Entlasten statt ausspähen Wie Digitalisierung am Arbeitsplatz funktionieren kann

Überwachung am Arbeitsplatz. Quelle: Getty Images

Gerade in Deutschland sorgen sich viele, dass Technik am Arbeitsplatz vor allem gegen den Mitarbeiter eingesetzt wird. Dabei geht es auch besser.

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Felix Bopp, 34, sitzt am Schreibtisch im Büro seiner Stuttgarter Wohnung und drückt auf den schwarzen Buzzer vor ihm, ein rundes Gerät mit schwarzem Aufsatz. Klick, auf dem Computerbildschirm öffnet sich ein Fenster, in dem drei Projekte angezeigt werden, an denen Bopp gerade arbeitet. Er dreht den Aufsatz des Buzzers, bis er das Projekt ausgewählt hat, bei dem er weitermachen will. Klick, die Zeit läuft. An der Wand hinter ihm hängen Zeichnungen von Anzügen und Gürtelschnallen, in einem Regal liegt eine Tastatur aus Stahl und Leder, die er schon vor längerer Zeit entworfen hat.

Felix Bopp ist ein Erfinder. Der Timebuzzer ist seine neueste Erfindung, er soll das Zeiterfassen einfacher machen - und zu einer Sache, die Spaß macht.

Es gibt viele technische Tools, die erfassen und analysieren, was die Menschen im Büro machen. Und vor allem in Deutschland ist die Sorge groß, dass sie gegen den Mitarbeiter eingesetzt werden: Das Fernsehmagazin „Panorama“ berichtete kürzlich, dass Amazon in seinem Logistikzentrum im niedersächsischen Winsen Computer einsetze, um jeden Arbeitsschritt der dortigen Mitarbeiter akribisch zu verfolgen – und sie zu rüffeln, falls die Leistung abfällt.

Solche Berichte – und eine steigende Zahl ähnlicher Beschwerden, die bei den Datenschützern landen – nähren den Verdacht: Dass etwas verboten ist, heißt eben nicht, dass es nicht vorkommt. Alles, was technisch möglich ist, kann ein misstrauischer Arbeitgeber im Zweifel einsetzen.

Wie also können Firmen in Deutschland diesen Spagat schaffen: Neue Technologien nutzen, um die Arbeit angenehmer zu machen, Stress rechtzeitig zu erkennen und Projekte besser auf alle Schultern verteilen - und trotzdem sicherstellen, dass sie nicht zu Bespitzelungstools werden?

Der Timebuzzer ist ein Beispiel dafür, wie dieser Spagat gelingen kann. Heimliche Bespitzelung erlaubt der Buzzer nicht: Wer ihn bedient, kann die Daten nämlich hinterher noch bearbeiten.

Erfinder Felix Bopp sagt: „Es gibt sehr viele Unternehmen, in denen bei bestimmten Projekten die Zeit erfasst wird.“ Das funktioniere aber oft nur so mittelmäßig. Zeiterfassung sei vielen lästig, deswegen machten sie es so spät wie möglich. „Wenn ich aber am Ende einer Woche oder eines Monats versuche, die Zeit rückwirkend zu erfassen, bin ich ein paar Stunden beschäftigt, es wird ungenau und ich bin genervt.“ Mit dem Timebuzzer soll Zeiterfassung schneller und genauer möglich sein - und so etwas wie einen Spaßfaktor haben, sagt Felix Bopp. „Wenn man fertig ist, haut man auf den Buzzer.“ Wie im Fernsehen.

Seit März ist der Timebuzzer auf dem Markt, das gleichnamige Start-up hat er vergangenen Sommer gemeinsam mit Christoph Radler gegründet.

Beim Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) sucht man derzeit nach Wegen, um den Spionageschutz, der gewissermaßen im Buzzer eingebaut ist, auch auf Technologien auszuweiten, die mehr Daten verarbeiten als nur Zeitangaben.

"Wir müssen uns schützen"

Ein großes Büro mit Stühlen und runden Schreibtischen, es sieht aus wie ein normales Büro, aber im Smart Living Lab in Kaiserslautern entwickelt das DFKI intelligente Büromöbel und Technologien für den Arbeitsplatz von morgen. Die Schreibtischstühle sind beheizbar, die Scheibe zur Straße erkennt, wenn die Sonne im Inneren jemanden blenden würde und schirmt die Strahlen automatisch ab. Bis vor kurzem stand hier auch eine Infrarotkamera, die anhand der Gesichtstemperatur erkennen konnte, ob jemand gestresst ist.

„Die Bilder dieser Kamera werden nach der Analyse direkt verworfen, so dass nur die Auswertung genutzt wird, aber die Bilder nicht für andere Zwecke benutzt werden können“, sagt Heiko Maus vom DFKI. Und die Daten gehen nur an den Nutzer, um ihm ein individuelles Feedback zu geben. „Wie man am Beispiel der sozialen Netzwerke sieht, besteht die Gefahr, dass Firmen, nur um den Gewinn zu maximieren, alle verfügbaren Daten sammeln, auswerten und dabei Persönlichkeitsrechte ignorieren“, sagt Maus. „Davor müssen wir uns schützen.“ Er will es mit seinen Kollegen besser machen: Weil die Missbrauchsgefahr so groß sei, bauen sie die Technologie so, dass die Daten gar nicht erst gesammelt werden.

In einem anderen Raum zeigt Maus ein Programm, das mit einer Augenerkennungssoftware arbeitet. Liest man einen Text am Bildschirm, erkennt der Augen-Tracker, der als Leiste am Bildschirm angebracht ist, an der Größe der Pupille oder an der Lesegeschwindigkeit, ob man müde ist oder etwas nicht versteht. Bei Verständnisproblemen öffnet sich automatisch ein Fenster mit einer Zusatzerklärung, die vorgelesen wird. „Digitale Helfer sollen die Menschen bei ihrer Arbeit unterstützen, das ist unser Ziel“, sagt Maus.

Das individuelle Wohlbefinden der Mitarbeiter, ihre individuellen Talenten, das müsse mit neuen Technologien unterstützt werden, betont auch Andreas Dengel, Standortleiter des DFKI. Mit seinen Forschungen will er dazu einen Beitrag leisten und weiß doch um seine Grenzen – und appelliert deshalb an den Gesetzgeber: Es brauche auch genauere Regeln, wie Beschäftigtendaten verarbeitet werden dürfen. „Die Würde des Menschen muss auch bei seiner virtuellen Existenz geachtet werden. Es sind meine Daten und ich muss bestimmen dürfen, wer sie nutzen darf.“

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