Verkehrte Finanzwelt Altersvorsorge: Deutschland braucht eine Erneuerung

Weitblick gefordert: Eine Rentenreform sollte sich nicht nur um die gesetzliche Altersvorsorge drehen Quelle: imago images

In der Diskussion um eine Rentenreform geht es meist um die gesetzliche Rentenversicherung. Der Blick sollte auch auf die staatlich geförderte betriebliche und private Altersvorsorge gerichtet werden.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die demographische Entwicklung in Deutschland wird perspektivisch zu einer weiteren Absenkung der Versorgungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, wenn auch indirekt über die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Schon heute bedarf es jährlicher Steuerzuschüsse in Höhe von über 100 Milliarden Euro, um das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren (sogenannte „Haltelinie“). Dies entspricht fast einem Drittel des gesamten Bundeshaushalts.

In anderen europäischen Ländern wie in Italien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich liegt die Altersrente im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Versicherten während des Arbeitslebens teilweise weit über 70 Prozent. Gleichzeitig liegt die Wohneigentumsquote in den meisten dieser Länder deutlich über der deutschen.

Angesichts der Vermögenspreisinflation in Deutschland und der derzeit galoppierenden Verbraucherpreisinflation mithin die größte Herausforderung: Wie sollen ein Vermögensaufbau und eine solide Altersvorsorge für die Jüngeren überhaupt noch möglich sein?

Eine Zusatzrente, sprich: die staatlich geförderte betriebliche und private Altersvorsorge, ist daher mehr denn je gefordert. Die hohe Inflation macht dabei die bisherigen Modelle der zweiten und dritten Säule, die vorwiegend in Nominalwerten investieren und damit voll der Geldentwertung ausgesetzt sind, dringend reformbedürftig.

Daher hat die CFA Society Germany ein Positionspapier zur Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge erstellt und darin eine Reihe von durchgreifenden Reformvorschlägen für die zweite und dritte Säule unterbreitet.

Zu den Autoren

Erweiterung des Kreises der Vorsorgenden

Bislang verfügen in Deutschland nur etwa die Hälfte der Erwerbstätigen über eine Betriebs- oder Riester-Rente. Viele Personengruppen haben kaum oder gar keinen Zugang zur zweiten Säule der Altersversorgung (bAV). Dazu zählen etwa die vier Millionen Selbständigen in Deutschland. Wichtig wäre, eine Öffnung und Ausweitung der geförderten Zusatzrente auf möglichst viele Bevölkerungskreise zu erreichen – und die betriebliche (bAV) mit der geförderten privaten Vorsorge (pAV) in einem System zusammenzufassen.

Einführung eines kostengünstigen Vorsorgemodells

Viele Gestaltungswege der bAV in Deutschland sind bislang an Zins- beziehungsweise Beitragsgarantien gebunden und unrentabel angelegt. Riester- und Rürup-Rente ziehen zudem aufgrund hoher Verwaltungs- und Vertriebskosten regelmäßig Kritik auf sich. Reformen sollten genutzt werden, um - neben anderen Zielen - eine deutliche Steigerung der Rentenhöhe zu erreichen. Als Vorbilder eignen sich Schweden und Kanada. Auch an Großbritannien können wir uns ein Beispiel nehmen.

Der Tankrabatt soll den Spritpreis drücken. Aber bislang gibt es keinen Automatismus: Selbst wenn der Ölpreis fällt, bleibt der Sprit teuer. Wer füllt sich hier die Taschen?
von Florian Güßgen

Vom schwedischen ITP/Collectum-Modell können wir lernen, dass eine zentrale Plattform für das geförderte Rentensystem extrem kosteneffizient, transparent und verbraucherorientiert arbeiten kann. Wir schlagen vor, eine derartige Plattform mit dem Bund als Träger zu installieren. Geeignet ist das Modell für Vorsorgende, die sich nicht ständig mit ihrem Altersvorsorge-Investment beschäftigen möchten. Die Plattform wählt durch ein Ausschreibungsverfahren die besten und kostengünstigsten Anbieter aus, die dann den Vorsorgenden auf der Plattform zur Auswahl stehen. Hier wird dem Beitragszahler benutzerfreundlich und standardisiert sehr viel abgenommen – und in rentable Anlagen investiert.

