Kaufreiz statt Nerv-Attacke Wie wir in Zukunft einkaufen werden

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Kämpferische Konkurrenz

Amazons Konkurrenten geben sich kämpferisch: „Wir werden mit Technologie konkurrieren, aber mit unseren Mitarbeitern gewinnen“, sagt Doug McMillon. Der Walmart-Chef leitet den größten Handelskonzern weltweit, ein Gigant mit mehr als 2,3 Millionen Mitarbeitern und 11.500 Filialen weltweit. Doch auch er kaufte kürzlich technologisches Knowhow dazu – den Onlinehändler Jet.com und dessen ebenso findigen wie unerschrockenen Schöpfer Marc Lore. Er ist einer der wenigen, dem Branchenbeobachter zutrauen, es mit Amazon-Gründer Bezos aufnehmen zu können.

Für Walmart testet Lore nun einen neuartigen Zustellservice im Silicon Valley: Kurierfahrer bringen Lebensmittel zum Kunden – und zwar auch dann, wenn der nicht zu Hause ist. Sie öffnen mit einem persönlichen Code die Tür und stellen die Waren auf dem Küchentisch oder im Kühlschrank ab. Eine Kamera zeichnet alles auf.

Bei Walmart ist das Projekt umstritten, weil es den eigenen Märkten die Kunden abwirbt. Doch Lore hat sich freie Hand für Experimente einräumen lassen.

So lange unklar ist, was sich bei welchen Kunden durchsetzt, ist eben alles ein großes Experiment. Auch bei Gerrit Kahl im Labor in St. Wendel. Hinter dem geschwungenen Glas der Theke seines nachgebauten Supermarkts liegen auf Bastmatten Würste, Schinken und Speck, links daneben verschiedene Käsesorten. Darüber hängt eine Kinect, die die Umgebung dreidimensional erfasst. Das Gerät wurde eigentlich von Microsoft für Computerspiele entwickelt. Hier aber nehmen die Kameraaugen die Bewegungen des Kunden auf. Dessen Finger wird so zu einer Art Zeigestock. Fragt der Verkäufer, welcher Käse es sein soll, muss der Kunde nicht mehr vage entgegnen: „Von dem da“.

Stattdessen leuchtet auf dem Bildschirm der Kasse, sichtbar für Kunde wie für Verkäufer: „Comté“ oder „Gouda“.

Smartphone sortiert Unverträgliches aus

Etwas weiter weg steht das Müsli. Kahl nimmt ein Smartphone und hält es davor. Auf dem Bildschirm sind nun die gleichen Packungen wie im Regal zu sehen: links das Schoko-Müsli, daneben Schoko-Banane, dann Nuss und Früchte. Doch das Smartphone zeigt mehr, als mit dem bloßen Auge im Regal zu sehen ist. In einer App hat Kahl abgespeichert, welche Allergien er als Kunde haben könnte: Haselnüsse verträgt er gar nicht. Und so sortiert sein Smartphone alle ungenießbaren Müslis aus.
Bevor solch eine Einkaufshilfe aus dem Labor es ins wahre Leben schafft, gebe es allerdings noch ein paar Hürden, sagt Kahl. Denn die Hersteller müssen die Allergene so auszeichnen, dass das Smartphone sie erkennt.

Im nachgebauten Supermarkt stehen nur acht Müslipackungen im Regal, die konnten Kahl und seine Kollegen problemlos katalogisieren. In einem normalen Supermarkt gibt es mehr Sorten – und mit jeder verkauften Packung rückt eine neue im Regal nach vorne. „Wer steht dafür gerade, dass die Daten richtig sind?“, fragt Kahl. „Gerade bei Allergien ist das äußerst heikel. Solche Sachen müssen geklärt werden.“

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Selbst Amazon muss noch viele technische Schwächen ausbessern. Die Wettbewerber frotzeln bereits, der Supermarkt Amazon Go sei nicht mehr als ein Potemkinsches Dorf. Angeblich funktioniert die Abrechnungstechnologie nicht richtig. Wohl auch deshalb ist der Laden nicht wie geplant für eine breite Kundschaft geöffnet.

Vielleicht aber entscheidet sich Bezos auch noch für ein ganz anderes Konzept. Experimente, davon ist der Amazon-Gründer überzeugt, sind allemal besser als Stillstand.

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