Verkehrte (Finanz)welt

ICOs – ein Finanzierungskanal mit Zukunft?

Dank der Blockchain finanzieren sich immer mehr Unternehmen über sogenannte Initial Coin Offerings (ICOs). Können sich ICOs trotz ihrer Vor- und Nachteile dauerhaft neben anderen Finanzierungsformen etablieren?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Nach dem ICO können die Coins zum Beispiel in Bitcoin getauscht werden. Quelle: REUTERS

Nach Dienstleistungsbereichen wie Mobilität (Uber) und Hotelübernachtungen (Airbnb), dringt der Trend zu digitalen Plattformen, die zwischengeschaltete Vermittler oft überflüssig machen, nun zunehmend auch in den Finanzsektor vor. Eine zentrale Rolle spielen dabei sogenannte Initial Coin Offerings (ICOs). Dieser neue Finanzierungskanal wird vor allem in der Start-Up-Szene von Unternehmen genutzt, die sich mit Blockchain-Technologie beschäftigen. Die Nähe zwischen ICOs und IPOs („Initial Public Offerings“) ist also nicht nur sprachlich vorhanden. Kann sich der digitale Finanzierungskanal dauerhaft etablieren?

Im Rahmen eines ICOs nehmen Unternehmen neue Finanzmittel auf, die sie dann in die Weiterentwicklung von Produkten, Dienstleistungen oder Märkten investieren können. Im Zuge der Finanzierungstransaktion werden im Unterschied zu etablierten Finanzierungskanälen – wie Eigen- oder Fremdkapital – keine Aktien emittiert oder Kreditverträge ausgehandelt. Das emittierende Unternehmen gibt einen eigenen „Coin“, ergo eine eigene Währung, heraus, die Interessenten gegen Bezahlung erwerben können. Üblicherweise werden diese Coins anschließend an „Krypto“-Börsen gehandelt, wodurch sie sich in andere Kryptowährungen (z.B. Bitcoin) oder bekannte Devisen wie Euro und Dollar tauschen lassen.

Abhängig von der ICO-Ausgestaltung können Coins für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden:

Zur Person

a) Bei sogenannten „Captive ICOs“ lässt sich der erworbene Coin ausschließlich für Produkte oder Dienstleistungen des emittierenden Unternehmens einsetzen. Das Innovationspotenzial dieser ICO-Form ist äußerst limitiert, da es sich letztlich um nichts anderes als eine Pre-Paid-Karte handelt.

b) „Equity ICOs“ ermöglichen Käufern die Ausübung von Stimmrechten und/oder die Vereinnahmung wirtschaftlicher Vorteile aus dem Unternehmen wie Dividenden oder einen Veräußerungserlös. Bei dieser Art des ICOs handelt es sich faktisch um eine alternative Finanzierungsform, die in ihrer Natur die bestehenden Finanzierungskanäle substituieren kann.

Unklare Rahmenbedingungen als Risikofaktor

Captive ICOs spielen aus regulatorischer Sicht keine wesentliche Rolle. Die Rechte, die durch die Vorauszahlung auf den Erwerb eines Gutes bzw. einer Dienstleistung erworben werden, stellen keinen nach Wertpapier-Aufsichtsrecht oder Kreditwesen-Gesetz (KWG) zu regulierenden Tatbestand dar. Equity ICOs werden dagegen sehr wahrscheinlich und eher früher als später in den bestehenden Regulierungsrahmen eingebunden. Das liegt an der Ähnlichkeit zu anderen Finanzierungsinstrumenten und den Rechten, die der Erwerber durch den Kauf solcher Coins erhält.

Neben regulatorischen Hürden gibt es jedoch weitere Herausforderungen, die aus der Natur der ICOs resultieren und bei der Nutzung des Instruments oder der Investition in solche Coins zu beachten sind:

- Verhinderung betrügerischer Websites, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Geld von Investoren vereinnahmen, die glauben, an einem ICO teilzunehmen (Phishing-Attacken)

- Sicherheit der verwendeten Wallets (elektronische Brieftaschen), die für den Erwerb und die Verwahrung der Coins notwendig sind (Wallet-Hacks)

- Unklare Governance-Regeln für die Verwendung der Gelder, die mittels eines ICOs eingeworben werden (Consensus-Regeln)

- Mangelnde Due Diligence durch Investoren, die an ICOs teilnehmen

- Unklarheit über die Rechtsposition, die ein Coin-Besitzer im Verhältnis zum Emittenten und anderen Aktionären des Unternehmens einnimmt

- Währungskursrisiken, die aus der enormen Volatilität resultieren, die Kryptowährungen üblicherweise in den ersten Jahren ihrer Existenz aufweisen

Die Herausforderungen sind insofern sowohl technischer, rechtlicher als auch regulatorischer Natur und werden sich in den kommenden Jahren im Wege der Rechtsfortbildung bestehender Gesetze und neuer Regulierung niederschlagen.

Investoren sollten umfangreich prüfen

Ausgelöst unter anderem durch die extremen Kurssteigerungen beim Bitcoin ist nun ein ICO-Hype entstanden, der fast schon mit der letzten Phase der ersten Tech-Blase Ende der 1990er Jahre vergleichbar ist. Viele Investoren lassen sich derzeit von den scheinbar exorbitanten Gewinnchancen solcher Finanzwetten blenden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Übertreibung, die wir aktuell im Bereich der Coin-Bewertung sehen, sowohl enorme Verlustrisiken entstehen lässt, als auch Betrüger anlockt, die auf diesem Weg schnell und mit geringem Aufwand Gelder von unerfahrenen Investoren abzweigen möchten.

Vermutlich wird der Ruf nach größerer Standardisierung und Transparenz erst dann einsetzen, wenn die ersten großen Betrugsfälle öffentlich geworden sind. Bis dahin kann man ICO-Investoren nur empfehlen, ihre Prüfung – zumindest der handelnden Personen – umfangreich zu gestalten. Sie sollten zudem nur Beträge investieren, deren Totalverlust nicht zu einem wesentlichen Vermögensschaden führt.

Attraktive Alternative bei der Unternehmensfinanzierung

Trotz all dieser Risiken ist davon auszugehen, dass ICOs nach der anfänglichen Sturm-und-Drang-Phase und den wahrscheinlich zu erleidenden Verlusten vieler Investoren durchaus das Potenzial haben, ein etablierter und effizienter Finanzierungskanal zu werden. Das gilt für junge, als auch für etablierte Unternehmen gleichermaßen. Der Trend zur Minimierung von Transaktionskosten durch die Nutzung plattformbasierter Geschäftsmodelle wird auch vor der Finanzbranche nicht Halt machen. ICOs stellen einen weitaus direkteren und damit effizienteren Kanal zur Vermittlung von Unternehmensfinanzierungen dar.

Zudem lassen sich damit perspektivisch Investorengruppen erreichen, die über die klassischen Finanzierungskanäle nur unzureichend in entsprechende Transaktionen eingebunden werden können. Damit wird das neue Finanzierungssegment zu einer realen Herausforderung für alle etablierten Finanzierungsformen und -standorte.

Nischenmärkte wie Gibraltar haben die Chancen dieser Entwicklung bereits verstanden und mit einem umfassenden regulatorischen Rahmenwerk auf die technologischen Neuerungen reagiert. Auch für etablierte Finanzstandorte ist es damit an der Zeit, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der aus dem bestehenden Wildwuchs ein standardisiertes Finanzinstrument werden lässt. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass dieser Rahmen hierzulande die Finanzinnovation nicht direkt im Keim erstickt, sondern Raum lässt, die Chancen der technologischen Entwicklung auch zu nutzen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%