Die Gesamtkosten (inkl. Management und Verwaltung) liegen dort bei circa 0,20 bis 0,45 Prozent des Pensionsvermögens pro Jahr, ein Bruchteil der Riester-Kosten. Ähnlich wie in Großbritannien könnte eine automatische Teilnahme erfolgen, sofern die Beschäftigten nicht aktiv widersprechen (sogenanntes Opting-out).

Lesen Sie auch: Projekt 17 Prozent – Wie Schweden ihr Vermögen bilden

Für diejenigen, die Wert auf mehr Selbststeuerung in der Geldanlage legen, können wir uns an den kanadischen Vorsorgekonten (sogenannte Regulated Retirement Savings Plans) orientieren. Diese werden über individuelle Depots bei Direktbanken abgebildet, ausschließlich für die bAV und pAV genutzt und decken ein breites Spektrum zugelassener Assetklassen ab. Beitragszahlungen werden auch hier steuerlich abzugsfähig getätigt.

In der Ansparphase sollte in Zukunft grundsätzlich auf Garantien verzichtet werden, damit in rentablere und besser inflationsgeschütze Anlagen investiert werden kann. Durch das Modell der annuity pools besteht zudem die Möglichkeit, selbst in der Auszahlphase (Rentenphase) bei einer Rente auf Lebenszeit auf Zinsgarantien zu verzichten und so eine noch höhere Rente zu erwirtschaften.

Schneller schlau: Inflation

Ausblick: Flexibilisierung und Förderung

Neben der schwachen Wertentwicklung und den hohen Kosten der bestehenden Systeme wird häufig zu Recht auch deren Inflexibilität bemängelt. Viele alte Verträge sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Durch eine flexiblere Förderung wie in Großbritannien sollte es den Vorsorgenden ermöglicht werden, in guten Jahren verstärkt anzusparen, damit in Jahren mit niedrigerem Einkommen keine Lücke entsteht.

Ein Jahr Atomausstieg „Natürlich wäre der Strom mit Atomkraft günstiger“

Vor einem Jahr gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Kritiker halten das bis heute für einen Fehler. Zu Recht? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über mangelnden Pragmatismus und hohe Preise.

Volkswagens Sparprogramm VW macht Ernst: So will der Autobauer den Personalabbau vorantreiben

Die Volkswagen AG startet ihren Personalabbau: Dabei soll es auch ein Freiwilligenprogramm mit Abfindungen geben. Wer besonders schnell zusagt, erhält 50.000 Euro extra. Zudem wird die Altersteilzeit ausgeweitet.

Varengold Bank Was hat diese Hamburger Privatbank mit heiklen Irangeschäften zu tun?

Die Varengold Bank war Drehscheibe für den Handel mit dem Iran. Nun geben Dokumente Einblick in die mutmaßlichen Geschäfte – und offenbaren Mittelsmänner.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Policen und Verträge sollten bei Jobwechsel unproblematisch einfach mitgenommen werden können. Durch diese Maßnahmen würde die Altersvorsorge der modernen Arbeitswelt gerecht. Der höhere Anteil rentablerer Anlagen (insbesondere Aktien) in der Altersvorsorge würde die Akzeptanz dieser Anlagen in der Bevölkerung erhöhen. Dieser Impuls wird unterstützt durch Finanzbildungsinhalte auf der zentralen Plattform. Unsere Studie Positionspapier zur Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge können Sie kostenfrei downloaden.

Unser Dossier zum Download: So holen Sie mehr aus der Rente raus

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%