Zahllose Tarifvarianten Stolperfallen in der Rechtsschutzversicherung

Kaum eine Versicherung ist für Verbraucher so schwer zu durchschauen wie der Rechtsschutz. Worauf es bei der Police ankommt, wann sie überflüssig ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Quelle: dpa, Montage

Kurz vor der Fußball-WM hagelte es Tipps für Fans, wie Abmahnungen, Bußgelder, Streit mit dem Nachbarn oder Versicherungsfälle im Fußballfieber zu vermeiden sind. So auch von der Rechtsschutzversicherung Advocard. Denn der Spaß solle ja nicht im Streit enden. Die gut gemeinten Tipps sind nicht ganz uneigennützig, denn sie weisen auf Prozessrisiken hin und gegen die damit verbundenen Kosten kann sich jedermann mit einer Rechtsschutzversicherung schützen.

Niemand steht gerne vor Gericht. Rechtsschutzversicherer vermeiden Gerichtsverfahren zudem gern, um Kosten zu sparen. Um sein Recht durchzusetzen oder seine Unschuld zu beweisen, kann es jedoch unumgänglich sein. Übernimmt eine Rechtsschutzversicherung die Kosten für Anwalt, Zeugenentschädigung, Gutachter und Gerichtsverfahren, muss man wenigstens nicht mit Blick aufs Budget sein gutes Recht sausen lassen.

Wer aber glaubt, mit seiner Rechtsschutzversicherung wäre jede Klage oder die Verteidigung vor Gericht quasi gratis, wird oft enttäuscht. Rechtsschutzversicherungen sind gespickt mit Stolperfallen – angefangen von der Auswahl der richtigen Police bis hin zum Ernstfall gibt es zahlreiche Fälle und Ausnahmen, in denen der Versicherer die Übernahme von Gerichts- und Anwaltskosten verweigern kann.

So wird die Durchsetzung des eigenen Rechts trotz vorhandener Versicherung schnell zum finanziellen Risiko. Denn nur wer einen Prozess gewinnt, kann den größten Teil seiner Ausgaben für den Rechtsstreit auf die gegnerische Seite abwälzen. Wer aber verliert, muss unter Umständen nicht nur seine eigenen Anwalts- und Prozesskosten, sondern auch die des Gegners begleichen.

Typische Geltungsbereiche der Rechtsschutzversicherung

Tarifdickicht lichten

Um Enttäuschungen zu vermeiden, müssen Verbraucher sich daher intensiv mit ihren individuellen Risiken auseinandersetzen und anschließend eine möglichst passende Rechtschutzversicherung ausfindig machen. Das ist allerdings gar nicht so einfach.

Dominierten früher noch Kombipolicen aus Privat-, Berufs- und Kfz-Rechtsschutz, setzen Versicherer mittlerweile häufiger auf Baukastensysteme. So lässt sich der Rechtsschutz im Rahmen der angebotenen Leistungen zwar individuell zuschneiden, macht aber eine Analyse des realistischen Bedarfs und die intensive Beschäftigung mit den jeweiligen Tarifbedingungen der Versicherer unumgänglich.

Gesetzliche Mindestvorschriften für Rechtsschutzversicherungen gibt es schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat lediglich Musterbedingungen herausgegeben. Daran orientieren sich zwar viele Versicherungstarife, doch Abweichungen im Detail sind eher die Regel als die Ausnahme.

