Frankreich-Wahl Drogen, Waffen, Gewalt – das Grauen der Banlieues

In vielen Banlieues, Brennpunkten der französischen Stadtränder, herrschen Gewalt und Drogenkartelle. Die Regierung kommt nur schwer dagegen an. Aber es gibt hoffnungsvolle Initiativen. Ein Ortsbesuch.

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Sinnbilder gescheiterter Integration: In den französischen Banlieues – urbanisierte Bereiche in den Randgebieten der Großstädte – herrscht Armut, Hass und Hoffnungslosigkeit. Wer es sich leisten kann, der zieht weg. Denn schon im Lebenslauf kann der Wohnort schaden. Quelle: dpa

Toulouse Françoise Roncato ist um ihren Job nicht zu beneiden – die elegante Dame auf High-Heels ist Bürgermeisterin des berüchtigten Banlieues „Les Izards“. In Toulouse ist das so etwas wie ein Synonym für Gefahr. Der Terrorist Mohammed Merah ist dort aufgewachsen. 2012 tötete er bei drei Attentaten sieben Menschen, darunter drei Kinder in einer jüdischen Schule.

Und noch heute ist Les Izards – genauso wie eine Handvoll weiterer Vororte von Toulouse – ein Hort von Drogengangs, Waffenschmugglern und Gewalt. Mit wem man auch spricht in der wohlhabenden Stadt, in dieses Viertel traut sich niemand hinein.

Roncato sieht das naturgemäß anders. „Man soll es nicht übertreiben“, fordert sie. „Ich gehe da jederzeit hin – und zwar in diesen Schuhen“, sagt sie und blickt schmunzelnd auf ihre schwarzen Pumps. „Damit rennt man nicht so schnell weg, aber das ist auch gar nicht nötig.“ In solchen „geschwächten Vierteln“ gebe es schlicht einige Regeln – wenn man die beachte, dann passiere auch nichts.

Dazu gehört, keine Fotos zu machen. Journalisten, die dort filmen oder vom Taxi aus fotografieren wollten, wurden mehrfach angegriffen. Natürlich will sich niemand in seinem Viertel fühlen wie im Zoo, erst recht nicht, wenn er ohnehin genug Probleme hat. Doch die hohe Gewaltbereitschaft lässt erahnen, wie sehr es dort brodelt.

Die Lage vieler französischer Vorstädte ist seit Jahren angespannt – wer es sich leisten kann, lebt woanders. Allein die Adresse im Lebenslauf schadet bereits: Studien belegen, dass diejenigen, die in den „sensiblen städtischen Gebieten“ wohnen, so der Behördensprech, deutlich mehr Probleme haben, einen Job zu finden.

Laut einer Studie des Nationalen Statistikinstituts (Insee) liegt die Armutsquote in den Problemvierteln mit 38 Prozent fast drei Mal so hoch wie im Rest des Landes. Das Gleiche gilt für die Arbeitslosigkeit, die dort 27 Prozent beträgt. Unter den Jugendlichen hat fsat jeder Zweite keinen Job.


Les Izards ist ein Ghetto nach sozialen Schichten

Zwar ist die Lage seit Jahren unverändert: Doch in Les Izards tut sich zumindest etwas. Über die Hälfte aller städtischen Gelder für die Renovierung oder den Neubau von Schulen fließt in das Viertel. Man sieht frisches Erdreich, wo vor kurzem noch heruntergekommene Hochhäuser standen. Enge Gassen und dunkle Ecken wurden durch offene, breite Straßen ersetzt, die alten Hochhäuser durch kleinere Bauten mit Holzbalkonen abgelöst.

Maud Joly hat vor zehn Jahren hier gewohnt. Doch das Beispiel der 35-Jährigen zeigt, wie schwierig es ist zu verhindern, dass sich ein Ghetto bildet. Die Taxifahrerin wohnte damals in einer Anlage mit Swimmingpool. „Das komplette Gelände war umzäunt und abgeschlossen“, sagt sie. „Einige dachten wohl: 'Da wohnen die Reichen'. Sie sprangen über die Zäune, um den Pool zu benutzen und haben viel geklaut.“ In der Schule ihres Sohnes gab es immer wieder Prügeleien, da ist sie weg gezogen.

Les Izards ist kein Ghetto nach Hautfarbe oder Nationalität, auch wenn viele nordafrikanischen Einwanderer und deren Nachkommen dort wohnen. Es ist mehr eines nach sozialen Schichten. Bürgermeisterin Roncato will auch das wieder ändern.

Die Hälfte aller Wohnungen dort sind Sozialbauten, mehr ist nicht erlaubt. Für die übrigen, ebenfalls größtenteils neuen Gebäude, will sie mit „attraktiven Preisen, einer attraktiven Mehrwertsteuer und hochwertigen Geschäften in der Gegend“ Käufer oder Mieter finden.

Tagsüber wirkt das Viertel wie jedes andere. Der Épicier verkauft seine Gemischtwaren, aus der Metro kommen Leute mit Einkaufstaschen. Nur ausgewählte Ecken sind anders. Vor dem einzig verbliebenen Hochhaus etwa steht ein Guetteur, ein Späher. Den schwarzen Kapuzenpulli hat er tief ins Gesicht gezogen und spielt mit seinem Handy. Vor ihm steht ein Stuhl – schließlich verbringt er viel Zeit an diesem Posten. Er steht Schmiere, um die Drogenclans zu informieren, wenn die Polizei oder sonst wie verdächtige Gestalten im Viertel unterwegs sind.

Zwei Straßen weiter stehen noch die Bungalows von einst – die meisten bereits ohne Dachziegel und größtenteils ausgebrannt. Doch einige sind noch bewohnt. Müll liegt dort in den kleinen Vorgärten, die Zufahrtstraße endet in einem Wendehammer. „Genau so sah es hier früher überall aus“, erklärt Joly. „Es gab viele Straßen, wo man nicht mehr rauskam. Aber inzwischen hat sich viel verändert.“

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