Sieben, acht Leute wollen an der gläsernen Theke Essen bestellen, doch der Mitarbeiter bremst seinen übereifrigen Kollegen. „Mach mal langsamer, die Kassen sind voll“, sagt der hochgewachsene Mann. Der Angesprochene hinter der Essensausgabe, ein dunkelhaariger Mittzwanziger mit blauer Kappe, lächelt seinen nächsten Kunden entschuldigend an. Die Bestellung muss noch warten, die Fleischbällchen bleiben in dem silbernen Behälter liegen.
Die Szene stammt aus einem Ikea-Restaurant – um zwölf Uhr mittags an einem Donnerstag. Dass der schwedische Möbelkonzern an einem Wochentag so viele Kunden zur Mittagszeit anzieht, ist ungewöhnlich für das Einrichtungshaus. Üblicherweise liegen die blauen Kästen mit den vier gelben Großbuchstaben so weit außerhalb der Stadtgrenzen, dass die Verbraucher nur dann dort essen gehen, wenn sie ohnehin gerade dort einkaufen, also eher am Wochenende.
Wer bei Ikea kauft
Weiblich: 54,3 Prozent (Bevölkerung 51 Prozent)
Männlich: 45,7 Prozent (Bevölkerung 49 Prozent)
Ikea-Kunden in Deutschland im Vergleich mit der Bevölkerung im Jahr 2013
Quelle: Statista, VuMA // Stand: 2013
14-19 Jahre: 11,3 Prozent (Bevölkerung: 7 Prozent)
20-29 Jahre: 25,4 Prozent (Bevölkerung: 14 Prozent)
30-39 Jahre: 20,1 Prozent (Bevölkerung: 13,6 Prozent)
40-49 Jahre: 21,6 Prozent (Bevölkerung: 18,8 Prozent)
50-59 Jahre: 13 Prozent (Bevölkerung: 16,8 Prozent)
60-69 Jahre: 5 Prozent (Bevölkerung: 12,5 Prozent)
70 Jahre und älter: 3,6 Prozent (Bevölkerung: 17,4 Prozent)
Ledig: 40,9 Prozent (Bevölkerung: 27,9 Prozent)
Verheiratet: 49,7 Prozent (Bevölkerung: 54,6 Prozent)
Geschieden: 7,5 Prozent (Bevölkerung: 8,8 Prozent)
Verwitwet: 1,9 Prozent (Bevölkerung: 8,7 Prozent)
Kein eigenes Einkommen: 13,6 Prozent (Bevölkerung: 9,9 Prozent)
Bis unter 500 Euro: 8,9 Prozent (Bevölkerung: 8,1 Prozent)
500 bis unter 1.000 Euro: 19,1 Prozent (Bevölkerung: 21,1 Prozent)
1.000 bis unter 1.500 Euro: 21 Prozent (Bevölkerung: 24,1 Prozent)
1.500 bis unter 2.000 Euro: 16,8 Prozent (Bevölkerung: 16,8 Prozent)
2.000 bis unter 2.500 Euro: 9,9 Prozent (Bevölkerung: 9,8 Prozent)
2.500 bis unter 3.000 Euro: 5 Prozent (Bevölkerung: 4,5 Prozent)
3.000 bis unter 3.500 Euro: 2,6 Prozent (Bevölkerung: 2,4 Prozent)
3.500 bis unter 4.000 Euro: 1,1 Prozent (Bevölkerung: 1,3 Prozent)
Mehr als 4.000 Euro: 2 Prozent (Bevölkerung: 2 Prozent)
Doch in Hamburg-Altona gehört der Andrang mitten in der Woche zum Alltag. Denn die im Juni 2014 eröffnete Filiale liegt in der Fußgängerzone, der schwedische Konzern bewirbt sie als das „weltweit erste Innenstadthaus“ – auch, wenn das „weltweit“ nicht wirklich stimmt. Trotzdem könnte Ikea mit seinem Prototyp in Hamburg-Altona ein Vorbild für andere Möbelhäuser werden. Zumindest dann, wenn die Kunden irgendwann auch zum Möbelkauf kommen und nicht nur zum Mittagessen.
