Meldungen des Bundesverbands der Obst-, Gemüse- und Kartoffelverarbeitenden Industrie sind meistens wenig spektakulär. Doch in der vergangenen Woche war es anders: Ab Mai werde Rotkohl knapp, ab Juli Sauerkraut. Was ist da los? Antworten kennt Stefan Leitz, Chef des Traditionsherstellers Kühne. Ein Krisengespräch im Konferenzraum in der altehrwürdigen Firmenzentrale in Hamburg.
Herr Leitz, können Rot- und Weißkohl tatsächlich knapp werden?
Ja, wir sind selbst extrem davon überrascht worden. Selbst Kollegen, die 30 Jahre im Geschäft sind, können sich an so eine Situation nicht erinnern. Es war 2015 im Süden extrem trocken, gerade in der Wachstumsphase. Daher fehlt etwa die Hälfte der Menge, die wir mit unseren Vertragsanbauern vereinbart haben – ganz einfach, weil der einzelne Kohlkopf deutlich kleiner ist als sonst.
Wir sprechen so viel über industrielle Landwirtschaft. Wie kann es sein, dass das Wetter immer noch so einen großen Einfluss hat?
Rot- und Weißkohlfelder werden nicht beregnet. Solche Anlagen wären einfach zu teuer. Anders ist das bei Gurken. Dort arbeiten wir mit Tröpfchenbewässerung. Trotzdem gibt es nass-warme Nächte, in denen die Gurken als Nachtschattengewächse förmlich explodieren. Dann haben wir zu wenig kleine Gurken, aber insgesamt eine Gurkenschwämme.
Hat die Lage beim Rotkohl mit dem Klimawandel zu tun?
Ich denke nicht. Es gab ja eine Zweiteilung des Wetters in Deutschland. Wir haben zwei Produktionsstandorte: In Straelen an der niederländischen Grenze und in Schweinfurt. In Straelen lag die Schwankung im Bereich des Normalen, dramatisch war es nur in Süddeutschland. In beiden Regionen arbeiten wir fest mit Landwirten zusammen, die für uns anbauen.
Gibt es nächste Weihnachten eine Rotkohl-Knappheit?
Um das zu verhindern, müssen wir reagieren - ohne bei der Qualität große Kompromisse zu machen. Was wir kriegen konnten, haben wir auf dem freien Markt zugekauft. Doch der ist begrenzt. Die Preise sind also explodiert – auf das Vier- bis Fünffache des Normalpreises. Wir haben fast einen siebenstelligen Betrag zusätzlich in die Rohwaren investieren müssen. Trotzdem haben wir weniger Menge bekommen, als wir wollten. Da wir noch ein bisschen Bestand aus dem Vorjahr hatten, sind wir vorerst voll lieferfähig. Im laufenden Jahr werden wir wohl mehr Frühkohl einsetzen müssen. Der wird eher geerntet und ist entsprechend kleiner – und damit teurer.
Warum die Deutschen Online-Shopper sind
„Aus heutiger Sicht wäre das der Weg zurück in die Steinzeit“, lautete eine Antwort auf diese Frage. E-Commerce hat sich fest in den Alltag der meisten Menschen integriert. Die Deutschen sind insgesamt besonders positiv eingestellt. 61 Prozent der Deutschen Online-Shopper möchten auf diese bequeme Art des Einkaufs nicht mehr verzichten.
„Zu den Zeiten einkaufen, die in mein Leben passen“ nennen in Deutschland vier von fünf Konsumenten als wichtigsten Vorteil. Eine echte Zeitersparnis haben 57 Prozent festgestellt. Mehr Zeit zu haben, empfinden dabei die meisten Deutschen als eine Entlastung im Alltag: 63 Prozent geben an, „viel weniger Stress beim Einkaufen als früher in der Stadt“ zu haben. 55 Prozent geben an, sich entspannter zu fühlen.
„Genau das Produkt, das ich suche“ finden in der Regel zwei Drittel der Online-Shopper. Und zwar sehr schnell und zum günstigsten Preis. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) gibt an, im Internet oft besonders individuelle Produkte zu finden, 62 Prozent schätzen es, dass sie Produkte finden, „die man im Geschäft beziehungsweise via Katalog nicht bekommen würde“.
Die Mehrheit der Käufer erlebt sich im Internet als „empowered consumer“. Zwei Drittel der Online-Shopper halten sich für besser informiert über Angebote und Preise als früher, nutzen gerne Bewertungen anderer Kunden und meinen, dass Konsumenten heute durch Kommentarfunktion und Empfehlungen beim Online- Kauf viel mehr Einflussmöglichkeiten haben.
Quelle: Studie im Auftrag der Deutschen Post: Einkaufen 4.0 - der Einfluss von E-Commerce auf Lebensqualität und Einkaufsverhalten
Wird der Preis im Supermarkt entsprechend steigen?
In dieser Saison werden die Verbraucher noch nicht viel bemerken. Danach ist eine Preiserhöhung denkbar, denn wir können die Kostensteigerung nicht allein durch mehr Effizienz ausgleichen.
Das Vier- bis Fünffache wie teilweise bei Ihrem Einkaufspreis wird es aber wohl nicht, oder?
