Jamal Khashoggi Wie der technologische Fortschritt Demokratie auffrisst

Demokratie durch technologischen Fortschritt gefährdet Quelle: imago images

Saudi-Arabien, China, Russland, das Silicon Valley – die mit viel Geld aufgepumpten Plattformen und immer globaleren Netzwerkeffekte sind zur Bedrohung der westlich-liberalen Demokratie geworden. Wachen wir endlich auf.

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Ein Journalist ist offenbar ermordet worden, eine Investoren-Konferenz wird zur Image-Belastung, die führenden Politiker dieser Welt prangen an – seit dem Tod des saudischen Regierungskritikers Jamal Khashoggi und der ungeheuerlichen Vermutung, der junge saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman könnte mit der mutmaßlichen Ermordung zu tun haben, ist offen zu Tage getreten, was schon immer ein Problem war: Der technologische Fortschritt, oder genauer: die Art, wie er bisher finanziert und in Geschäftsmodelle umgesetzt wird, frisst immer schneller die Grundpfeiler der westlichen Gesellschaft wie Demokratie, Liberalismus und freien Wettbewerb auf.

Die Player und die Orte des Geschehens sind vielfältig und um die Welt verteilt. Da ist eben Saudi-Arabien. Ob Uber, Slack oder WeWork: das gigantische Wachstum der Unicorns aus dem Silicon Valley wurde maßgeblich mit saudischem Geld finanziert. Allein Uber hat 2016 etwa 3,5 Milliarden US-Dollar von der saudischen Regierung akzeptiert und einen saudischen Aufsichtsrat installiert. Der viel bewunderte, weil 100 Milliarden Dollar schwere, Vision Fund des japanischen Technologie-Konglomerats Softbank ist maßgeblich von Saudi-Arabien finanziert. Schon ließen die Japaner verlauten, es sei nicht sicher, ob ein weiterer Fonds aufgelegt werden könne. Und Uber-Chef Dara Khosrowshahi hat wie viele andere Tech-CEOs seine Teilnahme an der derzeit stattfindenden Investorenkonferenz „Davos in the Desert“, abgesagt.

Da ist aber auch China. Der technologische Aufbruch der Asiaten, die Aufholjagd der letzten fünf Jahre, ist beeindruckend und einmalig. Über 800 Millionen Chinesen sind online, sie bezahlen immer öfter ausschließlich mobil und kaufen sich selbst ein neues Auto per Wisch auf dem Smartphone. Wie in Saudi-Arabien hat die Regierung den Wert des Tech-Fortschritts erkannt und investiert massiv. Die Strategie zur Schaffung eines 150 Milliarden US-Dollar schweren heimischen Markts für Anwendungen rund um Künstliche Intelligenz gilt als das bisher größte industriepolitische Programm der Weltgeschichte. Der kommunistischen Partei Chinas geht es dabei nicht nur darum, Wohlstand zu mehren. Sie hat längst erkannt, wie sich allzeit vernetze Bürger allzeit überwachen lassen. Ihr „Social Credit System“, eine Art Schufa für alle Belange des gesellschaftlichen Miteinanders, das ab 2020 landesweit gestartet werden soll, ist nur die logische Fortsetzung des maoistischen Überwachungsstaats – der seine Wurzeln schon in der Song-Dynastie (960-1279) hat - mit neuen, technologischen KI-Mitteln.

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USA – eine (noch) westlich-liberale Demokratie

Da ist Russland. Wie kein anderes Land aus dem System, das einmal „Ostblock“ hieß, hat es Russland geschafft, die technologische Expertise aus den Zeiten des Kalten Krieges in die globalisierte Welt hinüber zu retten – und wirkungsvoll weiter zu entwickeln. Die Sowjetunion schoss Raketen und den ersten Menschen ins All. Dieses Wissen und die Fertigkeiten leben weiter in der Armee der russischen Cyber-Trolle und Cyber-Angreifer, die es geschafft haben, die Wahlen des US-Präsidenten, der mächtigsten Person der freien Welt, zu beeinflussen. Russland hat übrigens wie China seine eigene Internetwirtschaft aufgebaut. Google heißt dort Yandex. Gab es eigentlich Hacker-Angriffe und Manipulationen der Öffentlichkeit auf den dortigen führenden sozialen Netzwerken der Mail.Ru Group, als neulich Wladimir Putin wiedergewählt wurde?

Und da sind die USA; (noch) eine westlich-liberale Demokratie zwar, die aber auch von ihren wirtschaftlichen Vorzeige-Beispielen ausgehöhlt wird. Die Versprechen der Macher aus dem Silicon Valley, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sind längst als Farce entzaubert. Legendär ist die Ansage des Facebook-Investors und Milliardärs Peter Thiel, Wettbewerb sei nur etwas für Loser. Sein Zögling Mark Zuckerberg konnte oder wollte nicht erkennen, welche Dynamik eine global vernetzte Plattform mit über zwei Milliarden Nutzerinnen und Nutzern entfalten kann. Noch nie wurde ein Unternehmenschef so wenig seiner Verantwortung gerecht. Denn Hass und Zwiespalt und Lügen wurden in dem größten sozialen Netzwerk der Welt nicht nur in den USA bei politischen Wahlen gezielt eingesetzt – und damit der Populismus genährt. Der philippinische Präsident und Hardliner Rodrigo Duterte nutzte Facebook meisterlich, um die Macht zu ergreifen und seine Gegner ins Abseits zu drängen. In Brasilien warnen NGOs und Journalistinnen und Journalisten längst davor, dass der populistische Präsidentschaftsanwärter Jair Messias Bolsonaro dank der sozialen Netzwerke zur größten Bedrohung der hart erkämpften, jungen Demokratie in Brasilien werden dürfte. Und UN-Experten machen das soziale Netzwerk sogar für die Vertreibung der Rohingya in Myanmar mitverantwortlich. Hassreden und Aufruf zur Gewalt seien ungefiltert und allgegenwärtig vorhanden.

Saudi-Arabien, China, Russland, Silicon Valley – das Beunruhigende ist: Der technologische Fortschritt wird sich mit der rasanten Weiterentwicklung von Technologien wie Künstliche Intelligenz und Quantencomputing weiter beschleunigen und vermutlich noch viel enger verwobene Netzwerk- und Plattformeffekte in Zukunft kreieren. Fangen wir jetzt an, darüber zu verhandeln, wie wir vor allem in Europa der Zersetzung unseres liberalen Wertesystems durch Technologie entgegentreten wollen.

Damit Jamal Khashoggi nicht umsonst gestorben ist.

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