Da sitzen sie vor ihren Kaffeetassen und reden munter drauflos, man kennt sich eben. Hartmut Esslinger, gestreiftes Hemd, rosa Schuhe, erfand für Steve Jobs das Design der Apple-Produkte. Gorden Wagener entsorgte bei Mercedes das Opa-Design. Beide sind sich seit Jahren in kritischer Freundschaft verbunden. Worüber sie als Erstes sprechen? China. Wichtiger Markt zum Geldverdienen, sagt Wagener. Stiltechnisch noch total verarmt, sagt Esslinger. Aber das werde die Chinesen nicht abhalten, ihre Vorstellungen durchzusetzen.
Herr Wagener, Herr Esslinger, wie lange brauchen die Chinesen noch Designhilfe aus Europa, bevor sie der Welt ihre Vorstellungen diktieren?
Wagener: Die Chinesen entdecken gerade nach und nach ihre eigene Designkultur. Das ist für sie natürlich erst mal gut. Aber deutsche und westliche Marken leben davon, dass ihre Produkte im Luxussegment weltweit beliebt sind. Drei von vier Luxusmarken kommen aktuell aus Europa. Damit die Chinesen das nicht ändern, müssen wir etwas Substanzielles entgegensetzen, nämlich unsere Marken, unser Design.
Esslinger: Das Ganze ist noch etwas komplizierter. Im Augenblick stimme ich dir zu, Gorden, dass die Asiaten das westliche Symbol wollen. Die kopieren oder assimilieren. Aber so langsam entdecken sie, dass es auch eine chinesische Kultur gibt. Als ich vor der Wahl stand, wo ich als Nächstes unterrichten wollte, habe ich als Erstes an Deutschland oder die USA gedacht. Aber China ist gerade am interessantesten. Da passiert alles.
Wagener: China ist, was Design betrifft, auf einem ähnlichen Level wie Japan vor 50 Jahren. Im Autobereich hat Japan es bis heute nicht geschafft, eine eigene Ästhetik zu entwickeln, die global führend ist. Dabei blicken sie auch auf eine lange Kulturgeschichte zurück. Außer im Elektronikbereich: Hartmut, du hast Sony zum Design-Leader verwandelt. Apple wollte ursprünglich aussehen wie Sony.
Esslinger: Als Sony mich damals holte, haben die wiederum amerikanische Marken sowie Grundig und Telefunken kopiert. Die wollten ins Ausland verkaufen und haben sich deshalb visuell an die USA und Deutschland angepasst. Ich hab gesagt: Wir machen das völlig anders. Clean. Schön.
Wagener: Aber das beweist: Die Grundlage ist wieder einmal deutsches Design. Bei Apple war es ja genauso, das erinnert auch an das Braun-Design.
Esslinger: Immer dieses Braun-Design! Hans Gugelots Designs für Braun vor etwa 60 Jahren sowie die frühen Designs von Dieter Rams waren innovativ. Aber dann verkam dieses Design sehr schnell zu einem formalistischen Form-follows-function-Styling.
Wagener: Fand ich auch. Form follows function – ich habe diesen Ansatz noch nie gemocht. Das ist mir zu wenig, da fehlen die Emotionen.
Esslinger: Was Steve Jobs damals überzeugt hat, war das Argument, dass Apple einen Computer für jeden kreiert hat. Steve Wozniak wollte ihn nur für Hobbyisten anbieten, Steve ursprünglich nur für die Bereiche Business und Bildung. Deshalb fand er das Sony-Design passend. Aber ich war der Meinung, dass das überhaupt nicht passt. Apple ist ein junges Mädchen, sexy, sportlich, aber nicht vulgär. Das war unsere Markenpositionierung. Völliger Wahnsinn damals in Amerika. Doch dann haben wir am ersten Tag 50.000 Computer verkauft. Damit hatte sich die Diskussion auch erledigt.
Wagener: Und zwar im Wesentlichen durch Design.
