Gold, Diamanten, Seide Luxus aus dem Labor

Eine neue Generation Start-ups produziert seltene Luxusgüter im Labor. Für die etablierten Anbieter stellt sich die Frage: Sollen sie mitmachen?

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Der Apothekergeselle Johann Friedrich Böttger wagt im Oktober 1701 das Unmögliche. Vor vier Zeugen taucht er in der Zornschen Apotheke in Berlin eingeschmolzene Groschenstücke in eine geheime Tinktur. Kurz darauf zieht er feinstes Gold aus dem dunkelroten Glas. Die Kunde verbreitet sich schnell. Böttger, der später das Meissener Porzellan erfinden soll, flüchtet. Als die Monarchen von Sachsen und Preußen davon hören, hoffen sie auf unermesslichen Reichtum und lassen nach dem Alchemisten fahnden. Doch dessen Experiment war nichts als Schwindel.

Heute ist es möglich, in einem Teilchenbeschleuniger wie dem bei Genf Gold herzustellen. Allerdings nur Atom für Atom. Für 50 Gramm würde das Millionen Jahre dauern. Bei anderen edlen Materialien aber geht das deutlich schneller – etwa bei Leder, Seide und jahrzehntealten Spirituosen. Findige Start-ups aus Europa und Amerika zaubern mittels Hightech in kürzester Zeit und zu einem Bruchteil der Kosten aus scheinbar wertlosen Zutaten feinste Luxusgüter, deren Qualität oft besser ist als die der natürlichen Originale.

Die Luxusbranche, die allein im vergangenen Jahr weltweit die gigantische Summe von mehr als einer Billion Euro umgesetzt hat, ist aufgeschreckt. Sie sieht sich auf einmal um all die Argumente gebracht, mit denen sie bislang ihre hohen Preise begründet: dass die Herstellung so aufwendig, die Qualität so außergewöhnlich und die Rohstoffe so selten sind.

Was die modernen Alchemisten schon herstellen

Wie teuer und womöglich gar aussichtslos es für die etablierten Anbieter werden kann, lässt sich am Luxemburger Diamantenkonzern De Beers beobachten: Die edlen Steine lassen sich schon seit einigen Jahren künstlich herstellen. Und so muss De Beers inzwischen Millionen investieren, um die Anbieter von lupenreinen Labordiamanten auf Abstand zu halten.

Einer der Rebellen ist Jens Klein, 45 Jahre alt, blonder Dreitagebart. Das von ihm geführte Biotech-Start-up Amsilk, eine Ausgründung aus der Technischen Universität München, macht mithilfe von Spinnen-DNA Seide. Gezüchtet wird der besonders für seine kühlende Wirkung auf der Haut geschätzte Superstoff in bis zu drei Stockwerke hohen Stahltanks. Genmodifizierte Kolibakterien vermehren sich darin und hinterlassen weißes Seidenpulver.

Aus dem lässt Klein Seidenfasern machen und schließlich Fäden spinnen. Kolibakterien sind echte Arbeitstiere der Biotechnologie. Sie produzieren schon heute massenhaft billiges Insulin für die Pharmabranche.

Der fränkische Sportartikelkonzern Adidas hat im Herbst in New York erstmals einen aus Kleins Seide gestrickten Laufschuh präsentiert. Die Fasern sind so stabil, dass sie, zu einer bleistiftdicken Schnur verwebt, einen Jumbo-Jet anheben könnten. Zugleich soll der Schuh komplett biologisch abbaubar sein.

Biotechseide

Amsilk ist nicht das einzige Start-up, dass an Biotechseide werkelt. Der kalifornische Konkurrent Bolt Threads, in den Investoren wie der PayPal-Gründer und Trump-Vertraute Peter Thiel mehr als 90 Millionen Dollar gepumpt haben, hat sich gerade mit dem Outdoor-Ausrüster Patagonia zusammengetan. Der US-Konzern plant nun seine erste Luxuskollektion aus Biotechseide.

Die Einsatzmöglichkeiten für den Superstoff gehen aber weit über Bekleidung hinaus. Schon jetzt arbeiten die Münchner an damit umhüllten Brustimplantaten, weil die vom Körper besser angenommen würden. Auch sieht Klein in der Auto- und Luftfahrtindustrie komplett neue Verwendungen.

