Leadership 4.0 Misstrauen Sie „Goldenen Regeln“ der Führung!

Führung rockt – wenn es gelingt, die Kreativität der Mitarbeiter und deren Lust am eigenen Wirken zu wecken und ihnen Freiräume zum Wachsen zu geben. Wie das im Arbeitsalltag gelingen kann, zeigt Psychologe Lutz Eichler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Führungskräfte müssen ihre Rolle heute neu definieren und sich klar werden, dass Führung vor allem von den Geführten abhängig ist. Quelle: Getty Images

Nürnberg Führungskräfte müssen ihre Rolle heute neu definieren und sich klar werden, dass Führung vor allem von den Geführten abhängig ist. Sie müssen anders kommunizieren und mit Fehlern umgehen, ihren Mitarbeitern die Möglichkeiten geben, auch scheinbar verrückte oder abwegige Dinge zu tun und damit ein echtes Klima für freies Denken und Innovationen schaffen. In seinem Gastbeitrag, den Lutz Eichler für unser Businessnetzwerk Leader.In geschrieben hat, gibt der Psychologe Führungskräften Impulse zum Aufstehen, Anfangen und Anpacken!

Wir sind ein altes, unerhört erfolgreiches Industrieland. Unser Perfektionismus hat uns reich gemacht, aber auch eine bestimmte Spezies von Führungskräften hervorgebracht. Auf Effizienz getrimmte, geschliffene Manager ohne Ecken und Kanten, deren oberste Ziele reibungsloses Funktionieren, Plan- und Berechenbarkeit sind. Auf Funktionieren getrimmte Organisationen und stromlinienförmige Technokraten bringen aber auch eine entsprechende Führung hervor. Eine DIN-Führung, auf Kontrolle und Berechenbarkeit angelegt und mit maximaler Funktionsgarantie versehen. Daher auch die bei uns weit verbreitete Vorliebe für Führungstechniken und Führungsinstrumente.

Doch nun stehen wir am Beginn von etwas Neuem. Wie ein Silberstreif am Horizont zeigt sich, dass die Digitalisierung unsere gesamte Wirtschaft verwandeln wird. Dieses Neue kommt ohne Funktionsgarantie, verlangt aber umso mehr Flexibilität, Kreativität und freies Denken und wir sind gut beraten, uns in unserem unternehmerischen und Führungshandeln darauf einzustellen. Dazu bedarf es nicht ein wenig Anpassung oder ein wenig Veränderung, ein wenig Verbesserung – VERGESSEN Sie’s! Es bedarf einer REVOLUTION.

Dieses Neue braucht keine auf Effizienz getrimmten Firmensoldaten. Dieses Neue verlangt nach Paradigmen-Pionieren, die unsere Unternehmen und Organisationen im Schumpeterschen Sinne wieder neu erfinden und neue Denkmuster umsetzen wollen und zwar jenseits von Effizienz- und Rationalisierungsinnovationen. Gelingt das, hat Deutschland gute Chancen, auch zukünftig im Wettbewerb zu bestehen. Gelingt das nicht, werden sich unsere bestehenden Stärken in Schwächen verwandeln.

Führung muss sich grundlegend wandeln. Weg von starrer, bürokratischer Homogenisierung, weg von Verfahren, hin zu Individuum und Individualität. Aber in chaotischen, unübersichtlichen oder schwierigen Zeiten greifen Führungskräfte, wie die meisten Menschen auch, auf einfache Erfahrungsmodelle und Instrumente für komplexe Sachverhalte und komplizierte Probleme zurück. Schwierige Zeiten bedeuten aber ein neues Spiel mit keinen beziehungsweise wenigen und wenn, dann auf jeden Fall neuen Regeln. Vertraute und logische Werkzeuge führen dabei vielleicht zu einem Desaster und nicht zu einer Lösung. Ein Sprichwort sagt: „Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Ebenso verhält es sich mit vielen Führungsinstrumenten. Sie sollten Führung verbessern und vor allem vereinheitlichen, führten in der Regel aber nur zu einer Bürokratisierung und technokratischen Erstarrung der Führung.


„Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“

Eine Erstarrung, die wir uns heute auf keinen Fall mehr leisten können. Führung als Sozialtechnik ist in Zeiten der digitalen Transformation nicht tot, aber sie ist auf keinen Fall der Einsatz von Instrumenten, so verlockend das unter dem Gesichtspunkt Big Data auch ist. Sie ist vielmehr das Vermitteln einer Einstellung. Führung ist keine Anwendung irgendwelcher Techniken, sondern das Initiieren von Bewusstseinsprozessen. Führung ist Geschichten erzählen, ist gelebte Leidenschaft, aktives Zuhören, Menschlichkeit, Respekt und Einfühlungsvermögen.