Das sind Deutschlands größte Streithähne
Die Berliner sind die streitlustigsten Deutschen. Pro hundert Einwohner gab es in der Bundeshauptstadt 2012 insgesamt 26,2 Streitfälle, die vor Gericht landeten. Während sich also in Berlin mehr als jeder Vierte zankte, war es im friedfertigsten Bundesland Bayern nur etwa jeder Sechste. Das ergab die Auswertung von mehr als einer Million Streitigkeiten von Privatpersonen aus der gesamten Bundesrepublik durch die Advocard Rechtsschutzversicherung. "Die Deutschen gelten ja gemeinhin als besonders konfliktfreudig. Wir wollten mit "Deutschlands großem Streitatlas" einmal genauer analysieren, wo und wie die Deutschen streiten und ob es in den letzten zehn Jahren Veränderungen gegeben hat", erklärt Peter Stahl, Sprecher des Vorstands, die Idee. Quelle: dpa
Im Vergleich der deutschen Großstädte mit mehr als 300.000 Einwohnern liegt Köln - eigentlich die Hochburg von Frohsinn und Karneval - sogar noch vor Berlin. Auffällig ist zudem, dass sich allein in Nordrhein-Westfalen acht der zehn streitlustigsten Städte finden. Dort liegen allerdings auch neun der 16 deutschen Großstädte über 300.000 Einwohner (ohne die Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg). Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Männer deutlich häufiger einen Streit vom Zaun brechen als Frauen. 68,1 Prozent aller Auseinandersetzungen gingen 2012 von ihnen aus, 2002 lag ihr Anteil mit 70,6 Prozent noch höher. "Bei den Gründen für Auseinandersetzungen sind sich beide Geschlechter relativ ähnlich - bis auf eine fast schon klischeehafte Ausnahme: Männer streiten sich öfter um ihr liebstes Kind, das Auto. Bei Frauen geht es dagegen häufiger um die eigenen vier Wände", erläutert Christian Vogl, Advocard-Vorstand Vertrieb und Marketing. Quelle: Fotolia
Der Anteil der männlichen Streits im Bereich "Verkehr & Mobilität" - oft rund um Verkehrsunfälle und Vertragsstreitigkeiten - liegt mit 29,1 Prozent deutlich höher als bei den Frauen mit 21,8 Prozent. Dafür sind Auseinandersetzungen im Bereich "Wohnen & Miete" bei Frauen mit 16,9 Prozent häufiger als bei den Männern mit 12,6 Prozent. Quelle: Fotolia
Am häufigsten aber streiten beide Geschlechter um Alltagsthemen: In 37 Prozent aller Streitfälle geht es um Privates, beispielsweise um Kauf- oder Mobilfunkverträge. Auch das Arbeitsleben ist immer wieder Streitthema. Darum geht es durchschnittlich in fast jedem sechsten Rechtsstreit. Nur etwas seltener gibt es Streitigkeiten im Bereich "Wohnen & Miete". Im Vordergrund stehen dabei Themen im Mietrecht wie Nebenkostenabrechnungen, Lärmbelästigung durch Nachbarn oder Schimmel in der Wohnung. Quelle: Fotolia
Ein Drittel der Auseinandersetzungen dauert länger als ein Jahr. "Wir beobachten hier seit 2009 wieder eine deutlich steigende Tendenz. Gleichzeitig nehmen die Streitwerte weiter zu", erklärt Vogl weiter. Quelle: Fotolia
Bei über einem Drittel der Streitigkeiten geht es um mehr als 2.000 Euro, in etwa elf Prozent der Fälle sogar um mehr als 10.000 Euro. "Damit gewinnt eine umfassende Absicherung durch eine Rechtsschutzversicherung an Bedeutung", stellt Vogl fest. Quelle: Fotolia

Ausschlüsse beim Rechtsschutz

„Verbraucher übersehen häufig, welche Fälle alle von ihrer Rechtsschutzversicherung ausgeschlossen werden“, bestätigt Bianca Boss vom Bund der Versicherten. „Es gibt zum Beispiel keinen Versicherer, der die Kosten für einen Rechtsstreit im Baurecht, Erbrecht oder Scheidungsrecht abdeckt. Besonders konfliktträchtige Rechtsbereiche sind somit gar nicht versicherbar.“

Beispiel Hausbau: Kaum ein Bauvorhaben geht ohne Streit mit der Baufirma oder Handwerksbetrieben über die Bühne. Zudem sind es oft hohe Summen, die im Raum stehen. Die Kosten für den Anwalt und den Prozess bemessen sich am Streitwert. Würden die Versicherer entsprechende Policen anbieten, müssten die Versicherungsbeiträge schon fast astronomisch hoch sein.

Ähnlich ist die Situation im Erbrecht oder bei Scheidungsfällen. Einige Rechtsschutzversicherer bezahlen zumindest eine erste Beratung durch den Anwalt vor dem Scheidungsverfahren. Mit dem Rest aber wollen sie nichts zu tun haben. Das gilt auch für Fälle, in denen um die Höhe von Unterhaltszahlungen gestritten wird.

Ebenso klammern die Versicherer regelmäßig juristische Auseinandersetzungen zum Urheber- und Markenrecht, zu Spiel- oder Wettverträgen, zu Kapitalanlagen und Parkverstößen im Straßenverkehr aus.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%