Hifi und High-End Voodoo für die Stereoanlage

Drehen, glühen, tönen – mit futuristisch anmutenden Plattenspielern, deren Signal von regalgroßen Verstärkern an mannshohe Hornlautsprecher weitergegeben wird, machen sich High End-Fans gerne einige ruhige Stunden. Quelle: PR

Junge Menschen hören Musik via Streaming über Bluetooth-Boxen statt über teure Stereoanlagen. Klassische Hifi-Geräte haben aber immer noch ein Publikum, wie die Messe Munich High End zeigt – mit teils skurrilen Ausmaßen.

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Die Verwunderung über die Vitalität High-End-Szene ist in ihren eigenen Organen nachzulesen. „Totgesagte leben länger!“, steht als Einführung zu dem Test des Wiedergabegerätes Ayon für rund 5000 Euro – es ist ein CD-Spieler. Jenes Format, das seit den 80er-Jahren die Digitalisierung in die Wohnzimmer brachte und den Schallplattenspieler ablöste, ist selbst auf dem absteigenden Ast. Musik von Streamingdienstleistern wie Spotify oder Apple-Music ist komfortabler und ohne Datenreduktion der CD klanglich mindestens ebenbürtig. Und vor allem bei jungen Menschen beliebter als physische Tonträger.

Es scheinen keine gute Zeiten zu sein für die Hersteller von hochwertigen Hifi-Geräten, die sich an dem einen Ende der unsichtbaren Quellen und an dem anderen den Bluetooth-Boxen erwehren müssen. Sehr interessiert an Informationen über Stereoanlagen ist eine sinkende Zahl an Menschen in Deutschland, lediglich knapp sechs Millionen im Vergleich zu mehr als sieben Millionen im Jahr 2012 laut der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA).

Stefan Dreischärf sieht das jedoch gelassen. Wenn für vier Tage auf dem Messegelände MOC 530 Aussteller ihre Produkte auf der Munich High End präsentieren, ist die Zahl zwar nicht höher als in den Vorjahren – aber schlicht, weil es an Ausstellungsfläche fehlt. „Wir haben vergangenes Jahr die letztmögliche Halle dazu genommen. Mehr bekommen wir nicht“, sagt der Geschäftsführers des Veranstalters, der Highendsociety aus Wuppertal.

Das jährliche Branchentreffen für Lautsprecher groß wie Schrankwände, Verstärkern mit glühenden Röhren und Plattenspielern in Gestalt von Skulpturen ist nicht das letzte Aufbäumen eines Todgeweihten, sondern das muntere Stelldichein einer Branche, der es gelungen ist, zwei vermeintlich zuwiderlaufende Entwicklungen zu vereinen.

Auf der einen Seite die rapide voranschreitende Technologie der digitalen Abspielgeräte, die es ermöglicht in allen Räumen eines Hauses mit der App auf dem Smartphone die Musik auszuwählen und die Lautstärke zu verändern. Auf der anderen Seite die Wiederbelebung des von der CD eigentlich erledigten Mediums Vinyl. „Die Renaissance hat auch der Branche geholfen“, sagt Dreischärf. Und es sei mitnichten eine sündhaft teure Spinnerei, bei 200 Euro begännen die Offerten für Menschen, die wieder zusehen wollen, wie sich die Quelle dreht.

Ein Gang durch einen gut sortierten Bahnhofsbuchhandel bestätigt das. In den Fächern für Hifi-Anlage kommen immer mehr Titel dazu. Immer zersplitterter werden Interessen bedient. „LP Analog“ heißt ein Titel, 2015 kam „Mint – Das Magazin für Vinylkultur“ auf den Markt. Mint ist der Ausdruck für nahezu perfekten Zustand, der bei gebrauchten LPs verwendet wird. Die Platzhirsche wie „image hifi“ oder „hifi & records“ konnten sich am Markt halten. Von den einstigen Redaktionsmitgliedern der image hifi wiederum auszogen, um eigene Titel wie „High Fidelity“ auf den Markt zu bringen.

Und alle drehen sich wahlweise um wie Messgeräte, Beatmungsmaschinen oder Abhöreinrichtungen aussehende Geräte, die in aufwändiger Studiofotografie inszeniert werden wie Akte prominenter Schauspieler. Sie werden stilisiert zu Ikonen und Objekten der Begierde, deren Zweck allein zu sein scheint, mit den Augen bestaunt zu werden, wo doch eigentlich ihre Aufgabe ist, elektrische Signale in Schallwellen zu wandeln.

Holger Biermann, ehemaliger Chefredakteur der „Stereoplay“, möchte mit seiner Webseite lowbeats.de den Sprung in die digitale Publikation meistern. In Videos führen er und sein Team die Unterschiede von Lautsprechern vor.