Eine Zeit, in der sich Technologie und Gesellschaft schnell wandeln, ist eine Zeit des Experimentierens. Wie aber experimentieren, wenn diese Experimente von vornherein nicht scheitern dürfen? Die Digitalisierung verlangt nach schnellen Pilotprojekten. Dabei kommt es zwangsläufig zu Misserfolgen und Fehlern. Worauf es ankommt ist, Fehler nicht nur als Sprungbrett der Hoffnung zu betrachten, sondern mit Fehlern anders umzugehen als bisher üblich. Betreiben Sie aktives Fehlermanagement! In einer solchen Kultur werden Fehler nicht nur offen akzeptiert, analysiert und deren Quellen rational ausgeschaltet und damit künftig vermieden, sondern es werden auch grandiose Misserfolge belohnt. Aber vor allem letzteres stellt die DIN-Führung vor schier unlösbare Probleme: Wie soll das gehen, wo nicht einmal bei Erfolgen gelobt wird?

Es geht zukünftig nicht nur um neue Technologien, sondern auch um eine andere Führung. Technologische Innovationen befeuern soziale Innovationen und umgekehrt. „Wir müssen uns ändern, wenn wir etwas ändern wollen.“ Ich las vor einigen Tagen die Werbung einer großen Wirtschaftsberatung, da stand: „Visionen brauchen Bodenhaftung“. Da haben wir sie wieder, die Funktionsgarantie und was für ein himmelweiter Unterschied zu Googles Moonshot-Projekten, die geradezu darauf angelegt sind, abzuheben. Ich möchte der Wirtschaftsberatung nichts unterstellen, aber die wirklich abgefahrenen Dinge werden ganz selten von „Schlipsträgern“ entwickelt. Etwas Abgefahrenes entwickelt man nur mit jemandem, der selbst abgefahren ist!

Um im Zeitalter von Industrialisierung 4.0 und Bürorevolution Erfolg zu haben, genügt es nicht, gute Produkte oder gute Dienstleistungen zu haben – bei weitem nicht! Sie müssen bieten... Ergebnisse, Erlebnisse, funky Projekte, wahr werdende Träume und Inspiration! Das gelingt nur mit ungewöhnlichen Talenten und nach denen müssen Sie an ungewöhnlichen Orten suchen. Dann werden Sie Enthusiasmus, Abenteurergeist und Flexibilität bekommen.

Talente wiederum lieben ein leistungsförderndes Klima und wollen gefordert werden. Ein attraktiver Arbeitsplatz ist noch lange nicht behaglich und warm. Es ist ein Ort, der interessante Leute anzieht. Werben sie mit großartigen Projekten und setzen sie dann extrem hohe Standards! So ist es im Spitzensport und auf der Bühne, warum nicht auch in Ihrer Personal-oder Finanzabteilung?

Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Talent, Technologie und Teilhabe. Unsere Weiterbildungsbemühungen konzentrieren sich im Augenblick noch viel zu sehr darauf, einzelne Skills der Mitarbeiter zu verbessern. Worauf es aber wirklich ankommt, ist die Entwicklung eines ausgeprägten Unternehmergeistes! Warum? Weil sich unsere Arbeitswelt rapide ändert. Routineaufgaben übernimmt ein Prozessor, die Arbeit bekommt immer mehr Projektcharakter, Unsicherheit ist die neue Konstante und jeder Einzelne wird zu seinem eigenen Chairman. Jeder, ich meine ausdrücklich jeder muss die Verantwortung und Kompetenz für die eigene Entwicklung erhalten. In diesem Sinne gilt, wer den Kampf ums Talent gewinnen will, muss dem Talent erst einmal freie Hand lassen.


