John und Doris Naisbitt „China nimmt die Rolle ein, die es über Jahrhunderte inne hatte“

Nationalflaggen von den USA und China Quelle: dpa

John Naisbitt beriet US-Regierungen und prägte den Begriff „Globalisierung“. Mit seiner Ehefrau Doris forscht er heute in China. Im Interview erklären sie, wie sich ihr Blick auf die Globalisierung verändert hat.

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Der Politikwissenschaftler John Naisbitt prägte in den 1980ern mit seinem Weltbestseller „Megatrends“ den Begriff „Globalisierung“. Naisbitt war unter John F. Kennedy stellvertretender Erziehungsminister. Heute lebt und forscht der 89-Jährige gemeinsam mit seiner Ko-Autorin und Ehefrau Doris Naisbitt in Wien und in China, wo sie das Naisbitt China Institute gegründet haben.

Herr Naisbitt, Anfang der Achtziger, vor mehr als 30 Jahren, haben Sie den Begriff „Globalisierung“ etabliert. Welche Beobachtungen veranlassten Sie damals dazu?
John Naisbitt: Viele Industrien in aller Welt vernetzten sich zunehmend. Die Komponenten für ein Auto und das Auto selbst wurden nicht mehr länger in einer Fabrik produziert, sondern in vielen Fabriken in unterschiedlichen Ländern. VW hat damals, wenn ich mich recht erinnere, Teile aus Mexiko und Brasilien verbaut und selbst wiederum Motoren für den US-Autobauer Chrysler in Deutschland produziert. Baseball-Handschuhe wurden mit „Made in Japan“ versehen, obwohl die Kuhhäute aus den USA kamen, die sie zuvor zum Gerben nach Brasilien geschickt hatten. Das Wort Globalisierung ergab sich wie von selbst aus dem Wandel von nationalen zu globalen Wirtschaften, und dem Zugang zu Märkten in aller Welt auch für Einzelunternehmer.     

Hat sich Ihr Blick auf das Phänomen seit damals verändert?
John Naisbitt: Das Bewusstsein und die Wahrnehmung des Begriffs haben sich insgesamt deutlich verändert. In den USA der 1980er Jahre fürchtete man die Globalisierung und die amerikanischen Gewerkschaften riefen die Arbeiter auf, gegen die unvermeidbare Ausbeutung zu kämpfen. Als Gegenmaßnahme forderten sie die Formierung einer globalen Arbeiterbewegung. Noch heute betrachten Amerikaner aus dem Mittleren Westen die Globalisierung anders als Amerikaner an der Ostküste. Diese Haltung basiert auf derselben Grundeinstellung, die auch Basis des weltweiten Aufstiegs des Nationalismus ist.  
Doris Naisbitt: Diese Einstellung und der andere Zugang zur Globalisierung, den China propagiert, und den es mit seiner Seidenstraße verwirklichen will, wird zu einer Herausforderung unseres heutigen, westlichen Verständnisses von Globalisierung werden.  

In welchen Geschäftsmodellen und Technologien hat sich China besonders gut entwickelt? Was kann sich Deutschland davon abschauen? Wir widmen dem Thema ab Montag eine neue Artikel-Serie.

Welche Hoffnungen verbanden Sie in den Achtzigern mit der Globalisierung?
John Naisbitt: Der letzte Satz in meinem Buch „Megatrends“ war: „Mein Gott, was für eine wundervolle Zeit um zu leben.“ Ich wusste, wir befanden uns in einer Übergangsphase. Nicht jeder war optimistisch bei der Frage, wohin sie uns führen würde. Für mich standen vor allem die Möglichkeiten, die aus der Ungewissheit entstanden, im Vordergrund. Ted Turner gründete den ersten TV-Nachrichtensender, CNN. MTV revolutionierte die Musikindustrie, IBM produzierte die ersten PCs, und Handys, die ein Kilo wogen, wurden zum Statussymbol für „wichtige“ Leute. Auf politischer Ebene war die deutsche Wiedereinigung die faszinierendste Entwicklung. Ich war damals in London und nahm auf der Stelle einen Flug nach Berlin, um diese Stimmung mitzuerleben. Es war die Globalisierung, die hunderte Millionen Menschen aus der Armut geführt hat, und auch heute öffnet sie Schwellenländern Zugang zu den Märkten. Allerdings hat sich eine meiner Hoffnungen nicht erfüllt. Die Globalisierung hat nicht dazu geführt, dass die Menschen ethnische Vielfalt zelebrieren.

