




Harmony versucht zu flirten. „Ich fühle mich sehr wohl neben dir“, sagt sie mit hoher Stimme. Sie hat lange, rot gefärbte Haare, ein spitzes Kinn und dunkelgrüne Augen. Ihr Gesicht ist symmetrisch und ihre Lippen sind außergewöhnlich voll. Man würde sie vermutlich als hübsch bezeichnen.
Sie könnte jedoch auch blond oder schwarzhaarig sein, ihre Haut dunkler oder heller, und ihre Augenfarbe kann ebenso angepasst werden wie ihre Wesenszüge. Je nach Wunsch ist sie mal gesprächig, mal zurückhaltend, mal schüchtern – und wenn gewünscht, sogar nervig. Denn Harmony ist ein künstliches System, eine Silikonpuppe, in die ein Rechner eingepflanzt ist. Man soll sich mit ihr unterhalten können, und ihr Körper ist so gebaut, dass man mit ihr auch Sex haben kann.
Momentan steht der Roboter im Labor von Abyss Creations, einem kalifornischen Unternehmen, in dessen Werkstatt Dutzende Figuren von der Decke hängen. Die meisten haben die Statur von Schaufensterpuppen, einige sind zudem an die Wünsche der Kundschaft angepasst, mal etwas breiter gebaut, mal etwas kleiner. Auf den Werkbänken stehen Einzelteile, die modular angebracht werden. Münder, Füße, Brüste. Es ist ein uraltes Bestreben: etwas zu bauen, das nicht nur so aussieht wie ein Mensch, sondern auch das Gleiche kann. Uns selbst nachzubauen. Künstliche Wesen, die denken können. Ein Traum so alt wie die Menschheit.
Die griechische Mythologie erzählt die Geschichte von Prometheus, der aus Lehm und Wasser einen Menschen formt und diesen zum Leben erweckt. Im 16. Jahrhundert beschreibt Paracelsus, wie man durch Mischen chemischer Stoffe ein Abbild des Menschen erschafft. Repliken prägen Literatur und Film mit all ihren Vor- und Nachteilen, von Frankensteins Monster bis Blade Runner. Real geworden, wenn auch in weniger menschlicher Gestalt, sind sie bislang vor allem in der Industrie. Hier gehören Roboter zum Alltag und machen die Fertigung effizienter, die Stückkosten niedriger und die Arbeitswelt für viele angenehmer. Doch auch im Privatleben fallen Routinetätigkeiten an. Schon heute gibt es Staubsauger, die von allein den Boden sauber machen, und Maschinen, die selbstständig die Fenster putzen. Überall, wo Tätigkeiten automatisiert werden können, ziehen Roboter ein – und verändern am Ende sogar unser menschliches Verhalten.
Seit 20 Jahren erforscht Maren Bennewitz Möglichkeiten, um Roboter im Alltag einzusetzen. Im Labor für humanoide Roboter der Universität Bonn arbeiten sieben Wissenschaftler und zehn Studenten. Die einen beschäftigen sich damit, wie die mechanischen Fußtritte energieeffizienter werden, andere erforschen, wie ein Roboter sich im unbekannten Raum zurechtfindet.
„Wir haben die Welt an uns Menschen angepasst. Deshalb entwickeln wir Systeme, die menschenähnlich sind, damit sie in der gleichen Umgebung arbeiten“, sagt sie. Das jüngste Projekt ihres Teams heißt Kenny. Er ist etwa 1,40 Meter groß und hat einen großen, mintgrünen Bauch. Diesen kann er öffnen, dann kommt ein Greifarm raus. Kenny hat eine Mission, mit der Generationen von Eltern sich abmühen. Der Roboter soll Kinder motivieren, ihr Zimmer aufzuräumen. Dafür kennt Kenny verschiedene Tricks: Mal stellt er sich dumm, damit die Kinder ihm zeigen sollen, wo ein Spielzeug hingehört. Ein anderes Mal spielt er eine Belohnungsmusik vor, wenn etwas weggeräumt wurde. Doch Kenny soll mehr sein als ein Servicegerät. Er soll auch Streit und Mobbing zwischen Kindern vermeiden.
Der Roboter analysiert beispielsweise Körperhaltung und Stimmen der Kinder, um zu wissen, welche Kinder in einer Gruppe ausgeschlossen werden und welche die Anführer sind. Dafür arbeitet das Team von Bennewitz mit Pädagogen und Medienwissenschaftlern zusammen. „Letztlich erforschen wir den Menschen, um unsere Roboter weiterzuentwickeln“, sagt Bennewitz. Der Traum der Menschmaschine ist genauso alt wie die Furcht davor. Denn was ist, wenn die Systeme anfangen zu lernen? Wo bleibt die Moral? Und letztlich: Wer entwickelt wen weiter?