
Rückschlag für die Industriestrategie von Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Der Anteil des Verarbeitendes Gewerbes an der Bruttowertschöpfung in Deutschland ist im vergangenen Jahr auf den tiefsten Stand seit der weltweiten Finanzkrise 2009 gesunken. Er fiel auf 21,5 Prozent von 22,6 Prozent 2018, wie aus Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag vorlagen.
Einen niedrigeren Wert gab es zuletzt 2009 mit 19,7 Prozent, als die Exportnation Deutschland wegen der globalen Finanzkrise in die schwerste Rezession der Nachkriegszeit rutschte. Altmaier strebt in seiner „Industriestrategie 2030“ einen Anteil von 25 Prozent als „Leitwert“ an.
Der Rückgang ist mit der Rezession der exportlastigen Industrie zu erklären, die 2019 unter Handelskonflikten, schwächerer Weltkonjunktur und dem Brexit-Chaos litt. Dazu trug insbesondere die schwache Produktion in der Automobilindustrie bei: Diese schrumpfte dem Ifo-Institut zufolge im vergangenen Jahr um rund neun Prozent. Der Branche machten erst der Dieselskandal und dann neue Prüfverfahren zu schaffen, schließlich belastet auch der Wandel hin zu Elektrofahrzeugen.
„Die aktuellen Zahlen zum Industrieanteil zeigen, dass die Industriestrategie zum richtigen Zeitpunkt gekommen ist“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums zu Reuters. „Denn wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa stärken.“
Dazu zähle die Förderung von Schlüssel- und Zukunftstechnologien. Hier seien mit der Batteriezellfertigung bereits zwei gesamteuropäische Projekte auf das Gleis gesetzt worden. „Das sind wichtige Schritte für den Automobilstandort in Deutschland und Europa.“
Zentral seien auch gute Rahmenbedingungen und Planbarkeit. „Dazu gehört, dass es nicht zu substanziell neuen Belastungen bei Steuern oder Sozialabgaben kommen darf“, betonte die Sprecherin. Altmaier setze sich deshalb weiter für eine Unternehmenssteuerreform ein, um Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
„Überhaupt nicht sinnvoll“
Regierungsberater zweifeln, ob Altmaier mit seiner 25-Prozent-Leitmarke auf dem richtigen Weg ist. „Es erscheint mir überhaupt nicht sinnvoll, einen bestimmten Wertschöpfungsanteil für einen Teilbereich der Wirtschaft als Zielgröße der Wirtschaftspolitik zu wählen“, sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, zu Reuters. „Anzustreben ist doch vielmehr, dass die Volkswirtschaft insgesamt eine nachhaltig hohe Leistungs- und Innovationsfähigkeit aufweist.“
In Deutschland sei die Industrie zwar vergleichsweise bedeutsam - in Großbritannien etwa liegt der Anteil nicht einmal halb so hoch. „Aber dieser Anteil würde auch dadurch steigen, dass der Rest der Volkswirtschaft in der Leistungsfähigkeit nachließe“, sagte Schmidt. „Die Steigerung alleine kann daher aus meiner Sicht keine sinnvolle wirtschaftspolitische Zielgröße sein.“
Besser wäre es, nachhaltig hohe Steigerungen der Arbeitsproduktivität innerhalb und außerhalb der Industrie bei gleichzeitig hohem Beschäftigungsstand anzustreben.
Um zu einer nachhaltig hohen Leistungs- und Innovationsfähigkeit beizutragen, sollte die Politik für möglichst gute Rahmenbedingungen sorgen. „Je attraktiver Deutschland als Investitions- und Innovationsstandort ausgestaltet wird, desto eher dürfte sich eine nachhaltig hohe Leistungs- und Innovationsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft einstellen“, forderte Schmidt, der auch Präsident des Essener RWI-Instituts ist.
„Dazu gehört es unter anderem, eine funktionierende physische Infrastruktur bereitzustellen, den Wettbewerb sicherzustellen, den europäischen Binnenmarkt zu vertiefen und ein international wettbewerbsfähiges System der Besteuerung von Unternehmen einzusetzen.“