Das schwedische Biotech-Start-up Spiber wirbt damit, dass ein Kilo der künstlichen Seide bald 20 bis 30 Dollar kosten werde. Für ein Kilo Naturseide muss ein Textilhersteller heute um die 50 Dollar zahlen. Dass sich der Stoff billiger herstellen lässt, ist ein Versprechen der modernen Alchemisten. Ein anderes lautet: Die Herstellung soll endlich auch ethisch vertretbar werden.

Laufschuhe mit Biotechseide. Quelle: Adidas Group

Bislang lässt die vor allem in China beheimate Seidenindustrie auf riesigen Plantagen Maulbeerbäume züchten. Mit deren Blättern füttert sie die Larven des Seidenspinners, bis diese sich verpuppen. Um die dabei produzierte Seidenfaser abzulösen, werden die Larven lebendig in kochendes Wasser geworfen. Für ein einziges Seidenkleid müssen etwa 50.000 Raupen sterben. Tierschützer kritisieren die grausame Praxis seit Jahren.

Ethik ist nicht nur für die Biotechseidenmacher ein wichtiges Argument. Viele klassische Luxusmaterialien haben einen schlechten Ruf: Mal geht die Herstellung auf Kosten der Umwelt, mal auf die von sozial Schwachen. So stammen etwa die kostbarsten und weichsten Ledersorten von neu- oder ungeborenen Kälbern. Beim Gerben nutzt die Lederindustrie einen aggressiven Chemiecocktail, in den vor allem in Fernost krebserzeugendes Chrom gemischt wird. Und schon die Zucht von Rindern zählt zu den größten Emittenten von Treibhausgas weltweit.

In der Zukunft, wie sie das Biotech-Start-up Modern Meadow entwirft, wird es all diese Probleme nicht mehr geben: Im New Yorker Stadtteil Brooklyn züchtet es im Labor aus einzelnen Collagenzellen Rinderhäute. Das dauert im Bioreaktor nur wenige Wochen, wogegen bei der Aufzucht der Rinder und der Herstellung von echtem Leder Jahre vergehen.

Rinderhäute aus dem Labor

Weil an Laborhäuten anders als an Kuhhaut weder Haare noch Reste von Fettgewebe hängen, braucht Modern Meadow weniger Chemikalien, um sie zu gerben und in Leder zu verwandeln. Und die Biotechhäute sind narbenfrei. Anders als natürliche, von denen heutzutage 30 bis 80 Prozent als Verschnitt im Müll landen.

Modern-Meadow-Gründer Andras Forgacs will die Häute künftig direkt in der Form von Autositzen, Portemonnaies und Sofas wachsen lassen. Selbst transparentes Leder hält er für möglich. Natürlich will Forgacs die Welt nicht nur besser machen, sondern sich auch ein ordentliches Stück des immerhin 100 Milliarden Dollar schweren Ledermarkts sichern.

Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert

Inzwischen hat das Start-up 40 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt, unter anderem von Nest-Gründer Tony Fadell und Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Wann die erste Handtasche aus Laborleder auf den Markt kommt, verrät das Unternehmen aber nicht.

Bryan Davis ist deutlich weiter. Dem Amerikaner ist es gelungen, 20 Jahre alt schmeckenden Rum herzustellen – in nur sechs Tagen. Sein kalifornisches Start-up Lost Spirits hat ein Gerät entwickelt, das die Esterbildung im Schnaps von Jahren, wie sie bei der traditionellen Herstellung nötig sind, auf wenige Stunden verkürzt. Die Esterverbindungen geben altem Rum die fruchtige Note: Buttersäuremethylester schmeckt nach Ananas, Phenylessigsäureester nach Honig. Mit Infrarotlicht löst Davis Polymere aus Holz, die mit dem Ester reagieren. Das simuliert den Einfluss einer Fasslagerung auf den Geschmack.

Rum. Quelle: Thewhiskyexchange.com

Davis, ein glatzköpfiger, bullig wirkender 35-Jähriger, hätte auch Alleinunterhalter werden können. „Wir machen sogar so etwas wie ,Jurassic Park‘“, sagt er und berichtet dann von den antiken Möbeln aus amerikanischer Kastanie, die er zersägt und als Geschmacksgeber verwendet hat. Der Baum war bereits in den Zwanzigerjahren ausgerottet worden, nachdem ihn Fasshersteller im 19. Jahrhundert für sich entdeckt hatten. Mit den zerlegten Möbeln schuf Davis nun einen Rum, wie ihn seit 100 Jahren niemand mehr kosten konnte.

