Die demographische Entwicklung in Deutschland wird perspektivisch zu einer weiteren Absenkung der Versorgungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, wenn auch indirekt über die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Schon heute bedarf es jährlicher Steuerzuschüsse in Höhe von über 100 Milliarden Euro, um das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren (sogenannte „Haltelinie“). Dies entspricht fast einem Drittel des gesamten Bundeshaushalts.
In anderen europäischen Ländern wie in Italien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich liegt die Altersrente im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Versicherten während des Arbeitslebens teilweise weit über 70 Prozent. Gleichzeitig liegt die Wohneigentumsquote in den meisten dieser Länder deutlich über der deutschen.
Angesichts der Vermögenspreisinflation in Deutschland und der derzeit galoppierenden Verbraucherpreisinflation mithin die größte Herausforderung: Wie sollen ein Vermögensaufbau und eine solide Altersvorsorge für die Jüngeren überhaupt noch möglich sein?
Eine Zusatzrente, sprich: die staatlich geförderte betriebliche und private Altersvorsorge, ist daher mehr denn je gefordert. Die hohe Inflation macht dabei die bisherigen Modelle der zweiten und dritten Säule, die vorwiegend in Nominalwerten investieren und damit voll der Geldentwertung ausgesetzt sind, dringend reformbedürftig.
Daher hat die CFA Society Germany ein Positionspapier zur Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge erstellt und darin eine Reihe von durchgreifenden Reformvorschlägen für die zweite und dritte Säule unterbreitet.
Zu den Autoren
Martin Hermann, CFA ist Senior Portfolio Manager für Aktien im Asset Management bei Berenberg. Martin ist seit 2012 CFA Charterholder und Mitglied der CFA Society Germany.
Peter Nies, CFA, ist Mitglied der CFA Society Germany und war viele Jahre in verantwortlichen Positionen in der Kapitalanlage der Versicherungskonzerne Zürich und Winterthur tätig.
Erweiterung des Kreises der Vorsorgenden
Bislang verfügen in Deutschland nur etwa die Hälfte der Erwerbstätigen über eine Betriebs- oder Riester-Rente. Viele Personengruppen haben kaum oder gar keinen Zugang zur zweiten Säule der Altersversorgung (bAV). Dazu zählen etwa die vier Millionen Selbständigen in Deutschland. Wichtig wäre, eine Öffnung und Ausweitung der geförderten Zusatzrente auf möglichst viele Bevölkerungskreise zu erreichen – und die betriebliche (bAV) mit der geförderten privaten Vorsorge (pAV) in einem System zusammenzufassen.
Einführung eines kostengünstigen Vorsorgemodells
Viele Gestaltungswege der bAV in Deutschland sind bislang an Zins- beziehungsweise Beitragsgarantien gebunden und unrentabel angelegt. Riester- und Rürup-Rente ziehen zudem aufgrund hoher Verwaltungs- und Vertriebskosten regelmäßig Kritik auf sich. Reformen sollten genutzt werden, um - neben anderen Zielen - eine deutliche Steigerung der Rentenhöhe zu erreichen. Als Vorbilder eignen sich Schweden und Kanada. Auch an Großbritannien können wir uns ein Beispiel nehmen.
Vom schwedischen ITP/Collectum-Modell können wir lernen, dass eine zentrale Plattform für das geförderte Rentensystem extrem kosteneffizient, transparent und verbraucherorientiert arbeiten kann. Wir schlagen vor, eine derartige Plattform mit dem Bund als Träger zu installieren. Geeignet ist das Modell für Vorsorgende, die sich nicht ständig mit ihrem Altersvorsorge-Investment beschäftigen möchten. Die Plattform wählt durch ein Ausschreibungsverfahren die besten und kostengünstigsten Anbieter aus, die dann den Vorsorgenden auf der Plattform zur Auswahl stehen. Hier wird dem Beitragszahler benutzerfreundlich und standardisiert sehr viel abgenommen – und in rentable Anlagen investiert.
Die Gesamtkosten (inkl. Management und Verwaltung) liegen dort bei circa 0,20 bis 0,45 Prozent des Pensionsvermögens pro Jahr, ein Bruchteil der Riester-Kosten. Ähnlich wie in Großbritannien könnte eine automatische Teilnahme erfolgen, sofern die Beschäftigten nicht aktiv widersprechen (sogenanntes Opting-out).
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Für diejenigen, die Wert auf mehr Selbststeuerung in der Geldanlage legen, können wir uns an den kanadischen Vorsorgekonten (sogenannte Regulated Retirement Savings Plans) orientieren. Diese werden über individuelle Depots bei Direktbanken abgebildet, ausschließlich für die bAV und pAV genutzt und decken ein breites Spektrum zugelassener Assetklassen ab. Beitragszahlungen werden auch hier steuerlich abzugsfähig getätigt.
In der Ansparphase sollte in Zukunft grundsätzlich auf Garantien verzichtet werden, damit in rentablere und besser inflationsgeschütze Anlagen investiert werden kann. Durch das Modell der annuity pools besteht zudem die Möglichkeit, selbst in der Auszahlphase (Rentenphase) bei einer Rente auf Lebenszeit auf Zinsgarantien zu verzichten und so eine noch höhere Rente zu erwirtschaften.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Ausblick: Flexibilisierung und Förderung
Neben der schwachen Wertentwicklung und den hohen Kosten der bestehenden Systeme wird häufig zu Recht auch deren Inflexibilität bemängelt. Viele alte Verträge sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Durch eine flexiblere Förderung wie in Großbritannien sollte es den Vorsorgenden ermöglicht werden, in guten Jahren verstärkt anzusparen, damit in Jahren mit niedrigerem Einkommen keine Lücke entsteht.
Policen und Verträge sollten bei Jobwechsel unproblematisch einfach mitgenommen werden können. Durch diese Maßnahmen würde die Altersvorsorge der modernen Arbeitswelt gerecht. Der höhere Anteil rentablerer Anlagen (insbesondere Aktien) in der Altersvorsorge würde die Akzeptanz dieser Anlagen in der Bevölkerung erhöhen. Dieser Impuls wird unterstützt durch Finanzbildungsinhalte auf der zentralen Plattform. Unsere Studie Positionspapier zur Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge können Sie kostenfrei downloaden.
Unser Dossier zum Download: So holen Sie mehr aus der Rente raus