Alte Musik mit neuen Geräten

Sorgen um Nachschub an neuen Geräten macht er sich keine. „Der Fachhandel hat es sicher schwer, da viele Einsteigergeräte, die früher die Basis des Umsatzes bildeten, heute online gekauft werden“, sagt Biermann. Die Hersteller hochwertiger Maschinen jedoch umschiffen die Unwägbarkeiten einer sich ändernden Konsumwelt. „Mir ist kein Hersteller bekannt, der insolvent ging.“ Eher würden sie, wie zum Beispiel die dänische Lautsprechermarke Dynaudio von chinesischen Investoren gekauft.

Die erkennen das Potential von Marken, die auch in der Luxusabteilung der Autoindustrie oder im Yachtbau gern gesehen sind. Die Berliner Edelschmiede Burmester kooperiert mit Bugatti wie mit Porsche und Maybach, Bentley setzt auf die Marke Naim aus Salisbury, Audi und Aston Martin auf das dänische Unternehmen Bang & Olufsen, Ferrari auf die Kraft von JBL. Die schottische High-End-Manufaktur Linn hat sich zudem auf die Ausrüstung von Yachten eingestellt.

Die großen Industrieunternehmen haben keine Berührungsängste mit einer Branche, die in ihrer Spitze zu merkwürdig anmutenden Methoden greift, um das vermeintlich Beste aus Rille und Digitalcode zu holen.

Beispiel Rille: „Flux turbo“ heißt eine Nasswaschbürste, die Staub aus den Rillen der sorgsam in gefütterten Papierhüllen gelagerten Schallplatten holen soll. Beispiel Digitalcode: Der Hersteller eines Kabels für die Übermittlung digitaler Signale wirbt damit, dass es auch wichtig sei, dass alle Bits zur richtigen Zeit ankämen – das ginge natürlich am besten mit seinen Kabeln. Bei digitalen Signalen, also Nullen und Einsen, ist die Fehlervarianz bei der Übertragen jedoch sehr gering. Und eine Optimierung mit speziellen Kabeln wäre wohl eher in den Serverräumen großer Banken angebracht als bei der Ballade einer aufstrebenden Songwriterin.

Die Sucht nach dem perfekten Klang – sofern er denn existiert – lassen sich einige Hifi-Fans gerne etwas kosten. Der Hersteller Black Cat Cable hat eine Maschine entwickelt, die eine Art Spinnennetz um die verhüllten Drähte seines Übertragungskabels spinnt. Kaufpreis: 11.388,53 Euro für einen Meter. Die doppelte Länge ist da mit 14.762,92 Euro fast ein Schnäppchen. Schon fast Low-Cost sind da kleine auf Holzboxen montierte Metallschälchen, die im Hörraum helfen sollen, sogenannte Phasenfehler bei der Wiedergabe von Vinylaufnahmen zu eliminieren. Sie wirken da mit 60 Euro Stückpreis – nach oben geht mehr – fast günstig.

Wer sicher gehen möchte, beginnt mit dem Sound-Tuning an der Steckdose, denn die immer größere Zahl an digitalen Geräten verschmutzt – hörbar, heißt es – den Strom. Dagegen hilft angeblich der „Power-Cleaner“. Ist der Strom erstmal aus der Steckdose, sollte er, so mancher Anbieter, möglichst durch einen Goldstecker mit Power-Verlängerungsstrippe im Carbongeflecht geleitet werden – und die Bühne werde breiter, das musikalische Geschehen transparenter. Ungenutzte Anschlussbuchsen am Verstärker schließt der zum Extremen gewillte High-End-Fan mit Steckern, die nichts tun, außer die Öffnung zu schließen – und mit dem Namen „Magic Plug“ wenigstens andeuten, dass der Nutzer an Magie oder Voodoo auch glauben müsse.

Wenn es darum geht, jemanden zu finden, der das zahlen will, dann ist die Chance groß, dass er nun vier Tage in München über die Messe streicht, auf der Suche nach dem nächsten Schritt, um beim Musikhören noch mehr Erfüllung zu finden. Auch wenn der Altersdurchschnitt sich kaum verändere, sagt Dreischärf – der ergebe sich dennoch aus einer steigenden Zahl an immer jüngeren und älteren Zuschauern. Beide Gruppen werden Dreischärf, so hofft er, einen weiteren Besucherrekord von zusammen 25.000 Menschen bescheren.

Und das zumindest mit Gewohnten. Denn für die Verbesserung der bisherigen Anlage legen Fans gerne die geliebten Scheiben auf, um sie neu zu entdecken. Denn eines ist selten geworden in der Welt der perfekten Wiedergabe, die hinreichend innovativ ist, dass selbst die Fachmagazine in der Vorberichterstattung mit Augenzwinkern über die zahlreichen Neuigkeiten spekulieren: Der Wunsch nach neuer Musik. Es sind die alten Klassiker, von Deep Purple, über Pink Floyd oder Joan Baez, die notorisch auftauchen in den Hörräumen. Zumindest dort scheint alles beim Alten geblieben zu sein.

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