John und Doris Naisbitt „China nimmt die Rolle ein, die es über Jahrhunderte inne hatte“

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„Wir sehen nicht China vor einer Krise, sondern die USA“

Trump würde die Globalisierung am liebsten rückabwickeln – und ist damit nicht alleine. Fast überall in der westlichen Welt sind Nationalisten auf dem Vormarsch. Kommt die Globalisierung an ihr Ende?
John Naisbitt: Es gibt keinen Schalter, den man umlegen kann, um die Globalisierung zu stoppen, oder gar rückgängig zu machen. China sieht sich als Erneuerer der Globalisierung und das auf eigene Weise, zum Vorteil unterentwickelter Regionen und verarmter Bevölkerungen. Das tut China natürlich nicht nur aus philanthropischen Gründen. Es ist eine wirtschaftliche und politische Notwendigkeit.
Doris Naisbitt: Trumps Politik festigt Chinas neue Rolle als Verteidiger freier Märkte, und hilft China, mehr Einfluss zu gewinnen in globalen Handels- und Finanzfragen. Fünf Jahre nach der Ankündigung der Seidenstraßen-Initiative hat das Handelsvolumen mit den Ländern entlang der Seidenstraße die fünf Billionen US-Dollar Grenze überschritten. China ist der größte Handelspartner von 25 der 65 Länder, die sich an der Initiative beteiligen, und hat 82 Handels- und Freihandelszonen errichtet. Wenn wir China betrachten, vergessen wir oft, wie langfristig und strategisch es plant. Letztlich gibt es für China nur einen Weg, die globale Ordnung zu ändern, und das ist eine Integration und Stärkung der Schwellenländer.

Um den Aufstieg Chinas zu verhindern, haben die USA einen Handelskrieg angezettelt. Besorgt Sie das?
John Naisbitt: Lassen wir die Fragen von Gegenseitigkeit der Tarife, Marktzugang und Investment zwischen den beiden Ländern einmal beiseite. Ebenso die Bedenken über Chinas Technologietransfers und das High-Tech-Innovations-Programm. Beide Seiten haben Argumente, die ihre Sicht bestärken. Verstehen müssen wir aber vor allem die emotionale Seite. Das Gefühl der Demütigung und Scham, die China infolge der Unterjochung des Landes durch Europa erlitt, sitz noch immer tief.  
Doris Naisbitt: Jede demütigende Behandlung hat deswegen eine harsche Reaktion Chinas zur Folge. Wenn Donald Trump den Zollstreit weiterführt und die Zölle sogar erhöht, wird das auf die US-Wirtschaft zurückfallen. Die US-Wirtschaft wird erheblich leiden. Trumps Anspruch, die florierende Wirtschaft und der boomende Aktienmarkt seien sein persönlicher Verdienst, ist damit dahin.  
John Naisbitt: Und wackelt die Wirtschaft, kriegt Trump Probleme. Im schlimmsten Fall wird er zum ultimativen Schlag ansetzen, und zwar indem er Taiwan als unabhängiges Land anerkennt. Damit würde er aus Sicht Chinas absolut die rote Linie überschreiten. Die Folge wäre eine militärische Konfrontation zwischen beiden Ländern.

Trump kann seine harsche Politik gegen China vor allem fahren, weil viele Amerikaner Angst vor den Folgen der Globalisierung, insbesondere vor der Konkurrenz aus China haben. Was würden Sie diesen Amerikanern entgegnen?
Doris Naisbitt: Die Amerikaner sollten sich ein realistisches Bild der Vor- und Nachteile der Globalisierung und des technischen Fortschritts machen. Je treffender das Bild, desto besser kann man agieren - anstatt zu reagieren. Selbst wenn Präsident Trump die Fabriken zurück in die USA bringt, wird das heute kaum Jobs bringen.  
John Naisbitt: Es ist doch ironisch, dass der US-Präsident auf veraltete Fließbandproduktion setzt, während China in innovativste Technologien forciert.

Ausländische Unternehmen blicken besorgt auf ihre Zukunft in China. Die Konkurrenz erstarkt zusehends - und die Reformen des Regimes sind unzureichend. Denn es lenkt nur dort ein, wo es China nichts mehr kostet.
von Lea Deuber

Mit der Globalisierung ging eine Reihe von Crashs einher, in den Neunzigern die Mexiko-, die Asien- und die Schwellenländerkrise, das Platzen der Dot-Com-Blase 2000, die Lehman-Pleite 2008 und spätestens seit 2010 die Eurokrise. Viele Ökonomen blicken besorgt auf die Schulden Chinas. Droht der nächste Crash?
Doris Naisbitt: Das Schuldenproblem der USA ist deutlich gefährlicher als das Chinas. Ein Großteil von Chinas Schulden stammt aus Infrastrukturprojekten von Lokalregierungen. Und dieses Problem wird China intern lösen.
John Naisbitt: Der größte Unterschied zu den USA ist, dass China ein gemischtes Wirtschaftssystem hat. Es ist teilweise offen, teilweise geschlossen. Es gibt keinen offenen Kapital- oder Kreditmarkt. China kann intern wirksam Schulden kompensieren oder abschreiben. Um Chinas Schulden angemessen beurteilen zu können, müssen wir außerdem auch die großen Vermögenswerte im Blick behalten, über die die einzelnen Lokalregierungen verfügen. Diese Vermögenswerte vermindern die Schulden des öffentlichen Sektors beträchtlich.
Doris Naisbitt: China folgt auch nicht der Politik der USA, die zuvor Lateinamerika und Asien destabilisiert hat. China verwarf den Washington Consensus von 1989 – dabei ging es um Bedingungen zur Kreditvergabe des IWF und der Weltbank – und weigerte sich, seine Kapitalmärkte schnell zu öffnen, sowie Preise und den Anleihenmarkt freizugeben. Mit seiner Standfestigkeit, beschreitet China neue Wege im Finanzwesen und überwindet dadurch viele Hindernisse. Wir sehen nicht China vor einer Krise, sondern die USA.
John Naisbitt: Der Westen sollte etwas offener dafür sein, dass nicht nur ein einziges System existiert. Das größte Risiko in der Verschuldung, vor dem viele Experten warnen, ist der nächste Konjunkturabschwung und ein Börsencrash. Wir erwarten, dass der amerikanische Markt einen bedeutenden Einbruch erleben wird. Und die Angst ist groß, dass Präsident Trump auch vor einem Krieg nicht zurückschrecken wird, um das zu vermeiden. Eine Meinung die auch von westlichen Bankern in China geteilt wird, oftmals aber nur in privaten Unterhaltungen, denn es ist nicht das was die Leute hören wollen.

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