Esslinger: Nicht nur, da stimmte einfach die ganze Produkterfahrung. Und eine große Portion Glück. Als Steve nach seinem Rauswurf zu Apple zurückkehrte, hatten Mitarbeiter, die nicht unter ihm arbeiten wollten, das Recht, ihm persönlich zu sagen, warum sie kündigen. Der Designer Cordell Ratzlaff ging also damals zu Steve und sagte ihm, dass er kündigen wolle, weil sein Chef eine seiner Ideen nicht umsetzen wollte. (Esslinger zückt sein iPhone und zeigt auf die kleinen bunten Kacheln.) Das meine ich: Wenn Ratzlaff sich nicht laut geäußert hätte, wäre das iPhone vielleicht nie ein Erfolg geworden. Steve war weitsichtig genug, Genie zu erkennen. Tim Cook hingegen ist kein Visionär, der hat nicht den Mut, seinen Shareholdern auch mal vors Knie zu treten.
Wagener: Das war eine andere Zeit. Heute ist Apple kein inhabergeführtes Unternehmen, sondern ein amerikanischer Großkonzern, in dem alles auf Konsens ausgelegt ist.
"Als Steve meine ersten Entwürfe für den Apple 2 sah, fragte er: Bist du verrückt?"
Ist das nicht in allen Konzernen so?
Wagener: Alle großen Konzerne haben diese Konsens-Herausforderung. Es muss immer regelkonform sein. Bei Mercedes-Benz zum Teil ja auch. Unzählige Abstimmungsprozesse stehen aber konträr zu einem disruptiven Kreativprozess. Gutes Design zu machen ist das eine. Es aber durch die Konzernstrukturen zu bekommen ist eine ganz andere Herausforderung.
Sind Sie deswegen der erste Autodesigner mit Vorstandsrang geworden – um sich besser durchsetzen zu können?
Wagener: Wir hatten auch vorher schon eine starke Position. Aber durch den offiziellen Titel bekam es noch einmal eine höhere Aufmerksamkeit. Und: Auch wenn wir eigentlich gerade Hierarchien abbauen wollen – eine solche Position ist eben doch wichtig. Und wir sind auch nicht der erste Hersteller, der das Design in den Vorstand geholt hat, andere haben dessen Kraft auch erkannt.
Wie passt das in die moderne Arbeitswelt, in der immer alle mitreden wollen?
Wagener: Einer meiner ehemaligen Chefs hat immer gesagt: Wir sind demokratisch – bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann muss jemand sagen, rechts oder links. Das mache ich den ganzen Tag. Design ist überhaupt nicht demokratisch. Je mehr Leute mitreden, je mehr man in Gruppen diskutiert, desto mehr wird das Design verwässert. Bei uns entwickeln Schwärme von intelligenten Menschen tolle Sachen, aber irgendwann muss ich einen Entwurf davon auswählen.
Woran erkennen Sie das Richtige?
Esslinger: Wenn man das Richtige hat, weiß man, dass es das Richtige ist. Und wenn es zunächst auf Ablehnung trifft, ist man meist auf dem richtigen Weg.
Wagener: Genau, neue Entwürfe dürfen nicht sofort gefallen.
Esslinger: Als Steve meine ersten Entwürfe für den Mac und Apple 2 sah, fragte er: Bist du verrückt?
Da wussten Sie, es war richtig?
Esslinger: Genau. Aber Steve war skeptisch – bis es verkauft wurde. Als er sah, dass es funktionierte, war es dann ein Dogma. Das ist dann wieder ein anderes Problem. Es hat zwei Jahre gedauert, bis er verstanden hat: Design ist ständiger Fortschritt. Und was dabei nicht hilft, ist die ständige Mitarbeiterbeteiligung. Die sollen sich einbringen, uns provozieren – aber nicht darauf hoffen, dass jeder mitreden kann. In Gesprächskreisen betreiben sie nur Gleichmacherei. Wir brauchen aber Farbe, Polarisierung. Es wird immer so getan, als ob es harmonisch geht.
Wagener: Das geht leider nicht.
Esslinger: Wirtschaft ist Kampf, immer am Abgrund. Müde rumsegeln kann jeder.
