Gastronomie „Was wir tun, hat nicht der Gast zu bestimmen“

Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Ein Gespräch mit den Berliner Sterne-Gastronomen Tim Raue, Billy Wagner, Micha Schäfer und Sonja Frühsammer über Anschreien in der Küche, warum Nichthauptstädter diskriminiert gehören und Weintrinken eine gute Idee ist.

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Die Runde trifft sich im Restaurant Nobelhart & Schmutzig, das sich auf dem weniger glamourösen Teil der Berliner Friedrichstraße befindet, in der Nähe des Checkpoint Charlie zwischen Souvenirshops und Pommesbuden. Tim Raue, das Unternehmerwunderkind unter Deutschlands Spitzenköchen, ist schon da – sein gleichnamiges Zwei-Sterne-Restaurant liegt gleich um die Ecke. Und so sitzt er schon an einem dunklen Tisch in der hintersten Ecke und lässt sich Dinkelbuchteln mit Honigbutter und Marmelade schmecken. Gastgeber Billy Wagner, der eigentlich abends den Wein aussucht, versorgt seine Gäste heute morgen mit Kräutertee und Kaffee. Koch Micha Schäfer setzt sich dazu und fachsimpelt mit Raue. Um kurz nach elf erscheint der letzte Gast, Sonja Frühsammer. Damit ist die Gastronomenrunde der Hauptstadt komplett. Berlin gehört mit insgesamt 26 Sternen zu den hochdekorierten Metropolen der Republik. Grund genug, die Köpfe hinter den drei aufregendsten Konzepten mal zum Gespräch zu laden.

WirtschaftsWoche: Bald vergibt der „Guide Michelin“ wieder seine neuen Sterne, wie zeitgemäß ist dieses System eigentlich noch?
Raue: Ich strebe jeden Tag, jede Sekunde nach dieser Auszeichnung. Ich käme nie auf die Idee, die zurückzugeben. Sie fragen einen Olympiasieger auch nicht, ob er seine Medaille zurückgeben möchte.

Aber immer wieder erklären Köche, auf Sterne verzichten zu wollen, weil der Aufwand zu groß sei.
Raue: Der „Michelin“ hat nicht mehr das Monopol wie noch vor einigen Jahren. In den USA sind mittlerweile die großen Reservierungsportale oder Tripadvisor total wichtig. Das wird auch hier folgen. Aber die Sterne sind wirtschaftlich wahnsinnig bedeutend. Als wir den ersten bekamen, stieg der Umsatz um 40 Prozent. Mit dem zweiten kletterte der Umsatz um weitere 25 Prozent.
Wagner: Als wir den Stern bekommen haben, waren wir innerhalb einer Woche für den ganzen Folgemonat ausgebucht. Es war vorher auch schon voll, klar. Aber mit dem Stern hatten wir jeden Tag eine Warteliste für 20 Tische. Derzeit ebbt es etwas ab. Das ist auch gut, weil du ja sonst nur noch im Absagemodus bist.

Tim Raue. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Wie geht man damit um, wenn man Gästen absagen muss?
Raue: Es gibt bestimmt Auswege, wir sind da auch ständig in Bewegung. Das Neueste ist ein Ticketsystem. Da kauft der Gast vorher ein Ticket für das Menü. In den USA funktioniert das super, hier bin ich mir unsicher. Unsere deutschen Gäste waren ja schon beleidigt, als wir eine Kreditkarte zur Absicherung der Reservierung haben wollten.

Billy Wagner. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Warum?
Raue: Es passt wohl nicht zur Ausgehkultur der Deutschen. Dabei haben wir ganz sachte angefangen und lediglich 8,88 Euro auf der Kreditkarte deklariert, wenn Leute trotz Reservierung nicht kamen. Das sollte lustig sein, hat aber nicht funktioniert. Die Leute sind weiter nicht gekommen. Jetzt buchen wir 88 Euro ab, und wir haben nur noch eine Ausfallquote von einem Prozent.
Wagner: Wir nehmen 95 Euro fürs Nichterscheinen. So viel, wie auch ein Menü bei uns kostet.
Frühsammer: Wir haben damit kein Problem. Die allermeisten, die reservieren, kommen auch.
Wagner: Bei uns kommen jetzt auch fast alle. Aber wir mussten da etwas tun: Wenn Sie so wenige Plätze haben wie wir, läppert es sich eben schon, wenn zwei oder vier Gäste nicht kommen.
Raue: Man ist dann schnell bei Umsatzverlusten von zehn Prozent oder mehr.
Wagner: Die Leute müssen verstehen, dass eine Reservierung bei uns eine gewisse Wertigkeit hat. Wer Karten für die Rolling Stones hat, lässt sie auch nicht einfach sausen.

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