Sie stammen aus den USA, waren Regierungsberater im Stab von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Heute liegt einer ihrer beiden Lebensmittelpunkte in China, wo Sie ja auch gerade sind. Wie hat sich die Rolle der USA und Chinas seit Anfang der Achtziger gewandelt?
John Naisbitt: Zu Beginn der Achtziger hatte China gerade seinen Reformprozess gestartet und öffnete sich, aber es war immer noch eine verarmte und rückständige Nation. Ich war damals regelmäßig dort. Es war klar ersichtlich, dass sich das Land von einer landwirtschaftlich geprägten Wirtschaft zu einer produzierenden Wirtschaft wandeln musste. Anstatt Rohmaterial, vor allem Öl, zu verkaufen, musste China alles daransetzen, Güter zu exportieren. Es begann mit Textilien, Bauteilen für Fernseher und anderen Waren, für die es nicht viel technisches Know-how brauchte.
Doris Naisbitt: Die USA blickten damals von oben herab auf China. Ein hochindustrialisiertes Land, das auf den Weg ins Informationszeitalter war, stand einem Land gegenüber, das kaum seine Bevölkerung ernähren konnte. Viele Amerikaner haben immer noch dieses Bild im Kopf und können sich das heutige China gar nicht vorstellen. Und viele wollen das auch gar nicht, denn parallel zu Chinas Aufstieg neigt sich die dominierende Rolle der USA in der Welt ihrem Ende zu.
John Naisbitt: Letztlich nimmt China lediglich wieder die Rolle ein, die es über Jahrhunderte innehatte. Technologische Durchbrüche wie Papier, Schießpulver, Kompasse, Gewehre oder Seide wurden in China erdacht und fanden von dort ihren Weg in die Welt. Das ging so, bis das britische Königreich die Dominanz Chinas beendete.

Sehen Sie in dem Aufstieg Chinas nichts Problematisches? Gerade mit Blick auf Menschenrechte und Freiheiten.  
Doris Naisbitt: Es gibt in der Tat einen großen Unterschied mit Hinblick auf den Journalismus, die Wirtschaft und die politische Welt zwischen China und dem Westen. Chinas System fußt auf einer anderen Geschichte und Kultur, auch auf anderen Werten. Der Umgang mit Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie steht oftmals in Widerspruch zum westlichen Denken. Während es dort große ökonomische Freiheit gibt, lenkt die Kommunistische Partei den politischen Kurs systematisch und zentralistisch. Das mag einem westlichen Anspruch nicht genügen, aber Wirtschaft muss sich an der Realität orientieren, und nicht am Wunschdenken.
John Naisbitt: In allen Teilen dieser Welt treiben heimische Interessen und damit verbundenes Säbelrasseln nach Außen, die Politik an. Donald Trump treibt das traurigerweise in absurde und gefährliche Dimensionen. Aber auf dem globalen Markt besiegen ökonomische Erwägungen immer noch die politischen Erwägungen. 

„Wir sehen nicht China vor einer Krise, sondern die USA“

Trump würde die Globalisierung am liebsten rückabwickeln – und ist damit nicht alleine. Fast überall in der westlichen Welt sind Nationalisten auf dem Vormarsch. Kommt die Globalisierung an ihr Ende?
John Naisbitt: Es gibt keinen Schalter, den man umlegen kann, um die Globalisierung zu stoppen, oder gar rückgängig zu machen. China sieht sich als Erneuerer der Globalisierung und das auf eigene Weise, zum Vorteil unterentwickelter Regionen und verarmter Bevölkerungen. Das tut China natürlich nicht nur aus philanthropischen Gründen. Es ist eine wirtschaftliche und politische Notwendigkeit.
Doris Naisbitt: Trumps Politik festigt Chinas neue Rolle als Verteidiger freier Märkte, und hilft China, mehr Einfluss zu gewinnen in globalen Handels- und Finanzfragen. Fünf Jahre nach der Ankündigung der Seidenstraßen-Initiative hat das Handelsvolumen mit den Ländern entlang der Seidenstraße die fünf Billionen US-Dollar Grenze überschritten. China ist der größte Handelspartner von 25 der 65 Länder, die sich an der Initiative beteiligen, und hat 82 Handels- und Freihandelszonen errichtet. Wenn wir China betrachten, vergessen wir oft, wie langfristig und strategisch es plant. Letztlich gibt es für China nur einen Weg, die globale Ordnung zu ändern, und das ist eine Integration und Stärkung der Schwellenländer.

