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Whistleblower Interne Tippgeber als Helfer der Ermittler

Liechtenstein, Siemens, VW: Interne Tippgeber helfen im Kampf gegen Steuerbetrug und Korruption. Ermittler und Unternehmen richten den Whistleblowern jetzt Internet-Portale ein – und der Staat will sie per Gesetz schützen.

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Franjo Pooth mit Gattin Verona Quelle: dpa

Volkswagen kommt nicht zur Ruhe. Noch ist die Affäre um Lustreisen auf Firmenkosten nicht verarbeitet, da droht der nächste Skandal: Braunschweiger Staatsanwälte ermitteln gegen VW-Mitarbeiter, die Schmiergeld kassiert haben sollen. „Schon in einigen Wochen ist mit einer Anklage zu rechnen“, berichtet ein Fahnder. Auf die Spur der Verdächtigen führten 2007 zwei anonyme Hinweise; die beiden offenbar bestens informierten Insider hatten über ein eigens für anonyme Hinweisgeber – im Fachjargon: „Whistleblower“ – eingerichtetes Internet-Portal des LKA Niedersachsen Anzeige erstattet.

Ohne derartige Tipps von Insidern haben Fahnder oft kaum Chancen, Wirtschaftskriminellen auf die Schliche zu kommen. Besonders Korruptionsdelikte sind schwer zu packen, pro Jahr kommen in Deutschland nur wenige Hundert Fälle ans Tageslicht. Das Bundeskriminalamt schätzt die Dunkelziffer auf „ein Vielfaches“.

Die Bundesregierung will jetzt mehr Insider animieren, brisantes Wissen über Kollegen oder Chefs preiszugeben – indem sie Whistleblower per Gesetz vor Repressalien am Arbeitsplatz schützt. Das Vorhaben versteckt sich in der Novelle des Lebensmittel- und Futtermittelrechts, die derzeit im Bundestag debattiert wird. Der bessere Informantenschutz soll nicht nur dazu beitragen, Gammelfleisch-Skandale früher aufzudecken – sondern auch Steuerstraftaten, Schmiergeld-Affären à la Siemens oder Spitzelaktionen wie bei der Telekom.

Das Gesetz ist Teil einer breit angelegten Strategie; gleichzeitig arbeiten Korruptionsermittler und Steuerfahnder in ganz Deutschland an speziellen Internet-Portalen für Whistleblower. Zudem ermuntern immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter, Vergehen von Kollegen oder Vorgesetzten zu melden. Telekom-Chef René Obermann etwa forderte seine Mitarbeiter Anfang Juni nach Bekanntwerden der Spitzelaffäre auf, Courage zu zeigen und auf Missstände hinzuweisen. „Blinde Befehlsgläubigkeit“ dürfe es nicht geben, so Obermann.

Das Problem: Anders als in den USA, wo Whistleblower geradezu hofiert werden, gelten Informanten hierzulande oft als Nestbeschmutzer und sehen sich Repressalien ausgesetzt. Bezeichnenderweise gibt es im Deutschen keinen dem englischen Whistleblower vergleichbaren Begriff für die oft aus durchaus ehrbaren Motiven handelnden Tippgeber.

Solche Mitarbeiter genießen hier zudem keinen gesetzlichen Kündigungsschutz. Wer Kollegen oder direkte Vorgesetzte anzeigt, ohne vorher Vorstand oder Geschäftsführung zu konsultieren, muss mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen. Nur wenn ein Vorstand oder ein Geschäftsführer die Straftat begangen hat, „dürften Arbeitnehmer direkt Anzeige erstatten“, sagt Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel von der Kanzlei Schwarz Kelwing Wicke Westpfahl.

Diese feine, aber oft folgenschwere Unterscheidung fiele mit der Neuregelung weg. Dem Entwurf des neuen BGB-Paragrafen 612a zufolge müssen Mitarbeiter bei einer Anzeige ohne vorherige interne Meldung keine Kündigung fürchten, sofern sie „konkrete Anhaltspunkte“ hatten, dass ein Unternehmensmitarbeiter „eine Straftat begangen hat“ und dass „eine innerbetriebliche Aufklärung nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird“ – egal, ob der Beschuldigte oberster Chef oder Kollege ist.

Die schwammigen Formulierungen im Gesetz könnten aber dazu führen, dass Arbeitnehmer Bagatellfälle anzeigen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen – etwa, wenn die verhasste Kollegin zehn Euro aus der Kasse geklaut oder Druckerpapier mit nach Hause geschleppt hat. Henkel: „Das Gesetz ist extrem weit gefasst. Ich fürchte, dass es das Denunziantentum fördert.“

Roter Teppich für Denunzianten – oder wichtiges Instrument im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität? Entschieden verteidigen die Gewerkschaften den Informantenschutz; die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aber warnt vor einem Schlag gegen die Loyalität und einem „Klima des Misstrauens“.

Die Praxis zeigt aber auch: Wer sich loyal verhält und zunächst auf eine interne Klärung setzt, stößt nicht immer auf offene Ohren – und muss sogar damit rechnen, dass der Vorfall unter den Tisch gekehrt wird. Eine aktuelle Studie der Beratungsgesellschaft PwC zeigt, dass Unternehmen nur in der Hälfte der intern zweifelsfrei als Straftaten identifizierten Fälle Anzeige erstatten – ist der Täter ein Top-Manager, liegt die Quote nur bei 40 Prozent. Hauptgrund dafür sei wohl „die Sorge um den Ruf des Unternehmens“, so die PwC-Experten.

Bisweilen belässt es die Führungsriege nicht dabei, zu vertuschen. Wie weit interne Repressalien gehen können, zeigt der Fall von Per Yngve Monsen.

Ein Maulwurf bei Siemens („Muldvarp i Siemens“) lautet der Titel des Buches, in dem Monsen seine Erlebnisse niedergeschrieben hat. Als Controller der ehemaligen Siemens-IT-Sparte SBS in Norwegen habe er seine Chefs bereits 2002 anonym auf Unregelmäßigkeiten bei Geschäften mit dem norwegischen Verteidigungsministerium hingewiesen, berichtet er. SBS habe „deutlich überhöhte“ Rechnungen ausgestellt – womöglich, so Monsens Verdacht, seien Mitarbeiter des Ministeriums geschmiert worden, damit sie bei Aufträgen an Siemens nicht so genau auf das Preis-Leistungs-Verhältnis schauten.

Als seine Chefs nicht reagierten, schickte der Zahlenexperte sein Material Ende 2003 an die Konzernzentrale in München, wiederum anonym. Bereits wenige Tage später, so Monsen, habe sein Abteilungsleiter in Norwegen vor versammelter Mannschaft verkündet, es gebe einen „Maulwurf“ – und man werde ihn finden. 2004 sei dann die komplette Abteilung im Rahmen einer „Umstrukturierung“ aufgelöst worden. Allen Mitarbeitern habe SBS danach einen neuen Job angeboten, nur ihm nicht. Siemens gab allerdings zu Protokoll, Monsen sehr wohl einen Posten offeriert zu haben.

Unbestritten ist heute, dass die SBS-Rechnungen tatsächlich überhöht waren. Siemens hat dem norwegischen Verteidigungsministerium inzwischen mehrere Millionen Euro zurückerstattet, gegen Ministeriumsmitarbeiter wird ermittelt.

Es sind Geschichten wie diese, die Arbeitnehmer mit brisanten Kenntnissen verunsichern. Besserer Informantenschutz hin oder her – oft sind Insider nur bereit, ihr Wissen preiszugeben, wenn ihre Identität den Vorgesetzten verborgen bleibt.

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