Hinter den Kulissen im TV-Studio Wie die Spin-Doktoren das Duell sahen

Während im Studio Angela Merkel und Martin Schulz vor der Kamera diskutieren, versuchen im Hintergrund Dutzende Partei-Strategen, die Stimmung zu beeinflussen. Ein Einblick in dem Kampf um die Deutungshoheit.

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Die Kanzlerin gilt vielen als die Gewinnerin der Fernsehdebatte. Quelle: dpa

Berlin Die Nachspielzeit des TV-Duells hat die SPD schon mal gewonnen. Die ersten unabhängigen Beobachter im Pressezentrum im Berliner Studio 20 sind sich um kurz vor 22 Uhr am Sonntagabend einig: Martin Schulz ist der Gewinner. Der kurz darauf folgende Einmarsch der beiden Kanzlerkandidaten scheint das Bild zu bestätigen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Sendung das Pressezentrum betritt, bleibt der Jubel ihrer Parteifreunde aus. Als wenige Minuten später Schulz hereinkommt, klatschen und rufen seine Unterstützer. Schulz strahlt. So sehen Sieger aus.

Doch als die ersten Umfragen reintröpfeln, verfinstern sich die Mienen der Schulz-Anhänger. Das ZDF sieht Merkel knapp, die ARD weit vor Schulz. „Mir sind die Umfragen scheißegal“, sagt ein Spin-Doktor der SPD. Es komme darauf an, ob die Menschen nach dem TV-Duell Schulz die Kanzlerschaft eher zutrauen als vorher, und da habe Schulz geliefert. Nur wenige Meter weiter flötet ein enger Mitarbeiter Merkels: „Ich bin hochzufrieden. Schulz hat es in keinster Weise geschafft, Merkels Kanzlerschaft zu erschüttern.“

Das TV-Duell ist der Höhepunkt des Wahlkampfs. Als „stimmungsbildend“ für die letzten Wahlkampfwochen beschreibt ein SPD-Mann kurz vor dem Duell die Auseinandersetzung. Entsprechend fuhren Union und SPD bei dem TV-Großspektakel alles auf, was sie konnten. Jeder, der die mehr als 200 Journalisten und Politikberater an diesem Abend im TV-Studio vom Sieg des eigenen Kandidaten überzeugen kann, ist hilfreich.

Die Union wirkt vor dem Duell zunächst präsenter. Das geht schon vor der Halle los, die Junge Union hat mehr Leute rangeschafft als die Jusos. In der Halle ist dann von Seiten der CDU schon früh alles da, was in der Partei Rang und Namen hat: Beinahe alle CDU-Ministerpräsidenten, Kanzleramtschef Peter Altmaier, Verteidigungsministern Ursula von der Leyen und die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Julia Klöckner, die sich tiefenentspannt gibt.

Am Stand eines Spirituosen-Herstellers bestellt sie den Cocktail „Vorpommersche Teezeit“. Vom „Würselener Jungenspiel“ lässt sie lieber die Finger. Der sei zu trüb und man wisse nicht, was man kriegt. Zuvor hatte Klöckner gegenüber einem SPD-Fraktionsmitarbeiter schon Witze über die Panne des Tages gemacht. Die Sozialdemokraten hatten Martin Schulz in einer Online-Werbung aus Versehen schon mal vorab als Sieger ausgerufen. Dann muss Klöckner los, um für Bundestagsfraktionschef Volker Kauder noch ein Geburtstagsständchen zu singen.

Auch die SPD gibt sich betont lässig. „Ich verrate ihnen jetzt mal ein Staatsgeheimnis“, sagt Generalsekretär Hubertus Heil wenige Minuten vor Sendungs-Start. „Der Martin Schulz ist heute gut drauf.“ Schulz habe am Morgen gut ausgeschlafen, mit Vertrauten gefrühstückt und sei dann noch spazieren gewesen, wird zu Protokoll gegeben. Zuvor habe er am Samstag noch mit seinem Coach Markus Peichl trainiert, dessen Verpflichtung bis Sonntagabend niemand in der SPD offiziell bestätigen wollte. Auch einen anderen neuen Berater verstecken die Genossen nicht mehr. Der frühere „Bild“-Redakteur Béla Anda, der den SPD-Kanzlerkandidaten neuerdings berät, folgt Schulz an diesem Abend auf Schritt und Tritt.


Wo Schulz punkten konnte

Wie die CDU ist auch die SPD in beinahe voller Mannschaftsstärke angerückt. Minister wie Heiko Maas und Ministerpräsidenten wie Manuela Schwesig und Malu Dreyer verbreiten im Vorfeld Zuversicht und lassen sich mit Promis wie dem Schauspieler Clemens Schick ablichten, der die SPD unterstützt, während die Union die Schauspielerin Uschi Glas aufbietet.

