Gastroführer Die Macht der (falschen) Empfehlung

Der Michelin-Guide für Deutschland kommt dieses Jahr nicht wie gewohnt Ende des Jahres, sondern erst im kommenden Frühjahr heraus. Quelle: imago images

Ohne Rankings und Führer wäre ein großer Teil des Geschäfts mit der Gourmet-Gastronomie nicht vorstellbar. Jetzt zeigen zwei Entscheidungen, wie sehr die Branche vom Tamtam der Auszeichnungen wirtschaftlich abhängt.

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Der Gastgeber ist unglücklich. Nun hat sein Arbeitgeber, ein Unternehmer und Mäzen vom Mittelrhein, Millionen investiert, um hier mit dem Purs in Andernach das perfekte Gourmet-Restaurant zu errichten. Er hat mit Christian Eckhardt aus der Villa Rothschild im Taunus einen anerkannten Spitzenkoch in die mittelrheinische Provinz gelockt, mit Maik Treis einen etablierten Gastgeber engagiert, dem Sommelier Marian Henß einen wirklich außergewöhnlichen Weinkeller ausstaffieren lassen.

Es reichte sogar noch dafür, den Kult-Designer Axel Vervoordt alles einrichten zu lassen. Und nun gibt es Abende, an denen sich nur ein Gast in das Restaurant verliert. Und das liegt wirklich nicht am formidablen Essen, das keine Konkurrenz scheuen muss.

„Das braucht Zeit“, sagt der Gastgeber. Schließlich gibt es in Andernach, das zudem ein weiteres Sterne-Restaurant beherbergt, nicht unzählige Menschen, die sich ein Abendessen mit Wein 250 Euro pro Person kosten lassen (mindestens) und eher wenige Menschen von Außerhalb, die einfach mal so vorbeikommen. Man setzt in Andernach voll darauf, dass das Purs in den Rankings der Gastro-Führer aus dem Start weg Höchstwertungen erhält – und die Leute dann quasi von selbst kommen.

Immerhin hatte Küchenchef Eckhardt an alter Wirkungsstätte schon einmal die zweithöchste Wertung im renommiertesten Gastroführer Guide Michelin, zwei Sterne. Da die aber nie an den Küchenchef sondern immer an das Haus gebunden sind, müssen die nun neu erkocht werden. Und da gibt es nun ein Problem.

Der Guide Michelin hat vergangene Woche bekannt gegeben, erst im Jahr 2019 wieder zu erscheinen. Dieses Jahr gibt es damit keine Wertung. „Dabei hätten wir die gut gebrauchen können“, sagt der Gastgeber in Andernach. Denn irgendwann, das wäre trotz aller Unterstützung durch den Mäzen, einen örtlichen Immobilienunternehmer, schön, sollen ja doch Gäste für Einnahmen sorgen. Der Fall zeigt, wie sehr die Spitzengastronomie, die schon immer im Grenzgebiet zwischen Kochhandwerk, Kunst und Showgeschäft angesiedelt war, mittlerweile auf die richtige Inszenierung angewiesen ist.

Die Zahl der Spitzenrestaurants ist in den vergangenen Jahren in Deutschland enorm gewachsen. Der Markt aber ist nicht in gleichem Maße mitgewachsen. Heißt: Nur, wer auffällt, kann auf Dauer mitspielen. Denn die Margen sind angesichts des hohen Aufwandes bei im internationalen Vergleich günstigen Preisen gering, die meisten Läden sind auf volle Belegung rechnerisch angewiesen. Entsprechend groß ist die Bedeutung der klassischen Führer wie Guide Michelin, Gault Millau oder Feinschmecker, aber auch neuerer Auszeichnungen wie der The World’s 50 Best Restaurants-Liste. Und entsprechend haut es rein, wenn plötzlich einer der Führer oder Listen aus bekannten Mustern ausbricht – oder gar die Bewertungen ändert. Köche und Kritiker sind eine ökonomische Symbiose eingegangen, in der schon kleinste Erschütterungen zu großen Problemen führen können.