Experten von Fachblättern und Food-Blogger verteilen Bestnoten an Davis. Auf Auktionen etwa in Deutschland gehen die Flaschen von Lost Spirit für bis zu 1400 Euro an Bieter. Davis könnte mit seiner Technologie edle Schnäpse auch in Masse produzieren. Vorerst wolle er sich aber auf kostbaren Rum sowie Scotch beschränken. Aus gutem Grund: Wird etwas zur Massenware, ist es kein Luxusgut mehr.

Serienprodukt Kunstdiamanten

Markenprofessor Karsten Kilian von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt traut modernen Alchemisten wie Davis, Klein und Forgacs zu, ein komplett neues Segment zu kreieren. Einen, wie er ihn nennt, „technischen Luxus“. Der werde wohl etwas billiger sein als der „natürliche Luxus“, den Gucci und Prada heute servieren. „Die heutigen Luxushersteller werden etwas Umsatz abgeben müssen“, prognostiziert Kilian.

Wenn sie aber klug handelten, würden sie Tochtermarken gründen, die auch das neue Segment bedienen. Zugleich glaubt er, dass die Faszination für seltene natürliche Originale bestehen bleibt. Was da zähle, sei die Story dahinter. Beim Diamanten etwa, dass er vor Millionen von Jahren im Erdinneren entstand.

Dabei züchten Unternehmen wie Pure Grown Diamonds aus New York oder New Diamond Technology aus St. Petersburg schon heute serienmäßig Kunstdiamanten, indem sie Kohlenstoff unter hohem Druck und Hitze zu Diamanten pressen oder im Vakuum kristallisieren lassen. Wurden aus synthetischen Diamanten anfangs vor allem Spezialbohrer gemacht, tauchen sie nun auch am Verlobungsring auf.

Der weltweit größte Diamantenhändler De Beers züchtet inzwischen gar selbst Kunstdiamanten. Nicht um sie zu verkaufen, sondern um Retortensteine von Naturdiamanten unterscheiden zu können. Denn immer häufiger mischen zwielichtige Händler Kunststeine unter Naturdiamanten, um ihre Gewinne aufzubessern. Mithilfe des eigenen Labors hat De Beers einen Apparat entwickelt, der in Diamanten Stickstoffeinlagerungen sucht, wie sie bei den meisten Natursteinen existieren.

Doch deklarierte die Maschine, die für Diamantenbörsen gedacht ist, zuletzt auch immer wieder Naturdiamanten als synthetisch, weil ihnen die Einlagerungen fehlten.

Der Aufwand, einen natürlichen Diamanten auszugraben, ist gewaltig. Im Schnitt müssen rund 250 Tonnen Erde bewegt und gewaschen werden, um ein Karat Diamant zu entdecken. Afrikanische Milizen betreiben illegale Diamantenminen und halten Arbeiter wie Sklaven, um mit den Steinen Waffen zu kaufen. Gründe, warum Schauspieler Leonardo DiCaprio und Twitter-Gründer Evan Williams vor einer Weile in das Silicon-Valley-Start-up Diamond Foundry investiert haben. Das züchtet beste Schmuckdiamanten im Labor und hat mittlerweile über 100 Millionen Dollar eingesammelt.

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Anders als De Beers ist Diamond-Foundry-Gründer Martin Roscheisen der Meinung, dass ein Diamant ein Diamant ist – ein tetraedisches Kohlenstoff-Allotrop, egal, ob der Stein aus einer Mine stammt oder von Menschenhand geschaffen ist. Der gebürtige Münchner, der an der US-Eliteuni Stanford promoviert hat, verlangt für seine Diamanten etwa im New Yorker Luxuskaufhaus Barneys denselben Preis wie für vergleichbare natürliche Steine.

Bald könnten moderne Alchemisten auch andere Naturmaterialien wie Kaschmir oder Schwarzen Wintertrüffel züchten, sogar besser machen. Die Wissenschaft ist sich zumindest sicher, dass nichts mehr sicher ist, was sich aus mehreren Atomen oder Molekülen zusammensetzt. Nur echte Elemente wie Silber, Gold und Platin bleiben kopiergeschützt. Das aber konnte Johann Friedrich Böttger zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch nicht ahnen.

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