„Viele glaubten, wir hätten keine Möbel“
Wer sich die Besucherzahlen anschaut, könnte meinen, der Ikea in Hamburg-Altona sei ein Erfolgsmodell. Das Innenstadt-Möbelhaus gehört nach Firmenangaben zu den fünf Ikea-Filialen mit den meisten Besuchern in Deutschland. Insgesamt betreibt Ikea 48 Standorte im Land. Die hohen Besucherzahlen in Altona lassen sich vor allem mit dem Andrang im Restaurant erklären: Familien, Hemdträger, ältere Menschen mit Gehhilfe, junge Paare treffen sich zum Mittagessen bei Köttbullar und Pommes.
Ikea ist in Deutschland auf Wachstumskurs
Umsatz: 3,48 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 14.000
Einrichtungshäuser: 45
Quelle: Ikea Deutschland
Umsatz: 3,65 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 14.447
Einrichtungshäuser: 45
Umsatz: 3,88 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 15.294
Einrichtungshäuser: 45
Umsatz: 3,99 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 15.503
Einrichtungshäuser: 45
Umsatz: 4,12 Milliarden Euro
Mitarbeiter: 16.000
Einrichtungshäuser: 48
Umsatz: 4,4 Milliarden Euro (+7,7%)
Mitarbeiter: 16.826 (+857)
Einrichtungshäuser: 50
Doch das Möbelhaus in der Innenstadt ist trotz der vielen Kunden keine reine Erfolgsgeschichte. Denn die Kunden lassen im Mittel weniger Geld da. „Der Durchschnittsbon liegt bei uns deutlich niedriger als in anderen Häusern“, sagt Christian Mollerus, Geschäftsführer der Filiale. Das Problem: „Viele Kunden haben anfangs geglaubt, wir hätten keine Möbel.“
Transport-Werbung auf dem Klo
Ein möglicher Grund für die Verwirrung der Kunden: Das Möbelhaus ist anders aufgezogen als die Ikea-Filialen am Stadtrand. Statt im Erdgeschoss müssen Waren in der dritten Etage abgeholt werden. Kassen gibt es aber auf beiden Verkaufsetagen, sodass Kunden nicht durch den Lagerbereich gehen müssen, um bezahlen zu können. „Nach den heutigen Zahlen können wir noch nicht sagen, ob es am Aufbau liegt, dass die Kunden bei uns weniger Geld lassen“, sagt Mollerus. Ausschließen will der Geschäftsführer es nicht: „Es könnte ein Grund sein.“
Viele Besucher jedenfalls kommen über die erste Etage nicht hinaus. Statt durch die Möbelausstellung zu gehen, biegen sie gleich am Eingang ab und gehen ins Restaurant. Warum das ein Problem für die Schweden ist, lässt sich in den Gängen der Möbelausstellungen in den höheren Etagen beobachten. Einige Ikea-Mitarbeiter stehen in Grüppchen an den Computern herum, andere verschieben Gläser von einem Regal zum anderen, nur selten sind sie im Kundengespräch zu beobachten.
Von den Kassen in der dritten Etage sind genau zwei geöffnet – eine davon die Selbstbediener-Kasse. Lange Schlangen: Fehlanzeige. Eine weitere Herausforderung für Mollerus: Hamburg-Altona lässt sich zwar sowohl mit der Bahn als auch zu Fuß gut erreichen. Den Postleitzahlen zufolge, die Ikea bei den Kunden abfragt, kommen auch besonders viele Anwohner. Doch sperrige Möbel lassen sich nur schwer ohne Hilfe nach Hause bringen. Auch deshalb verzeichnet die Filiale in Hamburg-Altona laut ihrem Chef die meisten Transporte in Deutschland.
