Die einen streben sie an, die anderen möchten keine, die nächsten halten sie für unwichtig, den nächsten bescheren sie Umsatz: Die Sterne des Restaurantführers Guide Michelin.
Die Hochküche in Deutschland floriert und stirbt. Beides stimmt, für beides gibt es Indizien, für beides gute Belege. Nun hat die deutsche Ausgabe des Guide Michelin ihre Sterne für das Jahr 2019 verteilt und wenn es nur nach Zahlen ginge, dann wäre das Ergebnis eindeutig: 309 Adressen mit mindestens einem Stern bedeuten Höchststand.
„Die Ausgabe 2019 belegt die ungebrochen positive Entwicklung der deutschen Top-Gastronomie“, lässt sich der neue internationale Direktor Gwendal Poullennec zitieren. Beleg dafür sei auch die Neueröffnung Purs in Andernach, das aus dem Stand zwei Michelin-Sterne verliehen bekommen hat – ein seltener Vorgang. Der dortige Küchenchef Christian Eckhardt kocht dort in einem der Restaurants des Unternehmers Rolf Doetsch.
Noch immer sind Restaurants ohne Investoren, die die nötigen Investitionen einer Hochküche tätigen, die Ausnahme. Und manchmal vergeht den Geldgebern wohl der Appetit, wenn sie die laufenden Kosten sehen, die in Deutschland mit international vergleichsweise niedrigen Menüpreisen kaum erwirtschaftet werden können.
Liste der Sterne
Diese zehn Restaurants wurden mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet:
Restaurant Bareiss / Baiersbronn
Schwarzwaldstube / Baiersbronn
Vendôme / Bergisch-Gladbach
Waldhotel Sonnora / Dreis
The Table / Hamburg
Atelier / München
Victor's Fine Dining by christian bau / Perl
Restaurant Überfahrt Christian Jürgens / Rottach-Egern
GästeHaus Klaus Erfort / Saarbrücken
Aqua / Wolfsburg
Diese 38 Restaurants wurden mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet:
Purs / Andernach (neu)
Restaurant Heinz Winkler / Aschau im Chiemgau
AUGUST / Augsburg
Keilings Restaurant / Bad Bentheim
FACIL / Berlin
Horváth / Berlin
Lorenz Adlon Esszimmer / Berlin
Rutz / Berlin
Tim Raue / Berlin
Rosin / Dorsten
Lafleur / Frankfurt am Main
Schwarzenstein Nils Henkel / Geisenheim
Meierei Dirk Luther / Glücksburg
Haerlin / Hamburg
Jacobs Restaurant / Hamburg
Süllberg – Seven Seas / Hamburg
Sosein / Heroldsberg (neu)
Le Moissonnier / Köln
Ox & Klee / Köln (neu)
Ophelia / Konstanz
Luce d'Oro / Krün (neu)
Falco / Leipzig
Opus V / Mannheim
Alois – Dallmayr Fine Dining / München
EssZimmer / München
Tantris / München
WERNECKHOF by Geisel / München
Steinheuers Restaurant Zur Alten Post / Bad Neuenahr-Ahrweiler
Essigbrätlein / Nürnberg
Le Pavillon / Bad Peterstal-Griesbach
schanz. restaurant. / Piesport
ammolite – The Lighthouse Restaurant / Rust
Hirschen / Sulzburg
Söl'ring Hof / Sylt/Rantum
BECKER'S / Trier
Courtier / Wangels
Alexander Herrmann by Tobias Bätz / Wirsberg (neu)
Wald & Schlosshotel Friedrichsruhe – Le Cerf / Zweiflingen
Diese 37 Restaurants wurden erstmals mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet:
Steigenberger Drei Mohren / Augsburg
Traube Tonbach - Köhlerstube / Baiersbronn
CODA Dessert Dining / Berlin
Ernst / Berlin
Kin Dee / Berlin
SAVU / Berlin
Genuss-Atelier / Dresden
Tiger-Gourmetrestaurant / Frankfurt am Main
Weinsinn / Frankfurt am Main
100/200 / Hamburg
bianc / Hamburg
Lakeside / Hamburg
Oben / Heidelberg
La Vallée Verte / Herleshausen
sein / Karlsruhe
Weinschänke Schloss Groenesteyn / Kiedrich
maximilian lorenz / Köln
NeoBiota / Köln
Alte Vogtei / Köngen
Ursprung / Königsbronn
Tian / München
Gabelspiel / München
Zur Krone / Neupotz
Coquille St. Jacques im Parkrestaurant Nodhausen / Neuwied
Burg Nideggen - Brockel Schlimbach / Nideggen
Clostermanns Le Gourmet / Niederkassel
Koch und Kellner / Nürnberg
Der Schwarze Adler / Nürnberg
Waidwerk / Nürnberg
kochZIMMER in der Gaststätte zur Ratswaage / Potsdam