Um den Aufstieg Chinas zu verhindern, haben die USA einen Handelskrieg angezettelt. Besorgt Sie das?
John Naisbitt: Lassen wir die Fragen von Gegenseitigkeit der Tarife, Marktzugang und Investment zwischen den beiden Ländern einmal beiseite. Ebenso die Bedenken über Chinas Technologietransfers und das High-Tech-Innovations-Programm. Beide Seiten haben Argumente, die ihre Sicht bestärken. Verstehen müssen wir aber vor allem die emotionale Seite. Das Gefühl der Demütigung und Scham, die China infolge der Unterjochung des Landes durch Europa erlitt, sitz noch immer tief.  
Doris Naisbitt: Jede demütigende Behandlung hat deswegen eine harsche Reaktion Chinas zur Folge. Wenn Donald Trump den Zollstreit weiterführt und die Zölle sogar erhöht, wird das auf die US-Wirtschaft zurückfallen. Die US-Wirtschaft wird erheblich leiden. Trumps Anspruch, die florierende Wirtschaft und der boomende Aktienmarkt seien sein persönlicher Verdienst, ist damit dahin.  
John Naisbitt: Und wackelt die Wirtschaft, kriegt Trump Probleme. Im schlimmsten Fall wird er zum ultimativen Schlag ansetzen, und zwar indem er Taiwan als unabhängiges Land anerkennt. Damit würde er aus Sicht Chinas absolut die rote Linie überschreiten. Die Folge wäre eine militärische Konfrontation zwischen beiden Ländern.

Trump kann seine harsche Politik gegen China vor allem fahren, weil viele Amerikaner Angst vor den Folgen der Globalisierung, insbesondere vor der Konkurrenz aus China haben. Was würden Sie diesen Amerikanern entgegnen?
Doris Naisbitt: Die Amerikaner sollten sich ein realistisches Bild der Vor- und Nachteile der Globalisierung und des technischen Fortschritts machen. Je treffender das Bild, desto besser kann man agieren - anstatt zu reagieren. Selbst wenn Präsident Trump die Fabriken zurück in die USA bringt, wird das heute kaum Jobs bringen.  
John Naisbitt: Es ist doch ironisch, dass der US-Präsident auf veraltete Fließbandproduktion setzt, während China in innovativste Technologien forciert.

Ausländische Unternehmen blicken besorgt auf ihre Zukunft in China. Die Konkurrenz erstarkt zusehends - und die Reformen des Regimes sind unzureichend. Denn es lenkt nur dort ein, wo es China nichts mehr kostet.
von Lea Deuber

Mit der Globalisierung ging eine Reihe von Crashs einher, in den Neunzigern die Mexiko-, die Asien- und die Schwellenländerkrise, das Platzen der Dot-Com-Blase 2000, die Lehman-Pleite 2008 und spätestens seit 2010 die Eurokrise. Viele Ökonomen blicken besorgt auf die Schulden Chinas. Droht der nächste Crash?
Doris Naisbitt: Das Schuldenproblem der USA ist deutlich gefährlicher als das Chinas. Ein Großteil von Chinas Schulden stammt aus Infrastrukturprojekten von Lokalregierungen. Und dieses Problem wird China intern lösen.
John Naisbitt: Der größte Unterschied zu den USA ist, dass China ein gemischtes Wirtschaftssystem hat. Es ist teilweise offen, teilweise geschlossen. Es gibt keinen offenen Kapital- oder Kreditmarkt. China kann intern wirksam Schulden kompensieren oder abschreiben. Um Chinas Schulden angemessen beurteilen zu können, müssen wir außerdem auch die großen Vermögenswerte im Blick behalten, über die die einzelnen Lokalregierungen verfügen. Diese Vermögenswerte vermindern die Schulden des öffentlichen Sektors beträchtlich.
Doris Naisbitt: China folgt auch nicht der Politik der USA, die zuvor Lateinamerika und Asien destabilisiert hat. China verwarf den Washington Consensus von 1989 – dabei ging es um Bedingungen zur Kreditvergabe des IWF und der Weltbank – und weigerte sich, seine Kapitalmärkte schnell zu öffnen, sowie Preise und den Anleihenmarkt freizugeben. Mit seiner Standfestigkeit, beschreitet China neue Wege im Finanzwesen und überwindet dadurch viele Hindernisse. Wir sehen nicht China vor einer Krise, sondern die USA.
John Naisbitt: Der Westen sollte etwas offener dafür sein, dass nicht nur ein einziges System existiert. Das größte Risiko in der Verschuldung, vor dem viele Experten warnen, ist der nächste Konjunkturabschwung und ein Börsencrash. Wir erwarten, dass der amerikanische Markt einen bedeutenden Einbruch erleben wird. Und die Angst ist groß, dass Präsident Trump auch vor einem Krieg nicht zurückschrecken wird, um das zu vermeiden. Eine Meinung die auch von westlichen Bankern in China geteilt wird, oftmals aber nur in privaten Unterhaltungen, denn es ist nicht das was die Leute hören wollen.

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