Beef in Baiersbronn

Wie dieser Tage an einem Ort, an dem es sonst eigentlich gastronomisch keine Probleme gibt: Baiersbronn. Dort residiert mit der Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach ein Drei-Sterne-Restaurant, das über Jahre als das bestes in Deutschland galt. Nun aber wechselte vor etwas mehr als einem Jahr recht abrupt und konfliktreich der Küchenchef: Harald Wohlfahrt musste nach mehr als 25 Jahren Drei-Sterne-Küche gehen und wurde durch Thorsten Michel ersetzt.

Ein Mann, der schon seit mehr als zehn Jahren an Wohlfahrts Seite, und sehr oft auch an seiner statt, gekocht hatte. Nun aber streicht der Feinschmecker-Restaurantführer, hinter Michelin und Gault Millau die Nummer 3 im deutschen Markt, Michel und das Restaurant von der Liste, vorerst. Und die Gourmet-Szene tuschelt.

„Für die Übergangsphase setzen wir die Bewertung aus“, heißt es beim Feinschmecker, der als sehr konservativ aber auch sehr seriös gilt. Nur: Die „Übergangsphase“ dauert ja nun schon mehr als ein Jahr, andere Gastroführer haben die Höchstnoten von Wohlfahrt auf seinen Nachfolger Michel übertragen. Der Feinschmecker begründet die Auslistung mit einem „zähen“ Stück Rehfleisch und einem „matschigen“ Carabinero (eine Krustentierart). Sowas reicht in der empfindlichen Szene schon für ein Drama.

„Grundsätzlich scheint es schwer vorstellbar, dass sich die Küche der Schwarzwaldstube mit ihren minutiös strukturierten Abläufen handwerkliche Fehler wie die dort erwähnten erlaubt“, ereifert sich nun Jürgen Dollase, Deutschlands wohl einflussreichster lebender Gastro-Kritiker – und wirft dem Feinschmecker vor, der Schwarzwaldstube aus ideologischen Befindlichkeitsgründen wirtschaftlich zu schaden. Wenn ein Betrieb dieser Facon in einem der wichtigsten Gastroführer nicht mehr auftauche, verursache das erheblichen Schaden.

Etwas gelassener, wenn auch getroffen, sieht es die Betreiberfamilie Finkbeiner. „Wir haben die Erfahrung und die Geduld, Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann“, sagt Unternehmenschef Heiner Finkbeiner. Man habe von keinem anderen Kritiker derart negative Resonanz erhalten. Dennoch ärgert sie das in Baiersbronn. „Natürlich ist uns das Feedback der Gäste, die regelmäßig wiederkommen am wichtigsten, dennoch ist so eine Bewertung nicht angenehm, vor allem auch wirtschaftlich.“

Denn die Gastro-Führer seien schon die Richtschnur für die vor allem internationalen Gäste, selbst für ein Haus wie die Schwarzwaldstube mit vergleichsweise hohem Stammgäste-Anteil und jahrzehntelanger Spitzentradition. „In einem Betrieb wie unserem“, sagt Finkbeiner, „geht es ja in erster Linie nicht um Geld, sondern um den guten Ruf.“ Davon lebe man, deswegen seien die Ranglisten so wichtig.

Boom mit zwei Seiten

In der Tat könnte man das Ganze als Posse abtun, wenn das nicht Auswirkungen auf die Vermarktung des Schwarzwälder Traditionsbetriebs hätte: Die Zahl der Auszeichnungen wuchs in den vergangenen Jahren: Es gibt allein im deutschen Markt den Guide Michelin, den Gault Millau, den Feinschmecker, den Aral-Führer, den Gusto-Führer, einen Slowfood-Führer (der allerdings andere Schwerpunkte setzt) sowie eine Reihe an Listen.

Die wichtigste davon ist sicher die mit den 50 besten Restaurants der Welt, die nach recht nebulöser Systematik von einer Jury zusammengestellt wird und eher unfreiwillig aber zum (unerhofften) Glück ihres Initiators, des Wasserverkäufer San Pellegrino, zu großer Bedeutung unter Foodies und Gourmets gelangte. Damit der Überblick irgendwie gewahrt bleibt, wuchs die Bedeutung einer Art Meta-Ranking, die die Bewertungen eines Restaurants in allen wesentlichen Ranglisten zusammenzählt. Zwar wird dort die schlechteste Bewertung im Markt gestrichen, allerdings: Taucht ein Restaurant nun in einem der Führer gar nicht mehr auf, kostet das in der Meta-Wertung, die für viele Gourmets längst die Richtschnur ist, wo sie ihr Geld ausgeben, einen echten Abstieg.