"In den nächsten Jahren wird sich das Auto so drastisch verändern wie in den vergangenen 50 Jahren nicht"
Hat sich durch Ihren Antritt, Herr Wagener, die Art geändert, wie Design gearbeitet wird?
Wagener: Ja, fundamental. Früher hat man 15 verschiedene Maßstabsmodelle gemacht und dann aus jedem Modell irgendwas genommen, das man mag. Das führte aber dazu, dass wir eine große Diversität in unserer Produktpalette hatten. Von rund bis eckig – es war keine klare Markenidentität erkennbar. Gemeinsam haben wir – Vorstand, Marketing und Design – eine Design- und Markenphilosophie erarbeitet: Mercedes ist eine Luxusfirma, wir bauen Luxusautos. Und Luxus ist immer auch ein bisschen opulent. Das wollten wir miteinander verbinden. Das Deutsche, Pure, aber mit einer sexy Optik.
Esslinger: Ich finde eure Änderungen grundsätzlich gut. Aber noch besser wäre es, wenn euer Vorstand wie Steve Jobs wäre. Dann könntet ihr die ganz coolen Sachen machen. Das Zweite sehe ich, wenn ich in den Himmel schaue. Ich komme gerade aus dem chinesischen Smog und blicke hier endlich wieder in einen blauen Himmel. Aber die Welt wird ja verstädtert. Und in der Stadt zu fahren erfordert eine andere Mobilität als hier in der schwäbischen Provinz. Mercedes muss eine Semantik finden, die jenseits vom Verbrennungsmotor liegt. Ein Konzept, das das elementare Bedürfnis „Ich will irgendwohin“ befriedigt.
Wagener: Da wird sich auch noch unheimlich was tun. Die ganze Branche befindet sich im Umbruch. In den nächsten 10 bis 15 Jahren oder noch schneller wird sich das Auto so drastisch verändern wie in den vergangenen 50 Jahren nicht. Das ist eine riesige Herausforderung, auch im Hinblick auf die Ressourcen, die man als Unternehmen braucht. Du wärst angetan, wie intensiv unsere Diskussionen über Design im Vorstand ablaufen. Und, Hartmut, unser Steve heißt Dieter.
Täuscht uns der Eindruck, dass vor allem der Faktor Schnelligkeit künftig über Erfolg entscheidet?
Wagener: Das stimmt, Schnelligkeit ist unheimlich wichtig.
Also haben junge Unternehmen Vorteile gegenüber schwerfälligen Konzernen?
Wagener: Wenn ich uns mit den ganzen Start-ups vergleiche, mit denen wir uns austauschen, sieht man schnell, dass wir gar nicht so verschieden sind. Aber klar, im Elektroautobereich ist aktuell Tesla der entscheidende Spieler. Die haben natürlich den Vorteil, fünf Jahre eher auf das Thema aufgesprungen zu sein und mit Elon Musk einen Chef zu haben, der einfach tierisch vorantreibt. Wenn ich andererseits die Medien verfolge, wird die Finalisierung der neuen Technik in diesem auf Schnelligkeit ausgelegten Modell eher auf die Straße, zum Kunden verlagert. Das können wir als Mercedes nicht machen. Jedes unserer Pilotprojekte muss zu 100 Prozent funktionieren, bevor wir unsere Produkte ausliefern.
Esslinger: Trotzdem ist es nicht zu bestreiten, dass große Organisationen dazu neigen, vor lauter Selbstgewissheit große Umbrüche zu verschlafen. Gerade hier, im reichen Deutschland. Die Gefahr von Erfolg ist, dass man immer das Gleiche macht und glaubt, dass es immer weiter funktioniert. Ich empfehle, dass jedes Unternehmen eine Einheit einrichtet, die ganz gezielt das existierende Geschäftsmodell zerstören soll.
Das macht doch heute jeder Konzern.
Esslinger: Aber nur wenige investieren dafür wirklich Geld. Das ist sehr wichtig. Das wäre auch eine Möglichkeit für Mercedes. Nicht zu sagen: Wir machen es gut und warten. Sondern wie Henry Ford zu denken: Wir entwickeln Mobilität komplett neu.
