Versicherung im Internet Die Online-Verweigerer

Deutschlands Versicherer wollten wissen, was ihre Kunden von ihnen im Internet erwarten. Die Ergebnisse überraschen in mehrfacher Hinsicht – und stärken vor allem das klassische Versicherungsbüro.

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Mit neuen Telematik-Diensten versuchen die Versicherer, Kunden an sich zu binden. Quelle: obs

Frankfurt Die Marketing-Strategen quer über alle Branchen predigen ihren Vorständen seit geraumer Zeit überall die gleiche Botschaft: „Wenn wir künftig weiter unsere Produkte verkaufen wollen, dann müssen wir damit im Internet vertreten sein.“ Deutschlands Versicherer wollten es genau wissen und haben ihre Kunden befragen lassen – und teils erstaunliche Antworten erhalten.

1591 Versicherungskunden haben die Meinungsforscher von der Nürnberger GfK im September im Auftrag des Branchenverbandes GDV nach ihrem Umgang mit Versicherungsprodukten befragt, hinzu kamen separat noch einmal 624, die zuletzt ihre Verträge offline in der Agentur oder beim Makler abgeschlossen haben und 363, die das online machten. Alles in allem also über zweieinhalbtausend Menschen, die im Schnitt 28 Minuten lang interviewt wurden. Zweifel an der zu geringen Grundgesamtheit gibt es damit nicht.

Das Ergebnis überrascht. Nicht deshalb, weil bereits ein Drittel aller Befragten heute schon mal eine Versicherung per Internet abgeschlossen hat. Sondern weil dies bislang weit weniger die Domäne der jungen Generation ist als landläufig angenommen wird. „Die Jungen wollen eben nicht alles im Internet machen“, sagt Karsten John, Leiter Finanzmarktforschung bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) über den weit verbreiteten Irrglauben. So sind denn auch die 40- bis 49-Jährigen die bisher häufigsten Online-Abschließer – hier waren es 36 Prozent. Dagegen waren es nur 30 Prozent der unter 30-Jährigen und immerhin 27 Prozent der über 60-Jährigen.

In der Branche sieht man diese Entwicklung mit einem gewissen Aufatmen. „Wir haben es – anders als man gemeinhin vermutet – nicht mit einer aussterbenden Zielgruppe zu tun, die die digitalen Kanäle nutzt“, betont Christian-Hendrik Noelle, Geschäftsführer für die Digitale Agenda beim GDV.

Ein deutlicher Unterschied zeigt sich auch bei den Produkten, die die Kunden im Internet abschließen. Immerhin 21 Prozent taten dies bereits bei der Kfz-Versicherung, sieben Prozent bei der Privaten Haftpflicht und fünf Prozent bei der Hausratversicherung – also alles Produkte, die sich relativ einfach erklären.

Wo hingegen eine ausführliche Beratung notwendig ist, beispielsweise bei der Berufsunfähigkeit, der Kapital-Lebensversicherung oder der Privaten Pflegeversicherung, nutzten so gut wie alle den direkten Kontakt zum Vertreter. Das ist verständlich, schließlich sind die Dinge hier doch sehr erklärungsbedürftig und komplex.


Der Wandel steht an

Warum allerdings setzen viele doch auf online? Dafür gibt es zwei Hauptgründe: 58 Prozent der Befragten sagen, dass der Abschluss dort der schnellste und unkomplizierteste Weg sei. Immerhin 48 Prozent behaupten, dass sie den günstigsten Preis finden wollten. Doch auch hier dürfte die Branche demnächst einen Wandel durchlaufen, wie ihn bereits vielen Branchen durchlaufen haben. „Die Welt, in der im Internet alles billiger ist als offline, wird es allgemein nicht mehr geben“, prophezeit Marktforscher John.

Schon heute sei in vielen Bereichen eine Trendwende zu erkennen. So hätten Kunden oftmals keine Lust mehr, online nach den günstigsten Preisen zu suchen. Eine solche Rückbesinnung sei beispielsweise im Touristikgeschäft zu beobachten, wovon die Reisebüros wieder profitieren. „Auch sind die Zeiten vorbei, in denen sich die Kunden im Geschäft beraten ließen, um dann online das günstigsten Produkt zu kaufen“, erkennt John.

Unter den befragten Versicherungskunden bezeichnen sich auch in Zukunft 55 Prozent als Online-Verweigerer. Zum einen, weil sie den persönlichen Service vor Ort mögen (54 Prozent), zum anderen, weil sie ihrem Vertreter oder Makler vertrauen (50 Prozent).
Dennoch sind sich sowohl Marktforscher als auch die Branche selbst sicher, dass der Online-Vertrieb vor allem bei den einfacheren Produkten weiter zunehmen wird, ebenso wird die Rolle der Vergleichsportale gestärkt. Denn selbst wer weiterhin dem Vertreter vor Ort die Treue hält, wird sich künftig häufiger und intensiver bereits im Internet informiert haben Schon heute tun dies gut ein Viertel der Kunden.

Und dabei sind sie alles andere als blauäugig. Dass Vergleichsportale beispielsweise keine gemeinnützigen Organisationen, weiß jeder. Immerhin 78 Prozent, die zuletzt online einen Vertrag abgeschlossen haben und 66 Prozent derer mit einem Offline-Abschluss wissen, dass die Portale beim Abschluss Provision verdienen.

Bei der Kommunikation mit den Kunden empfiehlt sich in Zukunft der Blick zur Seite. „Die Kunden vergleichen den Versicherer mit Amazon und Zalando“, sagt Marktforscher John über die, die einen besonders heißen Draht zum Kunden haben. Gerade bei denen, die schon mal eine Versicherung online abgeschlossen haben, sind die Erwartungen an die digitalen Kommunikationswege sehr hoch.

Mit dem Versicherer möchten die Kunden sich dann zwar per Mail austauschen, in sozialen Netzwerken aber nicht. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Kunde dort mit seinen Freunden über seine Versicherung unterhält, ist ungefähr so hoch, wie dass sie über ihre Zahnpasta sprechen“, so John – nämlich nahe null.

Die Zukunft des Vertriebs sieht Andrea van Aubel, Vorstand IT und Digitalisierung bei der Axa in Köln, somit in der Verknüpfung der stationären und der digitalen Welt im Vertrieb. „Auch der Berater muss im Kundengespräch digitaler werden“, fordert sie.

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