Seattle, South Lake Union District. Noch vor ein paar Jahren stand das Viertel nördlich der Innenstadt für Lagerhallen und Stripclubs. Heute ragen leuchtende Hochhäuser in den Himmel. Hier hat Jeff Bezos sein Hauptquartier. Der Mann, der Amazon gegründet und seither die Art, wie Menschen einkaufen, verändert hat wie niemand zuvor. Und Bezos ist noch nicht fertig. Davon zeugt das Ladenlokal ganz vorn in seiner Firmenzentrale in Seattle, es ist weniger als 100 Quadratmeter groß. Hinter einer elektronischen Schranke, bewacht von einer resoluten Frau in dunkler Uniform, befindet sich der Prototyp des Supermarkts der Zukunft: Amazon Go. Noch dürfen ihn nur Amazons Mitarbeiter betreten.
Aber von der Straße aus lassen sich große Kühlregale erkennen, dicht bepackt mit frisch zubereiteten Sandwiches und Salaten.
An diesem Morgen drängeln sich einige Leute davor. Sie öffnen eine App auf ihrem Smartphone, ziehen die gewünschte Ware aus dem Regal, abgerechnet wird automatisch. Die Decke des Ladens, sagt ein Amazon-Mitarbeiter, sei mit Kameras zugepflastert. Perfekt arbeitet das System noch nicht. „Ich habe schon mehrfach versucht, das System auszutricksen, Waren wieder zurückgelegt und andere, teurere herausgenommen, es hat stets geklappt.“ Amazons Supermarkt kommt nahezu ohne Personal aus: keine Kassierer, keine Schlangen – aber eben auch niemand, der aufpasst.
Die wichtigsten Käufe von Amazon
Auf den ersten Blick gibt es keinen Zusammenhang zwischen einer Shoppingplattform aus Dubai und dem Hersteller von Robotern. Doch alle gehören zu Amazons Reich, das wegen der verschiedenen Art seiner Unternehmungen kaum zu greifen ist. Die wichtigsten Beispiele für Verkäufe in der Vergangenheit.
Preis: 0,15 Milliarden Dollar
Branche: Buchbesprechungen
Jahr: 2013
Quelle: eigene Recherche
Preis: 0,25 Milliarden Dollar
Branche: Suche, künstliche Intelligenz
Jahr: 1999
Preis: 0,30 Milliarden Dollar
Branche: Hörbücher
Jahr: 2008
Preis: 0,37 Milliarden Dollar
Branche: Halbleiter, Chipdesign
Jahr: 2015
Preis: 0,50 Milliarden Dollar
Branche: Cloud Computing
Jahr: 2015
Preis: 0,55 Milliarden Dollar
Branche: Windeln, Seife
Jahr: 2010
Preis: 0,65 Milliarden Dollar
Branche: Das Amazon des Mittleren Ostens
Jahr: 2017
Preis: 0,78 Milliarden Dollar
Branche: Robotik
Jahr: 2012
Preis: 0,97 Milliarden Dollar
Branche: Onlinevideospiele
Jahr: 2014
Preis: 1,20 Milliarden Dollar
Branche: Schuhe
Jahr: 2009
Preis: 13,70 Milliarden Dollar
Branche: Lebensmittel
Jahr: 2017
Zum Kauf anregen, statt ablenken
Amazons Experiment ist nur eines von vielen. „Der gesamte Handel erfindet sich momentan neu“, sagt Daniel Kellmereit, US-Chef von Liganova. Das Stuttgarter Unternehmen berät Marken wie Adidas, Mercedes oder Nespresso bei der Präsentation ihrer Produkte, beim Bau von Läden und der Suche nach dem besten Standort. Von San Francisco aus bearbeitet der gebürtige Deutsche Unternehmen weltweit. Und begutachtet dazu die neuesten Technologien: virtuelle und erweiterte Realitäten, Bodyscanner und Avatare als Berater, Sensoren und Lieferdrohnen. „Die ganze Branche testet gerade, was den Kunden am besten zum Kauf anregt, ohne ihn mit zu viel Technologie abzulenken oder gar zu nerven“, sagt Kellmereit.
Dies ist der schwierige Spagat: Einerseits können Händler mit ausgeklügelten Maschinen Abläufe optimieren und ihre Kundschaft besser bedienen. Andererseits dürfen sie darüber nicht das Versprechen vergessen, das sie seit jeher geben: dass der Kunde König sei. Menschen wollen es beim Einkaufen nicht nur bequem und billig, sondern auch umworben werden. Kellmereit glaubt deshalb, dass der Erfolg vor allem in der geschickten Verknüpfen der Präsentation der Waren vor Ort mit deren Bestellung und Auslieferung liegt.
„Die Reise zum Einkauf beginnt heute bereits im Wohnzimmer“, sagt Gerrit Kahl. In seinem Labor im saarländischen St. Wendel lässt er sich auf ein schwarzes Sofa sinken. Kahl leitet das „Innovative Retail Lab“, in dem der deutsche Handelskonzern Globus gemeinsam mit Forschern des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und anderen Händlern und Wissenschaftlern untersucht, wie gut Maschinen und Menschen beim Einkaufen harmonieren.