Trotz der Probleme könnte ein Ikea in der Innenstadt die Zukunft sein. „Das bisherige Konzept von Möbelhäusern stößt an seine Grenzen“, sagt Timo Renz, Partner bei der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner. Der Handel sei gerade durch die Konkurrenz durch das Internet aufgefordert, seine bisherigen Praktiken zu ändern. „Eine Filiale in der Innenstadt birgt neues Wachstumspotenzial und ist ein Weg, noch näher an die Kunden heranzukommen“, so der Experte für den Möbelmarkt. Das sei ein „hochinteressantes“ Format – auch für andere Möbelhäuser.
Ikea ist dementsprechend auch nicht das einzige Einrichtungshaus, das sich in ein Stadtzentrum traut. Karsten Burbach, Leiter für den Bereich Einzelhandel bei dem Immobilienberatungsunternehmen CBRE, sieht den Umzug in die Innenstadt durchaus als Trend. „Viele Möbelhändler sind in den Innenstädten heute auf kleineren Flächen vertreten“, sagt er. Als Beispiele nennt er Anbieter wie Who’s perfect oder Habitat, die sich mit ihren Filialen mitten in der Stadt niederlassen. Auch die Ikea-Filiale in Hamburg-Altona misst mit 18.000 Quadratmetern rund 20 Prozent weniger Fläche als gewöhnliche Möbelhäuser.
Andere Kundschaft, anderes Sortiment
Kleiner sind die Flächen insgesamt auch deswegen, weil die Mietpreise im Zentrum gewöhnlich höher sind als am Stadtrand. Allerdings sei dies nicht prinzipiell ein Problem, sagt Burbach. „Ob sich der Mietpreis für eine Immobilie rechnet, ist eine Frage der Flächenproduktivität.“ Der CBRE-Experte geht davon aus, dass sich der Umsatz pro Quadratmeter in einer Innenstadtlage verdoppeln kann, weil die Häuser in besserer Lage andere Zielgruppen ansprechen können.
Sein Kollege Renz vergleicht den Ikea in Hamburg-Altona mit dem Lebensmittelmarkt: Supermärkte seien in den Innenstädten lange nicht präsent gewesen, mit neuen Konzepten wie etwa „Rewe City“ habe sich das aber geändert. Das zeige sich nun auch bei den Möbelhäusern – und hat einen positiven Nebeneffekt: „Durch die Präsenz in der Stadtmitte könnten Einrichtungshäuser für den Kunden bald zum Alltag gehören“, sagt Renz.
Trotzdem sieht Burbach den Innenstadt-Ikea eher als Ergänzung denn als Ersatz für die bisherige Strategie. „Die Möbelhäuser in den Stadtzentren werden nicht die Ableger auf der grünen Wiese ersetzen“, sagt der Experte. Zudem liege der Ikea in Hamburg-Altona nicht in „Toplage am Jungfernstieg“, sondern lediglich zentral in einem Stadtteil, der gut erreichbar sei.
Um sich dauerhaft durchzusetzen, muss sich Ikea über neue Sortimente Gedanken machen, weil das Möbelhaus andere Kunden ansprechen wird. In Innenstädten gebe es eine „höhere Frequenz“ an Durchgangspublikum, erklärt Renz. Der Möbelkauf sei in der Innenstadt weniger komfortabel. „Mit demselben Sortiment wird das Konzept nicht funktionieren.“ Ikea müsse in Altona auf andere Artikel setzen. In Innenstädten gebe es eine „höhere Frequenz“ an Durchgangspublikum, erklärt Renz. Der Möbelkauf sei in der Innenstadt weniger komfortabel. „Mit demselben Sortiment wird das Konzept nicht funktionieren.“ „Möbel sind Zielkäufe, keine Spontankäufe“, sagt der Chef in Hamburg-Altona, Christian Mollerus. Es ist eine noch nicht gelöste Herausforderung, den Kötbullar-Esser zum Küchen-Käufer zu machen.