Boom mit zwei Seiten

Denn tatsächlich hat der Gast in Deutschland es leicht wie nie, eine Alternative zu finden, sobald ein Restaurant in den Bewertungen kriselt: Es gibt einfach so viele andere, gut bewertete. Allein die Zahl der Sternerestaurants wuchs seit 2013 um 25 Prozent. Noch nie gab es in Deutschland so viele Restaurants, die mit einem Stern bewertet sind oder auf dem Niveau knapp unter einem Stern wirtschaften. Michael Ellis, der bis vor kurzem den Guide Michelin verantwortete und dann wegen Meinungsverschiedenheiten ausschied, sagte vor einigen Woche der Fachzeitschrift Effilee: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Region mit tausend Restaurants, von denen 150 Sterne haben. Wenn es dann irgendwann zweitausend Restaurants gibt, gehen dreihundert Sterne in Ordnung. Das Verhältnis muss stimmen.“ Stimmt es aber nicht, wird zwangsläufig ein Stern weniger Wert, ohne dass aber der Aufwand für die Gastronomie sinkt. Und die Abhängigkeit von immer besseren Bewertungen wächst.

Das kennen sie auch in Andernach. Dort betreibt der eigene Investor nicht nur zwei weitere Top-Restaurants, eins davon mit Stern, auch zu Sterne-Restaurants in Koblenz, Frankfurt und Köln ist es nicht weit. „Deswegen wäre es schon wichtig, eine Auszeichnung zu bekommen“, sagen sie im Purs. Die Umsatzsprünge, die das bringt, sind beträchtlich. „Als wir den ersten Stern bekamen, stieg der Umsatz um 40 Prozent. Mit dem zweiten kletterte der Umsatz um weitere 25 Prozent“, sagt etwa der Berliner Superstar-Koch Tim Raue.

Und Billy Wagner, Betreiber des Berliner Nobelhart & Schmutzig und neben Raue der einzige Deutsche, dessen Restaurant auf der 50-Best-World-Liste steht: „Als wir den Stern bekommen haben, waren wir innerhalb einer Woche für den ganzen Folgemonat ausgebucht. Es war vorher auch schon voll, klar. Aber mit dem Stern hatten wir jeden Tag eine Warteliste für 20 Tische.“ Mit der 50-Best-Liste, das sagen sowohl Raue als auch Wagner, sei der Trubel dann noch einmal gestiegen.

Entsprechend gibt es immer mehr Gastro-Konzepte, wie das Purs, die von Anfang an nicht nur mit Blick auf die Resonanz der Gäste gegründet werden, sondern auch offen auf den Vermarktungs-Effekt durch die Gastroführer setzen. Als etwa der norddeutsche Sterne-Koch Kevin Fehling vor drei Jahren in Hamburg sein Table eröffnete, ließ er von Beginn an alle wissen, dass er sich den Betrieb nur mit der Höchstwertung von drei Michelin-Sternen vorstellen könne. So kam es dann auch.

Immerhin ist die Abhängigkeit nicht einseitig, sondern ein fragiles Gebilde: Denn so wichtig die Gastroführer fürs Marketing sind, so sehr stehen sie auch selbst wirtschaftlich unter Druck – der Medienwandel. Der Gault Millau wechselte in Deutschland vor einem Jahr etwa den ausführenden Verlag, seitdem gibt man sich noch etwas lauter und verkaufsfreudiger. Der Guide Michelin war von Anfang an ein Liebhaber-Projekt des gleichnamigen Reifenherstellers, Bestseller-reif sind auch dessen Verkaufszahlen nicht.

Und die jetzige Verschiebung der nächsten deutschen Ausgabe auf 2019 deutet auf eine Konzeptveränderung hin. Gleichzeitig erobern eben Listen wie die 50-Best-Liste das Terrain. „Und Blogger werden immer wichtiger“, sagt Baiersbronn-Senior Finkbeiner. Insofern bleibt Köchen, die sich ungerecht behandelt fühlen ein kleiner Trost: Der Fall vom hohen Ross ist für manchen Kritiker auch nicht weit.

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