Vor Kahl steht ein flacher schwarzer Tisch, auf den er eine Dose Pepsi stellt. Neben der Dose erscheinen bunte Sechsecke: „Einkaufsliste“, steht auf der Fläche mit dem blauen Rand, „Bestellen“ auf der mit grünem und „Info“ auf der mit orangenem Rand. Der glatt polierte Tisch ist eigentlich ein Tablet. Und das, so sagt Kahl, erfasst die verschiedenen Produkte. Tippt er auf das orange gefasste Feld, zeigt sich, dass die Dose 45 Cent kostet – und neben Wasser, Kohlensäure und Koffein diverse Farbstoffe enthält. Tippt er auf das blau gefasste Feld, landet die Dose Pepsi auf seiner Einkaufsliste.
Die größten Lebensmittelhersteller der Welt
Platz 10: Smithfield
Der Konzern ist der weltgrößte Schweinefleischproduzent und -lieferant mit Firmensitz in Virginia. 2013 hat die chinesische Staatsfirma Shuanghui das Unternehmen übernommen.
Quelle: Konzernatlas 2017
Platz 9: General Mills
Auf dem neunten Platz der umsatzstärksten Unternehmen liegt der US-Lebensmittelkonzern mit Sitz in Golden Valley, Minnesota. In den USA kennt man das Unternehmen für seine Frühstücksflocken. In Deutschland bekannt ist unter anderem die Eiskremesorte Häagen-Dazs.
Platz 8: Danone
Das französische Unternehmen ist der Rivale des schweizerischen Lebensmittelgiganten Nestlé. Der Lebensmittelproduzent ist in Deutschland durch das Joghurtgetränk Actimel oder durch seine bunten Verpackungen von den Fruchtzwergen bekannt. Der Konzern hat am Ende des Jahres 2016 die EU-Genehmigung für die Übernahme des US-Bio-Rivalen Whitewave erhalten.
Platz 7: Unilever
Der niederländische Lebensmittel- und Kosmetikriese ist in Großbritannien durch den Brotaufstrich Marmite bekannt. In Deutschland finden sich von dem Unternehmen bekannte Marken wie Becel, Bertolli, Langnese, Lipton oder Knorr. 2016 kaufte der Konzern die US-Ökofirma Seventh Generation auf, um der Nachfrage nach ethischen Produkten in der Haushaltssparte nachzukommen.
Platz 6: Kraft Heinz
Auf Platz sechs findet sich das US-amerikanische Unternehmen Kraft Heinz mit Sitz in Pittsburgh, das bei uns besonders durch den Tomaten-Ketchup bekannt ist. Der Konzern ist 2015 aus der Fusion von Kraft Foods und Heinz Company hervorgegangen.
Platz 5: Mondelez
Der Lebensmittelriese mit Sitz in Deerfield, Illinois, ist Hersteller der in zahlreichen Ländern vertriebenen Schokolade mit in goldgelb verpackten Bergen. 2016 gab es in Großbritannien einen Aufschrei wegen der zackigen Süßigkeit. Der Konzern stellt unter anderem auch so bekannte Marken wie Milka und Oreo her.
Platz 4: Mars
Das familiengeführte Unternehmen mit Sitz in Virginia nimmt den vierten Platz in der Weltrangliste der Lebensmittelhersteller ein. Es stellt die bekannten Marken Balisto, Bounty, M&M’s, Milky Way oder den gleichnamigen Schokoriegel Mars her. Der Konzern stellt neben Süßigkeiten auch Tiernahrung her.
Platz 3: Tyson Foods
Das US-amerikanische Unternehmen mit Sitz in Springdale, Arkansas, ist der zweitgrößte Fleischproduzent und -lieferant der Welt. Der Konzern verarbeitet unter anderem Rind-, Schweine- und Hähnchenfleisch und beliefert beispielsweise McDonald´s, Burger King und Kentucky Fried Chicken.
Platz 2: JBS
Das südamerikanische Familienunternehmen JBS ist der weltgrößte Fleischproduzent und -lieferant und liegt damit auf Platz zwei der Top 10. Der Fleischverarbeiter mit Sitz in São Paulo exportiert seine Waren in über 150 Länder.
Platz 1: Nestlé
Der weltgrößte Lebensmittelhersteller ist das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Der Konzern ist durch Marken wie Nescafé, Nespresso, Nestea (mit Coca-Cola), Maggi oder After Eight in Deutschland bekannt. Nestlé hat mit Ende 2016 einen neuen Chef bekommen, mit dem der Nahrungsmittelhersteller raus aus dem weniger rentablen US-Süßwarengeschäft und der Tiefkühlkost und rein in das vielversprechende Gesundheitsgeschäft kommen möchte.
Hier, zwischen Schrankwand, Sofa und smartem Tisch, versuchen Kahl und seine Kollegen auszuloten, wann Händler den ersten Kontakt zum Kunden knüpfen können, wie sie dessen Bedürfnisse besser verstehen und ihn besser bedienen können. Die Hoffnung hinter dem vernetzten Wohnzimmertisch: Wer seine Cola-Dose, seinen Joghurtbecher oder die Nudelpackung dort abstellt, dem könnte der Händler Rezeptvorschläge machen – oder mit einer Art von digitalem Haushaltsbuch helfen, weniger zu verschwenden und das eigene Budget im Griff zu behalten. Der Händler würde dann zum Dienstleister. Und müsste sich nicht nur mit immer niedrigeren Preisen gegen die Konkurrenz behaupten.