Naturwein Bollwerk gegen die Weinindustrie

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Konsumhaltung auch auf Wein erweitern

Risto Rieger vom Origine klopft Vorlieben ab und warnt, dass mancher Wein anders sei als man so gewohnt sei. „Manche Kunden sind auch nur auf der Suche nach einer Flasche Wein“, sagt Rieger, der nicht selten ansetzt, um zu erklären, dass die Winzer Handwerk betrieben, meist mit kleinen Rebflächen. Und dass alles das eben auch seinen Preis habe. Die Mehrheit der Weine kostet mehr als zehn Euro – aber auch keiner 50, 100 oder gar 500 wie die teuersten Bordeaux. Nach einer Laufbahn in der PR und seiner immer intensiveren Liebe zu Naturweinen entschloss sich Rieger zu der Arbeit, die fast Missionierungscharakter hat.

Viele seiner wiederkehrenden Kunden gehören zu jener meist gebildeten Klientel in Schwabing, die Bio-Waren kauft, das Rad dem Vorzug vor dem Auto gibt. Solche Lohas stecken ihr häufig gutes Einkommen gerne in hochwertige Lebensmittel. „Diese Menschen wollen ihre Konsumhaltung dann auch auf Wein erweitern“, sagt Rieger. Die bereits mit dem Thema Naturwein vertrauten Menschen pilgern zu Weinmessen, die RAW oder Les Vins Croyables (Die glaubwürdigen Weine) heißen.

Diese Klientel begrüßt auch die unkonventionelle Ästhetik vieler Etiketten, auf denen auch schon mal ein Pferd mit Brille zu sehen ist. Bruch mit Konventionen – der bei der Weinbereitung doch gleichzeitig eigentlich ein Rückbesinnen auf alte Methoden ist.

Wer verkauft Naturweine?

Für Jonas Brand ist es mehr: „Für mich ist diese Art der Weinzubereitung auch ein Bollwerk gegen die Moderne.“ Verzicht auf die Technik. Und möglichst auch auf Schwefel.

An dem Element entzünden sich unter Weinliebhabern, Winzern und Händlern regelmäßig Diskussionen. Schwefel entsteht bei der Vinifikation, darf in bestimmten Mengen anschließend aber zugegeben werden. Winzer wählen diese Methode, um etwaige Fehltöne zu verhindern, die nach der Abfüllung entstehen könnte. Der Stoff kann Migräne auslösen und in der Szene der Naturwinzer ist die nachträgliche Zugabe eigentlich unerwünscht. Rutscht die Menge über einen bestimmten Grenzwert, muss der Winzer dies mit dem Hinweis „Enthält Sulfite“ kennzeichnen – oftmals entsteht schon in der normalen Vergärung eine Menge um die Obergrenze.

Winzer, die verzichten, laufen ein größeres Risiko, durch Fehler zwischen Ernte und Abfüllung Aromen zu bekommen, die die wenigsten Menschen noch mit Weingenuss assoziieren würden. Rieger konnte es früher nicht „freakig genug sein“. Heute legt er großen Wert darauf, dass die Weine zwar anders, aber fehlerfrei sind.

Bei der klassischen Weinkritik tut sich Naturwein oft schwer. Der britische Weinautor Hugh Johnson hat kein Verständnis für die Weine, die er in der Mehrheit als schlicht fehlerhaft bezeichnete. Auch Jonas Brand verzichtet eher darauf, seine Weine bei Wettbewerben anzustellen, wie der Fachbegriff lautet. Er fürchtet, die Jury hätte nicht das nötige Hintergrundwissen, um mit manchmal trüben, bisweilen eher hellroten Rotweinen und oft mit niedrigem Alkoholgehalt umzugehen.

Selbst mit den Behörden müssen Winzer hadern, die ihre Weine mit reduzierter Technik im Weinkeller werden lassen. Sie verkaufen sie oft als „Landwein“, also in der vermeintlich untersten Stufe des staatlichen Bewertungsschemas. Prüfer in den Landwirtschaftskammern haben allzu oft das Siegel „Qualitätswein“ verweigert. Naturweine, da sind sich deren Winzer einig, sollten unfiltriert sein. Das bedeutet, dass der Wein mehr oder weniger stark trüb sein kann. Und gilt damit im Ernstfall als durchgefallen, ohne überhaupt probiert zu werden.

Der Hamburger Weinhändler Hendrik Thoma versucht den Spagat. Einst Sommelier im Hamburger „Louis C. Jacob“, einer von drei deutschen Master Sommeliers und in Sendungen wie Kochduell, Kerners Köche und Promi Kocharena als Fernsehsommelier unterwegs, hat er nun neben herkömmlich produzierenden Weingütern auch solche wie das österreichische Weingut Tschida im Programm seines Onlineshops Wein am Limit. Tschida nennt seine Weine „Brutal“, „Non Tradition“ und „Laissez-Faire“. Dieser untypische Duktus spricht die oft jüngere Klientel an.

Die Weine, so die grundlegende Ideologie, machen sich alleine. Verkaufen hingegen nicht. Auch Sommeliers in Restaurants wie der „Ente“ im ehrwürdigen Nassauer Hof in Wiesbaden müssen Weine wie den „32“ und „42“ des Weinguts Balthasar Ress aus dem Rheingau sorgsam dem Gast nahebringen. Die Zahlen geben an, wie lange die Weine zusammen mit der Hefe reiften. Ress ist als Mitglied des VDP eines der noch wenigen prominenten VDP-Weingüter, die zumindest auch Naturwein im Programm führen – wenngleich keine der Flaschen der Reihe 18, 22, 32 oder 42 auf der eigenen Homepage zu finden ist. Sie stehen nur in der Preisliste .

Auch auf der ProWein werden nur wenige Winzer des Genres eintreffen, allen voran die italienische Pionierin Azienda Agricola Elisabetta Foradori, der Österreicher Claus Preisinger und Virginie Joly, die das Weingut von ihrem Vater Nicolas übernommen hat. Letzteren bezeichnet Pigott in seinem Aufsatz als „Naturweinpropheten“.

Wer sich auf der ProWein vor allem mit Naturwein beschäftigen will, muss deswegen eher zu einer der Satelliten-Veranstaltungen wie dem Kölner Salon Natürel gehen, die zwar nicht zum offiziellen Programm gehören, aber für neugierige Weinfreunde einen Vorteil haben: Sie sind nicht Fachbesuchern vorbehalten. Dort gibt es dann Weine, an deren Art sich die alte Dame Elis vielleicht noch aus ihrer Jugend erinnert hätte.

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