Handwerk Der Hutmacher für Hollywood

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Alleinstellungsmerkmal

Zumindest bis sein Sohn Klaus übernahm – und die Firma ein weiteres Mal neu erfand. Als er Anfang der 2000er-Jahre in das Unternehmen eintrat, begann auf dem Modemarkt eine Verschiebung, die bis heute anhält. Billigketten eroberten die Innenstädte und verdrängten den unabhängigen Einzelhandel. Vor allem das mittelpreisige Segment hatte es schwer – wie das der Mühlbauers. Sohn Klaus erkannte die Zeichen früh. Kurz nachdem er das Geschäft von seinen Eltern übernommen hatte, trennte er sich von den Klamottenläden. Um anschließend wieder voll auf den Hut zu setzen. Die eigene Manufaktur, die unter seinem Vater nur noch zwischen 15 und 20 Prozent des Umsatzes erwirtschaftete, wurde wieder zum Herzstück des Unternehmens. „Hüte sind unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt Mühlbauer. „Das macht kaum noch jemand.“

20.000 Hüte im Jahr

Wie viel Handarbeit noch in einem Mühlbauer steckt, zeigt der Unternehmer an einem kalten Montagabend. Er führt durch die Werkstätten, die sich seit 1962 in einem unauffälligen Wohnhaus am Schwedenplatz im ersten Wiener Bezirk befinden. Sechs Räume, verteilt auf 200 Quadratmeter, mit Platz für rund 20 Mitarbeiter. Der Rundgang beginnt im Lagerraum, dort stapeln sich Kartons auf schlichten Holzbrettern bis unter die Decke. „Straußenfedern“, „Alte Gamsbärte“ oder „Marabu rosé bis ecru“ steht mit blauem Filzstift darauf geschrieben.

Nur die Nähmaschinen werden heute meist elektrisch betrieben. Quelle: Magdalena Lepka

Daneben, gegenüber und überall sonst liegen die Stumpen. So heißen die zugeschnittenen Filz- und Strohteile, die Mühlbauer sich zur Weiterverarbeitung aus Portugal, Tschechien und von den Philippinen liefern lässt. Sie werden zunächst mithilfe einer Dampfglocke in Form gepresst und anschließend im Trockenofen fixiert.

Beide Geräte sehen so aus, als ob schon Mühlbauers Urgroßmutter damit gearbeitet hätte. Zumindest bei der Glocke kann das zutreffen, der Ofen hingegen ist erst etwa 60 Jahre alt. Er nimmt die ganze Wand ein, ein schwerer, gusseiserner Koloss. 50 Hüte kann er gleichzeitig fassen. Massenproduktion sieht anders aus, rund 20.000 Stück fertigt die Manufaktur pro Jahr. Mühlbauer greift nach einem schlichten beigen Hut, der von der Decke hängt. „Unser neuer Bestseller, der Reformhut.“ Er ist erstaunlich schlicht. Keine Nähte, keine Krempe. Stattdessen lässt er sich knicken und in die Tasche stecken. Hüte im 21. Jahrhundert müssen eben anders sein. Praktisch, schlicht, modern.

Klaus Mühlbauer mag schöne Dinge. Er trägt an diesem Tag die modische Rüstung moderner Großstädter: graue Jeans, markante Designer-Brille, dunkelgrünen Pulli und weiße ausgelatschte Sneakers von Adidas. Die rund 200 neuen Modelle pro Jahr entwirft er zusammen mit zwei Designerinnen selbst.

Mützenfan: Natürlich trägt Klaus Mühlbauer Hut. Seine aktuellen Favoriten heißen Duke und Udo. Trotzdem besitzt er nur um die 20 Stück – denn jedes Mal, wenn ihn ein Freund oder ein Kunde auf seine Kopfbedeckung anspricht, verschenkt er sie. Quelle: Martin Stöbich

Das Ergebnis lässt sich nicht weit vom Schwedenplatz in einem seiner beiden Läden besichtigen. Dort, in der Seilergasse, sind die Regale voll mit Stirnbändern und Wollkappen, Mützen und Filzhüten. Sie alle ziert ein Etikett, auf dem „Dieser Hut wurde handgefertigt von“ und der Name des Mitarbeiters plus Unterschrift steht.

Kappe aus Kojotenfell

Diese Mischung aus globalem Trend und heimeliger Note kommt an – und zwar in jedem Alter. Gerade entscheiden sich zwei junge Russinnen für Stirnbänder des Modells Amar für 49 Euro. Klassische Einsteigermodelle. Ein Hut aus edlem Antilop- oder Biber-Filz kostet hingegen um die 360 Euro, Kappe Igor aus Kojotenfell liegt bei 875 Euro.

Wie viel Mühlbauer an einem solchen Hut verdient, will er nicht verraten. Nur so viel: Sein Umsatz liege im „einstelligen Millionenbereich“. 42 Prozent davon erzielt er in den eigenen Läden. Rund 55 Prozent kommen über den Vertrieb durch andere Shops. Japan ist ein wichtiger Markt, dort verkauft Mühlbauer bis zu 5000 Hüte im Jahr und wird in über 70 Läden geführt.

Doch das Auslandsgeschäft ist sehr viel volatiler und unberechenbarer als der Heimatmarkt mit seinen treuen Stammkunden. Kurz nachdem Russland die Krim besetzte, stornierten Mühlbauers russische Kunden nahezu all ihre Bestellungen. Umso wichtiger ist für den Hutmacher die Sache mit dem Internet. Momentan kauft von 100.000 Besuchern nur einer auch tatsächlich einen Hut. Insgesamt liegen die Erlöse aus dem eigenen Onlineshop nur bei drei Prozent des Gesamtumsatzes.

Das soll sich im nächsten Jahr ändern. Mühlbauer will dann einen Mitarbeiter einstellen, der sich um eine Social-Media-Strategie, Suchmaschinenoptimierung und Onlinemarketing kümmert. Denn eines ist klar: Die größte Stärke der Mühlbauers war es immer, frühzeitig zu erkennen, wenn sich die Zeiten ändern. Wenn es wieder mal darum geht, sich neu zu erfinden.

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