Nein. Jetzt kostet Rotkohl in der Aktion häufig 88 oder 89 Cent, im Regal zwischen 1,09 bis 1,19 Euro. Vier Euro wird er sicherlich nicht kosten. Außerdem haben wir am freien Markt ja nur etwa 40 Prozent der Menge kaufen müssen – der Rest kam zum vereinbarten Preis von unseren Vertragslandwirten. Auf die Gesamtmenge gerechnet haben wir also doppelt so viel ausgegeben. Aber auch eine Verdopplung der Rotkohlpreise wird es im Supermarkt sicherlich nicht geben.
"Für den Bauern ist der Kohlanbau attraktiv"
Ärgern sich Ihre Vertragsanbauer nicht, die auf dem freien Markt einen wesentlich höheren Preis hätten erzielen können?
Wir arbeiten mit den Landwirten teilweise in der dritten Generation zusammen. In diesem Jahr mag sich mancher ärgern. In vielen anderen Jahren sind die Landwirte hingegen froh, einen zuverlässigen Abnehmer zu haben. Unser Marktanteil bei Rotkohl im Glas liegt bei 40 Prozent – wir sind also ein guter Partner. Und zwar nicht aus romantischen Beweggründen, sondern weil wir eine gute kaufmännische Zusammenarbeit über die gesamte Wertschöpfungskette pflegen.
Wie wichtig sind diese Partnerschaften?
Extrem wichtig – in der gesamten Branche. Wir sind voneinander abhängig. Unsere Werke wurden einst mitten in den Anbaugebieten gebaut, um die Rohware sehr schnell vom Feld ins Glas zu bekommen. Würden die Landwirte keinen Rotkohl oder Gurken anbauen, hätten wir lange Lieferwege. Auf der anderen Seite ist für den Bauern der Kohlanbau attraktiv: Die Ernte ist erst im Oktober und November, also nach den meisten anderen Feldfrüchten. Er kann seine Kräfte so über das Jahr auslasten.
Das klingt so, als würden Sie gar nicht importieren?
Richtig, der Import spielt bei Kohl kaum eine Rolle, denn Rot- und Weißkohl sind sehr schwer. Die Transportkosten sind viel höher als etwa bei Erdbeeren, Gurken oder Zwiebeln. Deswegen ist das Sourcing ein Inlandsgeschäft.
Es gibt also – anders als bei Getreide oder Kaffee – keinen Weltmarktpreis für Kohl?
Nein, der Preis ergibt sich regional.
Ist der Absatz genauso national?
Das meiste verkaufen wir natürlich in Deutschland. Aber durch die Verbreitung des Oktoberfests weltweit exportieren wir zunehmend sowohl Rotkohl als auch Sauerkraut und Senf.
Können sie wirtschaftlich durchhalten, falls das kommende Jahr nochmal so schlecht wird?
Rotkohl ist ein wichtiges Segment für Kühne, aber nicht das einzige. Daher können wir die Mehrbelastung verkraften. Außerdem glaube ich nicht, dass es so ein extremes Jahr direkt nochmal gibt.
„Star Wars ist keine Maschine zum Gelddrucken“
Beschäftigen Sie sich angesichts solcher Vorfälle mit dem Klimawandel? Vielleicht fällt ja eine Kohlregion in Deutschland ganz weg?
Nein, ich muss zugeben, das Thema beobachten wir bislang noch nicht gezielt. Akuter sind für uns die Auswirkungen des Mindestlohns in der Landwirtschaft. Das betrifft vor allem die Gurken, die sehr arbeitsintensiv wird. Ein Wachstumsbereich sind Cornichons, kleine Gurken. Die sind aber besonders arbeitsintensiv. Daher fragen wir uns schon, ob die in zehn Jahren noch angebaut werden können.
Wie reagieren Sie?
Wir verjüngen die Marke Kühne. Wir haben eine ganze Reihe neuer Produkte eingeführt – abseits von Gurke und Rotkohl. Diese Produkte sind etwas wetterunabhängiger. Wir sind im Dezember erstmals seit vielen in eine neue Kategorie eingestiegen: Gemüse-Chips. Die erreichen eine jüngere Zielgruppe – ebenso wie neuen Grillsaucen „Made for Meat“, unsere neue „Kühne Enjoy“ Vinaigrette und vegane Salatcreme.
Auf Ihrem Konferenztisch stehen einige Gläser Star-Wars-Senf. Funktioniert so etwas?
Ja, extrem gut. Wir wollen bis Ostern 600.000 Gläser verkaufen. Das Schöne an Star Wars ist: Der Film erreicht Kinder genauso wie ihre Eltern. Im Frühjahr gibt es übrigens noch eine zweite Welle an Star-Wars-Produkten, wenn der Film als DVD rauskommt – mit den Sommerprodukten wie Getränken. Disney macht das sehr geschickt.
Und das lohnt sich auch noch nach Abzug der Lizenzgebühren?
Das ist zwar keine Maschine zum Gelddrucken, aber wir bekommen damit mehr Konsumentenkontakte und mehr Marktanteil. Einige neue Käufer bleiben vielleicht bei unserem Senf.
Herr Leitz, vielen Dank für das Interview.
Stefan Leitz ist seit 2013 Chef des Hamburger Essig-Herstellers Kühne. Er stammt aus der Konsumgüterindustrie: Zuvor war er Verkaufsleiter beim Weltkonzern Unilever. Davor arbeitete er bei Procter & Gamble, Wella und Gillette. Als Marketingmensch ist seine eigentliche Aufgabe, die Marke Kühne weiterzuentwickeln. Doch aktuell muss er sich viel mit der Lieferkette beschäftigen.