Deutschlands beste Restaurants Der neue Trend der Spitzenküche

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Die besten Restaurants im Überblick

Über die kulinarische Entscheidung für Produkte aus der Nachbarschaft hinaus transportieren Restaurants wie das Forsthaus Strelitz, das sosein und Nobelhart & Schmutzig auch eine küchenpolitisch-weltanschauliche Botschaft: Der Trend zur gepflegten Bescheidenheit, zum frugalen Luxus spricht eine großstädtische, nonkonformistisch gesinnte Konsumklientel an, die mit der industrialisierten Lebensmittelproduktion auf Kriegsfuß steht und den Genuss möglichst sauberer Produkte zum Lebensstil erhebt. Sie fühlt sich angesprochen, wenn Köche wie Pankratz ihre Zutaten notfalls noch am Abend frisch vom Acker holen, statt sie vom Kühllaster anliefern zu lassen.

„Wir sehen schon, dass das ein anderes Publikum ist als in klassischen Spitzenrestaurants“, sagt Schneider. Umso bemerkenswerter, dass die Restaurantkritik vergleichsweise rasch darauf reagiert und ihre Lorbeeren entsprechend verteilt. Für die Gastronomie ein Signal, dass das, was „gutes Essen“ ist, nicht mehr durch teures Ambiente und aufwendigen Service definiert wird. Eine Abkehr von tradierten, allzu formell verstandenen Konventionen, die dazu passt, dass immer mehr Interessenten den Weg ins Restaurant über Internetportale wie tripadvisor finden. Es geht heute lockerer zu, auch in der Hochgastronomie. Früher taten sich die französisch geprägten Guides schwer damit, Bistros mit Holztischen zu bewerten. Heute führen sie den Begriff „Casual Dining“ wie selbstverständlich im Mund. Die Deutungshoheit über das, was Spitzenqualität in der Küche ist, wollen weder „Michelin“ noch „Gault ‧Millau“ der Weisheit der Masse überlassen.
So gilt es, sich umzugewöhnen, vertraute Verhaltensmuster aufzugeben. Schneider serviert allen Gästen das gleiche Menü zu einer festen Uhrzeit, und auch die Kritiker goutieren es. Was früher als wirtschaftlicher Selbstmord gegolten hätte, hilft heute den Betrieben: Die Konzentration auf wenige Gerichte und fixe Abläufe erhöht die Effizienz in der Küche. Und dass es sich hier nicht um ein Diktat von Küchenmeister Schmalhans handelt, demonstriert das The Table von Kevin Fehling in Hamburg, der seine Gäste zu zwei Zeiten am Abend anrücken lässt und drei Michelin-Sterne hat.

Kostensenkung dank Verzicht auf teuer gereiste Produkte ist die Devise, auch für Sebastian Frank vom Berliner Restaurant Horvath, dessen Küche mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist. „Wir versuchen den Wareneinsatz auf rund 20 Prozent zu halten“, verriet Frank unlängst bei der Cooktank genannten Veranstaltung der Gourmetwebseite Sternefresser, die regelmäßig Köche zum offenen Gedankenaustausch einlädt.

Diese Ökonomie der Küche erfordert mehr Kreativität. Andreas Rieger vom Berliner Restaurant einsunternull zeigte beim Cooktank, wie es geht: Er stellte einen Schluck Wasser als Gang vor. Die gelierte H2O-Kugel aus seiner Schwarzwälder Heimat basierte auf einem japanischen Watercake. Rieger übergießt die Wasserkugel mit selbst gemachtem Holunderbeerenlikör und streut pulverisierte Holunderbeerenkerne darüber. Riegers einsunternull, ebenfalls im „Michelin“ mit einem Stern dabei und im „Gault Millau“ mit Lobesworten bedacht, hat erst dieses Jahr eröffnet – natürlich mit der Konzentration auf lokale Produkte.

Das sind gute Nachrichten für Dylan Watson-Brawn, einen Kanadier, der die vergangenen sechs Jahre in Berlin ein Netzwerk aus Landwirten und Fischern aufgebaut hat. 2017 soll es nach Jahren mit wechselnden Spielstätten ein Restaurant mit zwölf Plätzen geben. Watson-Brawn denkt bei „lokal“ und „regional“ an Suchen und Sammeln. Von den in Berlin wachsenden Gingko-Bäumen nimmt er die käsig miefenden Früchte, pellt den an eine Pistazie erinnernden Kern heraus, knackt ihn und serviert die gefundene Saat. Exotik in der Nachbarschaft.

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