Kaufreiz statt Nerv-Attacke Wie wir in Zukunft einkaufen werden

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Auf Effizienz getrimmt

Kahl betritt nun den nachgebauten Supermarkt, in seinem Labor nur ein paar Schritte vom nachgebauten Wohnzimmer entfernt. Seine Einkaufsliste ist auf seinem Smartphone gespeichert. Immer, wenn er etwas in den Korb legt, wird das Smartphone dies registrieren – und selbstständig von der Liste streichen. „Beim Müsli funktioniert das schon gut, bei den Äpfeln zugegebenermaßen noch nicht“, sagt Kahl. Es ist eine Welt, die wie die von Amazon Go in Seattle durch Bequemlichkeit besticht – und all jene begeistert, für die der Einkauf eine nervige Angelegenheit ist. Denjenigen aber, für die der Besuch im Supermarkt immer auch bedeutet, dass man jemanden um Rat fragen kann, vielleicht auch einen Plausch hält, dürfte solch eine Welt eher Angst machen.

Kahl kennt diese Sorgen – und er glaubt, dass es letztlich an jedem Händler liegt, wie er die Technologien einsetzt.

Auch Amazon-Chef Jeff Bezos probiert mehrere Modelle aus. Nur ein paar Straßenzüge von Amazon Go entfernt, testet der Konzern seit Ende Mai den Einkauf ganz ohne Laden. Bei Amazon Fresh Pickup holen die Kunden ihre Lebensmittel selbst ab, die sie zuvor online geordert haben. 15 Minuten Vorlaufzeit reichen. Die an einem Parkplatz gelegene Station wirkt wie eine Mischung aus Tankstelle und Starbucks. An den Abholinseln vor den Gebäuden stehen statt Zapfsäulen Amazon-Mitarbeiter in grünen Kittelschürzen, neben sich Papptüten voller Bestellungen. Alle paar Minuten fahren neue Kunden vor und lassen sich die Tüten in den Kofferraum hieven. Alles ist hier auf Effizienz ausgelegt, zum Stöbern und Bummeln bleibt keine Zeit.

Walmarts selbstfahrender Einkaufswagen

Dabei hat Amazon auch dies im Angebot: Im Nordosten Seattles, direkt gegenüber des Campus der Universität von Washington, liegt eines dieser typischen amerikanischen Einkaufszentren, gestaltet wie eine kleine Innenstadt, mit Dufttempeln von Sephora, Boutiquen von Victoria’s Secret und einem Apple Store. Am südlichen Eingang befindet sich eine Buchhandlung. Große Schaufenster geben den Blick frei auf Bücherregale und bequeme Lesesessel, an der Ziegeloptik-Fassade prangt das Logo von Amazon Books.

Nur das im Regal, was Kunden gefällt

Es ist eine von derzeit zwölf US-Buchhandlungen, in denen der im Internet groß gewordene Händler Amazon Erfahrungen im stationären Handel sammelt. Auf den ersten Blick wirkt das Geschäft wie ein typischer Buchladen. Doch das täuscht. Statt 100.000 Titel wie bei einem üblichen Buchhändler, umfasst das Sortiment nur 5000 Titel, die besonders gute Bewertungen bekommen haben – und zwar genau von den Menschen, die in der Gegend rund um den Laden leben. Amazon weiß dank der gezielten Auswertung der Onlinebestellungen seiner Kunden, was die Menschen in Seattle gerne lesen – und vor allem: kaufen.

Auch Preise sucht man hier vergebens. Die erscheinen erst nach dem Scan des jeweiligen Barcodes via Smartphone oder an einem der Info-Kioske im Geschäft. Und sie wechseln, je nach Nachfrage. In Amerika gibt es das in Deutschland übliche Prinzip der Buchpreisbindung nicht. Stattdessen erhalten Abonnenten von Amazons Lieferservice Prime einen Rabatt.

Amazon Books ist kein Geschäft, sondern ein Showroom, der wiederum zum Stöbern in Amazons Digitalshop ermuntern soll. Und er könnte Vorbild für Amazons Expansion im stationären Lebensmittelhandel sein: Im Juni übernahm der Konzern für 13,4 Milliarden Dollar die Feinkostkette Whole Foods und sicherte sich damit auf einen Schlag 474 Supermärkte in guten Lagen. Marktbeobachter erwarten, dass Bezos, genau wie seine Buchhandlungen, die jeweiligen Whole-Foods-Märkte als Köder für seinen Onlinehandel nutzen wird. Die Geschäfte werden mit einem speziell auf die lokale Klientel zugeschnittenen Sortiment ausgestattet – alles darüber hinaus wird dann nachgeliefert.

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