Wagener: Aber genau das machen wir. Hier im Design arbeiten wir mit verschiedenen Gruppen, deren Entwürfe miteinander konkurrieren. Es ist immer ein Wettbewerb. Da will keiner verlieren. Um die beste Lösung muss immer gekämpft werden.
Ohne technisches Wissen, ohne Ethik geht es doch nicht. Wie wichtig ist der Austausch über Grenzen des Designs hinaus?
Esslinger: Das ist eine sehr gute deutsche Frage.
"Schönheit ist relativ"
Wir werten das mal positiv.
Esslinger: Dieses Ethikthema hinterlässt mich ratlos. Gesegnet sind, die reinen Herzens sind, das ist ja der deutsche Ansatz. Die meisten Menschen sind dann aber doch in der ständigen Versuchung, sich unter dieser Prämisse selbst zu betrügen. Wenn sie diesen ganzen Ansatz also einfach weglassen, sind sie schon einmal freier. Aber natürlich ist ein Designer ein Multitalent: 30 Prozent sind auf jeden Fall Technik. Ich habe das ja auch studiert, allerdings ohne Erfolg.
Wagener: Trotzdem ist aus dir ja was geworden.
Esslinger: Zu viel Wissen schadet auch. Ich war ja mal Offizier, das hat ebenfalls sehr geholfen. Wenn Sie im Alter von 20 vor einer Gruppe Menschen stehen, merken Sie: Wenn Sie nur brüllen, tut sich nichts. Und Sie brauchen Kunst und vor allem auch ein Geschäftsmodell. Das ist ganz wichtig. Wenn Sie nichts verkaufen, ist alles umsonst. Und so addieren sich viele Halbtalente zu etwas Ganzem.
Wagener: Du saugst als Designer die Summe voller Leben ein. Aus all diesen Eindrücken bekommst du dann das richtige Gefühl für die richtige Entscheidung. Das kannst du nicht bekommen, wenn du glaubst, 1+1 sei 2.
Esslinger: Genau, 1+1 ist 11!
Und das ist gut?
Wagener: Nein. Die haben ein Kindchenschema gewählt, damit es niedlich aussieht.
Esslinger: Design ist auch Kommunikation. Die Aufgabe ist schon, Produkte durch das Design auf eine andere Ebene zu kriegen. Ikonen zu schaffen. Die Leute müssen sich mit deinem Produkt glücklich fühlen. Ethik ist Teil davon, kann aber nicht alles sein. Am Ende brauchen Sie auch gesunden Egoismus. Wenn ich mich jedem anpasse, wird es überhaupt nichts.
Herr Esslinger, Sie haben sich schon 1998 über die Zukunft des E-Autos ausgelassen. Sie sagten, dass die ganz anders als herkömmliche Autos aussehen müssen. Und dann entstanden lauter hässliche Elektroautos, die niemand wollte. Haben Sie sich geirrt?
Esslinger: Schönheit ist relativ.
Wagener: Natürlich gab es am Anfang seltsame E-Autos. Eigentlich stehen wir jetzt erst wirklich am Anfang der Elektrooffensive. Da wird es auch Designs geben, die anders aussehen.
Wie sinnlich wird es denn?
Esslinger: Ich glaube, dass das E-Auto wieder in die Urform der Mobilität geht. Vorne Räder, hinten Räder, in der Mitte eine Box. Wir haben im Moment die Limitierung durch den Motor. Fällt der weg, gibt es mehr Freiheit.
Der erste Daimler sah so aus.
Wagener: Es kommt alles wieder.
Esslinger: Das ist das Geheimnis von Designkultur. Zukunft braucht Herkunft. Wir können nicht alles auf einen Schlag ändern, sondern müssen Dinge auch fortentwickeln.
Die nächsten Mercedes sehen also aus wie Kutschen?
Wagener: In gewissem Maße womöglich. Das Prinzip ist, den Raum zwischen den Achsen zu strecken und die Räder weit außen zu platzieren. Aber ohne Pferde.