Als es um 20.15 Uhr dann endlich losgeht, ziehen es einige der Spitzenpolitiker vor, im Pressezentrum zu bleiben, anstatt in die „Rote Zone“ zu gehen, die den Vertrauten der Kandidaten vorbehalten ist und die fernab vom großen Pressegetümmel liegt.

Während der ersten Minuten herrscht eine konzentrierte Stille im Saal. Als Schulz seine ersten Angriffe auf die Kanzlerin setzt, brandet unter den Schulz-Anhängern erstmals Applaus auf. Kurz darauf ziehen Merkels Sympathisanten mit Beifallsbekundungen nach. Dieses Spielchen setzt sich bis zum Ende der Sendung um 21.50 Uhr fort.

In den ersten Minuten nach dem Duell schlägt dann die Stunde der Spin-Doktoren. Sie beeinflussen nun maßgeblich das Bild, das die Öffentlichkeit vom TV-Duell und damit von den beiden Kandidaten hat. Die ersten unabhängigen Berater sehen den SPD-Kanzlerkandidaten vorn. „Martin Schulz konnte einige Punkte setzen. Aber diese Punkte waren nicht so stark, dass jetzt die Umfragen in die Höhe schießen“, sagt der Politikberater Michael Spreng. Auch der bekannte Journalist Hans-Ulrich Jörges sieht Schulz vorn.

Aus der SPD wird natürlich Ähnliches vermeldet. „Martin Schulz hat es geschafft, auf Augenhöhe mit der Kanzlerin zu diskutieren, was für einen Herausforderer keinesfalls selbstverständlich ist“, sagt ein Spin-Doktor. „Er hat Merkel mehrfach aufs Glatteis geführt, etwa bei der Türkei-Politik. Er hat rausgeholt, was möglich war.“

Die Union zeigt sich ebenfalls zufrieden, spätestens, als die ersten Umfragen eintrudeln, die Merkel vorn sehen. Schulz habe mehrfach versucht, mit falschen Behauptungen zu punkten, etwa dass die Union angeblich die Rente mit 70 wolle. Doch Merkel habe ihn ins Leere laufen lassen. Auch hätte Schulz es bei keinem Thema geschafft, Merkel in echte Bedrängnis zu bringen.

Ohne parteipolitische Färbung ist der Eindruck vieler Beobachter: Das TV-Duell war konfrontativer als erwartet. Und beide Kandidaten wirkten nicht immer souverän. So sei Merkel im Verlauf der Sendung im Gesicht immer röter geworden, Schulz wiederum wirkte so, als hätte er sich zwischendurch immer mal wieder sammeln müssen. Auch hätten beide Steilvorlagen nicht verwandelt. So kam Schulz gar nicht auf das Thema Rüstungsausgaben zu sprechen, bei dem er Merkel eigentlich stellen wollte. Die Kanzlerin wiederum wollte eine aus ihrer Sicht falsche Aussage von Schulz bei der Bearbeitung von Asylanträgen richtigstellen, endete mit ihrer Antwort aber im Nirgendwo.

Zwei Themen werden nach dem TV-Duell unter den Beobachtern besonders stark diskutiert: Das eine ist die Türkei-Politik. Dass Schulz sich das TV-Duell aufgehoben hat, um den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu fordern, sorgte allenthalben für Überraschung. Genauso aber auch die verschwurbelte Merkel-Äußerung, auch sie sei ja eigentlich für einen Abbruch und werde sich dafür einsetzen. Diese Aussagen könnten für beide Kandidaten noch ein Nachspiel haben. So hat Schulz noch vergangenen Mittwoch bei einem Auftritt gesagt, er lehne ein Ende der Beitrittsverhandlungen ab. Merkel wiederum könnte vorgeworfen werden, sich wie schon zuvor bei der Homo-Ehe von der SPD treiben zu lassen und kampflos eine Position zu räumen.

Das zweite Aufregerthema war die Themenakzentuierung der Sendung: Mit der Flüchtlingspolitik anzufangen sei für viele Zuschauer schon harte Kost gewesen, aber danach hätten sich die Fragen auch noch viel zu lang um dieses Thema und um Außenpolitik gedreht. „Zu den Zukunftsthemen Bildung, Digitalisierung, Euro und Energie hörte man nichts“, sagte FDP-Chef Christian Lindner dem Handelsblatt nach der Sendung und bekam dafür auf dem Handelsblatt-Terrassengespräch zum TV-Duell viel Applaus. SPD-Vertreter sahen dies ganz ähnlich. „Die Innenpolitik kam viel zu kurz“, schimpfte etwa Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann. Ein anderes führendes Parteimitglied nannte die Schwerpunktsetzung „skandalös“.

Noch am Abend drängte Schulz daher auf ein zweites TV-Duell. Er stünde bereit. Doch diesen Wunsch wird Merkel ihm nicht erfüllen. Sie wird am Montag so tun, als sei am Vorabend nicht viel passiert, sondern einfach weiterregieren. Um 10 Uhr empfängt die Kanzlerin Kommunalvertreter zum nächsten Diesel-Gipfel.

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