Misstrauen Sie „Goldenen Regeln der Führung“

Heute ist die Jugend besser mit neuen Technologien vertraut, als ihre Eltern- und Vorgesetztengeneration. Ihr technologischer Vorsprung verhilft den Jungen zu einem ungeahnten Machtzuwachs - die Jugend will die Welt verändern und tut es auch. Geben Sie der Jugend eine Chance? Wann haben Sie in Ihrem Unternehmen das letzte Mal einen ganzen Tag mit jemandem unter 25 zugebracht? Wie viele Mitglieder Ihres Vorstandes, Ihrer Geschäftsführungsebene, wie viele Ihrer Abteilungsleiter sind unter 35? Unter 30? Unter 25? Und noch etwas: Wenn Talent, Technologie und Teilhabe einen Dreiklang bilden, dann ist es geradezu schizophren, einerseits den unabhängigen Unternehmer zu fordern und andererseits eine hierarchische Organisation zu pflegen, die ausschließlich die gehorsame Unterwerfung unter die Normen der Organisation belohnt. Überprüfen Sie Ihre Organisation daraufhin, welchem menschlichen Typus sie die optimale Chance gibt, beherrschend zu werden. Dem Ähnlichen? Oder dem Einzigen?

Nahezu alle bisherigen Führungsmodelle haben den Anspruch der Veränderung oder Normung. Am Ende läuft jeder Ansatz darauf hinaus, Mitarbeiter zu verändern und den Anforderungen anzupassen. Auch „modernere“ Führungsmodelle können ihre quasitherapeutische bzw. erzieherische Attitüde nicht abstreifen. Die Triebkraft individueller Führung ist aber nicht die Normung des anderen, sondern die Begegnung mit einem anderen Menschen. Begegnung setzt vorurteilsfreie Wertschätzung voraus und diese verzichtet auf jeden erzieherisch-therapeutischen Anspruch. Wer individuell führt, überschreitet Grenzen, geht Risiken ein, übernimmt individuelle Verantwortung, verlässt die Sicherheit vorgegebener Standards – führt im Wortsinne unternehmerisch. Verantwortungsübernahme jeder Führungskraft, jedes Mitarbeiters ist der Stoff, aus dem der zukünftige Erfolg der Unternehmen erwächst. Wir brauchen eine Führung von mündigen Mitarbeitern durch mündige Führungskräfte, die Wandel, Dissens und Widersprüche bejahen, für die Individualität nicht bedrohlich erscheint, die in Verschiedenheit und Unsicherheit eine Chance sehen. Misstrauen Sie „Goldenen Regeln“ der Führung. Es wurden unzählige Bücher zum Thema veröffentlicht, die Bücherregale sind voll von Titeln wie: Die fünf ... meistens aber ... sieben Geheimnisse erfolgreicher Führung. Diese versprechen wundersame Wirkungen bei Einhaltung aller Rezepte. Es menschelt aber in unseren Unternehmen, Organisationen und Führungsetagen und das führt dazu, dass diese Rezepte immer wieder scheitern. Jeder von uns ist etwas Besonderes, ein Unikat, ein Individuum und jeder von uns möchte als etwas Besonderes, als Unikat behandelt werden – in aller erster Linie als Mensch, als Einzelwesen, individuell und auf Augenhöhe.

Wenn Sie Führungskraft sind, dann haben es Ihre Gene, Ihr Fleiß, Ihr Geschick aber auch Fortuna so gewollt. Sie haben Verantwortung in einer Zeit in der gerade die größten Veränderungen seit Menschengedenken die Arbeitswelt erschüttern. Wird es uns gelingen dieser irrsinnigen Verantwortung gerecht zu werden? Werden wir die sich uns bietenden Chancen nutzen oder ungenutzt verstreichen lassen? Werden wir die Beherztheit, die Tatkraft, das Stehvermögen, die BEGEISTERUNG aufbringen, so zu leben, wie es diese turbulenten und spannenden Zeiten erfordern?

Für Walter Röhrl beginnt „die wahre Kunst der Fahrzeugbeherrschung im instabilen Fahrzustand!“ Mit anderen Worten mit Gespür, Intuition und dem Gefühl, nicht alles unter Kontrolle zu haben. „Autofahren beginnt für mich dort, wo ich den Wagen mit dem Gaspedal statt dem Lenkrad steuere. Alles andere heißt nur die Arbeit machen.“ Machen Sie als Führungskraft nicht einfach nur ihre Arbeit, BENUTZEN SIE DAS GASPEDAL ZUM STEUERN!

Der Autor

Der Dipl. Psychologe Lutz W. Eichler ist nach beruflichen Stationen, unter anderem im Bereich Personal und Weiterbildung bei BASF, selbstständiger Berater, Trainer, Executive-Coach und Speaker. Er schöpft aus einem breiten Wissensreservoir eigener Erfahrungen in unterschiedlichen Projekten, vom Global Player bis zum Mittelständler. Sein Buch „Führung rockt! Wie Sie bei Ihren Mitarbeitern ein Klima für freies Denken und Innovationen schaffen“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-527-50893-8)

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%