Jobsuche Wer im Bewerbungsgespräch lügt, gewinnt

Wer beim Jobinterview flunkert, könnte sogar der bessere Kandidat sein. Quelle: Imago

Viele Jobsuchende flunkern im Bewerbungsgespräch. Eine Studie zeigt: Wer so übertreibt, ist oft sogar der bessere Kandidat für die Stelle.

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Der Traumjob scheint zum Greifen nah: Da ist die Versuchung groß, beim Bewerbungsgespräch vermeintlich erwünschte Antworten zu geben und dabei vielleicht sogar die eigenen Qualifikationen zu erhöhen. Lügen in Auswahlgesprächen ist ein verbreitetes Phänomen: Bisherige Studien zum Thema haben ergeben, dass über 90 Prozent der Bewerber in solchen Gesprächen den Mund ganz schön voll nehmen.

Nun konnten Psychologen der Universität Ulm und der University of Missouri St. Louis erstmals zeigen, dass Kandidaten, die nicht bei der Wahrheit bleiben, von ihrem Gegenüber auch noch besser beurteilt werden als die Ehrlichen. Dennoch trägt dieses „Faking“ nicht unbedingt dazu bei, dass die weniger qualifizierten Bewerber ausgewählt werden, wie ein detaillierter Blick in die Studie zeigt. Die Psychologen konnten nämlich auch zeigen, dass erfolgreiches Faking auf eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit der Kandidaten schließen lässt. Kurz: wer situativ gut lügt, kann schonmal nicht dumm sein.

Die Ausgangslage ist scheinbar ungerecht: Beim Bewerbungsgespräch weiß ein Kandidat seine mittelmäßigen Leistungen ins rechte Licht zu rücken und bekommt die Stelle. Sein eigentlich qualifizierterer Mitbewerber, der grundehrlich auf die Fragen des Personalers antwortet, erhält eine Absage. Für den Personaler selbst ist nur schwer zu erkennen, wenn der potenzielle Mitarbeiter seine Antworten im Auswahlgespräch anpasst, um einen besseren Eindruck zu machen – und deshalb womöglich auch übertreibt. Doch mindert Faking überhaupt die Qualität eines Auswahlprozesses?

Genau das haben die Experten aus Ulm und St. Louis erforscht. Sie wollten wissen, inwiefern Personen, die flunkern, tatsächlich besser beurteilt werden als ihre „ehrlichen“ Mitbewerber. Weiterhin erhoben die Wissenschaftler um Anne-Kathrin Bühl und Klaus Melchers, Leiter der Ulmer Abteilung für Arbeits- und Organisationspsychologie, die (vor allem kognitiven) Fähigkeiten der Studienteilnehmer.

„Bisher gab es zahlreiche Studien, die belegen, dass Bewerber in Persönlichkeitstests durch Faking ein deutlich positiveres Bild abgeben. Inwieweit Faking in Auswahlgesprächen jedoch ebenfalls zu besseren Leistungsbeurteilungen führt und ob es die Vorhersagekraft dieser Gespräche beeinträchtigt, war bis jetzt völlig unklar“, erläutert Melchers.

Um Faking in Auswahlgesprächen auf die Spur zu kommen, haben die Forscher umfangreiche Erhebungen mit 111 studentischen Probandinnen und Probanden durchgeführt. Alle Studienteilnehmer wurden zu jeweils zwei Interviews eingeladen, durch die ihre akademische Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden sollte. Bei einem Gespräch erhielten sie die Anweisung, sich bestmöglich als idealer Bewerber für ein hochselektives Masterprogramm zu präsentieren. Darüber hinaus wurde gutes Abschneiden mit Geldpreisen belohnt.

Ein weiteres Interview, bei dem vergleichbare Fragen gestellt wurden, lief in deutlich entspannterer Atmosphäre ab: In diesem Fall wurden die Probanden instruiert, ehrlich über ihr Studienverhalten zu berichten. Dabei sollten die Rahmenbedingungen ein „realistisches“ Antwortverhalten fördern. Zwischen den beiden Gesprächen lagen mindestens zehn Tage. Zuvor hatten die Studienteilnehmer einen Online-Fragebogen zu Persönlichkeitsmerkmalen, demographischen Variablen und ihrem Notendurchschnitt ausgefüllt. Weitere Hinweise auf ihre Studienleistung gaben Einschätzungen von Kommilitonen.

„Faking erfordert ein hohes Ausmaß an kognitiven Fähigkeiten: Bewerber müssen blitzschnell die Ziele des Interviewers erkennen und eine Antwort formulieren, die zum bisherigen Wissen des Gesprächspartners über ihre Person passt“, erklären die Autoren. Deshalb absolvierten alle Probanden einen zusätzlichen Intelligenztest sowie den so genannten ATIC-Test („Ability to Identify Criteria“), der Rückschlüsse auf ihre Fähigkeit erlaubt, Bewertungskriterien korrekt zu identifizieren. Um Faking statistisch nachzuweisen und Auswirkungen nachzuvollziehen, wurden die bewerteten Antworten aus beiden Gesprächen gegenübergestellt sowie mit den Resultaten der weiteren Erhebungen, etwa zur Leistungsfähigkeit im Studium, verglichen.

Die Ergebnisse der Arbeits- und Organisationspsychologen dürften Personaler insgesamt beruhigen: „Tatsächlich sind Bewerber besser beurteilt worden, wenn sie „Faking“ einsetzten. Das Ausmaß der Verbesserung hing jedoch systematisch mit dem Abschneiden beim Intelligenz- sowie ATIC-Test zusammen“, erklärt Anne-Kathrin Bühl.

Womöglich trägt das Flunkern also gar nicht dazu bei, dass die „falschen“ Bewerber mit weniger Potenzial ausgewählt werden. In der Studie ließ sich die Studienleistung von Personen sogar besser anhand des Interviews unter „Faking-Bedingungen“ vorhersagen.

Eine bessere Vorhersage der so genannten kontextbezogenen Leistung im Studium, die beispielsweise das freiwillige Engagement und Hilfsbereitschaft umfasst, lieferte jedoch das „ehrliche“ Interview. Demnach mindert Faking nicht unbedingt die Aussagekraft von Bewerbungsgesprächen. Vielmehr kommt es darauf an, auf welche Leistungsdimensionen Interviewer schließen wollen.

Unterm Strich könnten die Ergebnisse also auch so interpretiert werden, dass Lügner zwar gute Leistungen im Job bringen können, aber sozial und in Sachen Teamfähigkeit – also bei den mindestens genauso wichtigen Soft Skills – weniger gut abschneiden. Diese Frage lässt die Studie leider unbeantwortet.

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