrag“, der bei früh gekündigten Verträgen regelmäßig über dem „Rückkaufswert“ liegt.
Wer hingegen eine entsprechende Versicherung gekündigt habe, müsse sich melden, um sein Geld zurückzubekommen, da beispielsweise viele Adressen früherer Kunden nicht mehr aktuell seien, so der Allianz-Sprecher. Die beanstandeten Vertragsklauseln seien inzwischen korrigiert worden.
Eine wichtige Grundlage für all dies ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. August 2011, das jetzt rechtskräftig geworden ist (Aktenzeichen 2 U 138/10). Das Gericht hat Allianz-Klauseln in Verträgen aus den Jahren zwischen 2001 und 2007 für unzulässig erklärt.
Die Folge: Ex-Kunden der Allianz können mehr Geld für ihre gekündigte Lebensversicherung erhalten, weil ihnen ein höherer Rückkaufswert und die abgezogenen Stornokosten zustehen.
Die zehn größten Lebensversicherer im Bilanzcheck
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 16,004 Milliarden Euro (absolut), 11,1 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 4,799 Milliarden Euro, 259 Prozent der Überschussbeteiligung
Stand: 8.11.2013
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 1,986 Milliarden Euro (absolut), 9,5 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 561 Millionen Euro (absolut), 268 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 2,694 Milliarden Euro (absolut), 7,1 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 1,951 Milliarden Euro (absolut), 318 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 1,652 Milliarden Euro (absolut), 6,6 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 609 Millionen Euro (absolut), 285 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 1,218 Milliarden Euro (absolut), 6,1 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 424 Millionen Euro (absolut), 209 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 1,995 Milliarden Euro (absolut), 5,1 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 593 Millionen Euro, 152 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 1,466 Milliarden Euro (absolut), 5,0 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 373 Millionen Euro (absolut), 146 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 319 Millionen Euro (absolut), 0,9 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 825 Millionen Euro (absolut), 142 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): 139 Millionen Euro (absolut), 0,7 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 229 Millionen Euro (absolut), 91 Prozent der Überschussbeteiligung
Bewertungsreserven (gibt an, wie stark der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen den Buchwert übersteigt): -160 Millionen Euro (absolut), -0,4 Prozent aller Kapitalanlagen
Bilanzpuffer (freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung): 462 Millionen Euro (absolut), 97 Prozent der Überschussbeteiligung
Nicht jeder Allianz-Kunde mit einer Lebensversicherung ist jedoch betroffen. Es geht bei dem Urteil um Kapitallebens- oder Rentenversicherungen, die zwischen 2001 und Dezember 2007 abgeschlossen und vorzeitig gekündigt oder beitragsfrei gestellt wurden. Mehr als 90 Prozent der betroffenen Verträge sind nach Angaben der Allianz beitragsfrei gestellt.
„Wir gehen davon aus, dass wir für die Erhöhung der Leistungen unserer Kunden weniger als die bereits zurückgestellten 117 Millionen Euro benötigen“, sagt Allianz-Sprecher Udo Rössler gegenüber test.de.
Insgesamt könnte auf die Lebensversicherer jedoch eine Belastung vielen Milliarden Euro zukommen. Denn auch gegen die Klauseln in den Verträgen anderer Lebensversicherer ist die Verbraucherzentrale Hamburg vorgegangen.
Der Bundesgerichtshof habe am 19. Dezember 2012 auf die Klage gegen den Versicherer Signal Iduna. Bereits am 25. Juli gab es ein Urteil gegen den Versicherer Deutscher Ring, am 17. Oktober gegen Generali und am 14. November gegen Ergo.