Björn Vedder „An Reichen wird das Problem des Systems deutlich“

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„Wir arbeiten alle für dasselbe System“

Was werfen Sie der Mittelklasse konkret vor?
Sie weist eine gewisse Findigkeit auf, ihre eigenen ökonomischen Privilegien zu verschleiern und ihre eigene Pöbelhaftigkeit auf globaler Ebene zu vertuschen, indem sie für die negativen Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems lediglich eine kleine Gruppe verantwortlich macht. Tatsächlich aber profitiert das Besitz- und Bildungsbürgertum in sehr hohem Maße von unserem Wirtschaftssystem, deswegen will es das aufrechterhalten. Es ist ja nicht so, dass das System nur einem Warren Buffett nutzt. An ihm hängen tausend andere Menschen, die ebenfalls profitieren: Banker, Rechtsanwälte, Ingenieure et cetera.

Nur hat Warren Buffett mehr Entscheidungsmacht als sein Rechtsanwalt und kann deutlich mehr in der Welt bewegen.
Es ist ja nicht so, dass eine Handvoll skrupelloser Wölfe der Wall Street sich falsch verhält, und alles in Ordnung kommt, wenn wir sie nur zur Rechenschaft ziehen. Wir arbeiten alle für dasselbe System. An den Superreichen wird nur ein Grundproblem unseres Wirtschaftssystems deutlich: Geld fließt dahin, wo es sich vermehren kann. Das führt dazu, dass Reiche immer reicher werden und der Teil der Armen, die unter prekären Bedingungen leben, ebenso größer wird. Das Bildungsbürgertum profitiert auch von dieser Disposition der Gesellschaft.

Mit dem Unterschied, dass große Teile des Bürgertums für ihr Geld arbeiten, während die Superreichen in der Regel ihr Geld arbeiten lassen können.
Arbeit ist tatsächlich ein zentrales Unterscheidungsmerkmal, weil Reichtum zunehmend durch Kapitalrenditen entsteht und Spekulanten sich der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entziehen. Sie produzieren nicht für den Genuss anderer. Reichtum entsteht aber auch dadurch, dass Menschen für ihre Arbeit besonders gut bezahlt werden. Dabei hängt die Bezahlung weniger davon ab, was jemand leistet, als davon, auf welcher Position er sich befindet. Spitzenmanager wie Hans-Olaf Henkel schreiben deswegen in ihrer Biographie in erster Linie nicht, was sie geleistet haben, sondern dass sie Vizepräsident bei IBM waren. Die Position ist der Mann selbst. Das Bürgertum verteidigt deshalb seinen Zugang zu den Positionen, die besser bezahlt werden. Trotzdem verbreitet es mit großer Emsigkeit die Legende von der gerechten Bezahlung.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass sich der reiche Pöbel mit dem armen Pöbel gegen das Bildungsbürgertum verbündet. Was meinen Sie damit?
Der arme Pöbel ist der Ausschuss der bürgerlichen Gesellschaft, der sich darüber empört, nicht mehr mitzuzählen, sei es ökonomisch oder kulturell, oder Angst hat, dass er bald nicht mehr mitzählen könnte. Und dessen Empörung zu einer feindlichen Gesinnung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft führt. Die Zunahme dieses Pöbels beschert den rechtspopulistischen Parteien enormen Zulauf. Gleichzeitig sehen wir, dass die Politik der Rechtspopulisten keineswegs sozial ist. Sie gibt dem armen Pöbel keine neuen Perspektiven oder Hoffnungen. Mit Blick auf die Steuergesetzgebung sehen wir bei US-Präsident Donald Trump zum Beispiel einen deutlichen Fokus darauf, Spitzeneinkünfte und große Vermögen zu entlasten. Das läuft gegen die Interessen eines Großteils der Wähler populistischer Parteien, ist aber im Sinne des reichen Pöbels.

Warum sympathisiert der arme Pöbel trotzdem mit den Rechten?
Ich glaube, hier zeigt sich eine Feindseligkeit gegenüber dem Lebensstil und der Kultur der bürgerlichen Mitte, ihrer Selbstverlogenheit, Heuchelei und ihrem kulturellem und moralischen Überlegenheitsgehabe. Einen Teil dieser Selbstverlogenheit und Heuchelei aufzudecken, die sich auch in der Kritik an den Reichen zeigt, ist Anliegen meines Buches.

Aber sind es nicht in erster Linie Rassisten, die Rechtspopulisten wählen?
Rassistisch waren viele dieser Menschen vielleicht schon immer – sie haben es nur lange nicht offen gezeigt. Die Frage ist, warum dieser Rassismus gerade jetzt wieder hoffähig wird. Ich denke, es liegt daran, dass der Rassismus sich mit anderen Ressentiments verbindet. Da ist zum einen die Angst vor dem eigenen Abstieg und dem Bedeutungsverlust und zum anderen die Selbstverliebtheit des Bürgertums. Dessen Kultur des Individuellen und Besonderen schließt jeden aus, der keinen Job hat, in dem er sich vermeintlich selbst verwirklichen kann oder der nicht das Besondere konsumiert. Damit befeuert das Bürgertum das Ressentiment des armen Pöbels – und gefährdet letztlich seine eigene Daseinsgrundlage.

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