Atelier Sanssouci / Radebeul
Esplanade / Saarbrücken
LA MAISON - LOUIS / Saarlouis
Gams & Gloria / Schwangau
Hupperts / Stuttgart
Der Zauberlehrling / Stuttgart
Landwerk / Wallerfangen
Diese 30 Restaurants verlieren (einen) Michelin-Stern(e):
Schlossberg / Baiersbronn (1)
Bibliothek / Balduinstein (0)
Fischers Fritz / Berlin (0)
Markus Semmler / Berlin (0)
reinstoff / Berlin (0)
EQUU in der Remise / Bonn (0)
Endtenfang / Celle (0)
Esszimmer / Coburg (0)
Sterneck / Cuxhaven (1)
Graf Leopold / Daun (0)
Im Schiffchen /Düsseldorf (0)
Atelier Wilma / Frankfurt am Main (0)
Le Canard nouveau / Hamburg (0)
Kronen-Restaurant / Herxheim (0)
BjörnsOx / Hilders (0)
Westfälische Stube / Hörstel (0)
Schellers / Bad Homburg von der Höhe (0)
Le Salon im Kesselhaus / Karlsruhe (0)
Schloss Loersfeld / Kerpen (0)
Himmel und Äd / Köln (0)
L'escalier / Köln (0)
WeinAmRhein / Köln (0)
Perior / Leer (0)
Gutsschenke / Ludwigsburg (0)
Gourmet Restaurant Königshof / München (0)
Gourmet 1895 / Münster (0)
La Vie / Osnabrück (0)
Fallert / Sasbachwalden (0)
Anna Amalia / Weimar (0)
Kastell / Wernberg-Köblitz (0)
Vergangenes Jahr beendete die Georgsmarienhütte von Ex-RWE-Chef Jürgen Großmann die Erfolgsgeschichte des La Vie in Osnabrück. Knall auf Fall wurde das Restaurant geschlossen und Küchenchef Thomas Bühner samt seiner Mannschaft blieb nichts, als sich neue Beschäftigungen zu suchen. Es ist dann auch der einzige Abgang in der Liste der zehn Restaurants mit drei Sternen in Deutschland.
Es sind grundsätzliche Haltungen zu Ernährung und Genuss in Deutschland, die den Köchen mit Drang zu Kreativität und Produktfetischismus das Leben erschweren. Im Land der Discounter gelten hohe Preise für Produkte, die sich am Ende im Menüpreis niederschlagen müssen, als suspekt.
Die von Loriot einst so süffisant mit „schön übersichtlich“ zusammengefasste Haltung, dass bei den achtsam dekorierten Tellern mit wenigen Elementen am Ende vor allem der Hunger in Erinnerung bleibt, lebt auch fort, 40 Jahre nachdem mit Eckart Witzigmann im Münchener Tantris das deutsche Küchenwunder begann.
Der Koch Christian Bau vom Drei-Sterne-Restaurant Victor’s Fine Dining bekam 2018 das Bundesverdienstkreuz verliehen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung beklagte er anlässlich dieser Ehrung, dass der Rückhalt fehle: „Die Politik verachtet uns.“ Bau hatte nachgeschaut – er war erst der dritte Koch und die beiden anderen Harald Wohlfahrt und Heinz Winkler haben die Auszeichnung für ihre Verdienste um Tourismus und als Arbeitgeber erhalten – nicht für ihre Kochkunst.
Es seien Menschen aus aller Welt in seinem Restaurant gewesen – nicht jedoch die Ministerpräsidenten des Saarlands: „Weil sie Angst haben vor ihren Wählern, die das alles für dekadent halten.“
Selbst Köche haben oft genug keinen Zugang zu dem Tun ihrer hochdekorierten Kollegen. „Ich kann --- Drekigetellerküche mit nix drauf und riesigen Preisen nicht ausstehen“ ist in Facebook-Kommentaren in Köchegruppen zu lesen, „Vllt wachen ja ein paar pinzetten Hengste endlich mal wieder in der Realität auf“, schreibt ein anderer. Und dass die Kollegen in der Sternegastronomie nach zehn bis zwölf Jahren „durch sind“, hält der nächste für gesetzt.
Indes – der Nachwuchs versiegt nicht. Kochshows sind noch immer gern gesehen, wenngleich nur wenige ein stimmiges Bild des Alltags in einer Spitzenküche geben. Und vieles funktioniert. Am besten dort, wo ein internationales Publikum anzufinden ist. Die Dichte an Sterne-Restaurants mag auch weiter in Baden-Württemberg am höchsten sein – es ist Berlin, das die Blicke auf sich richtet. Dort fehlt zwar noch immer ein Restaurant mit Höchstwertung und es verlor nach der Schließung des Reinstoffs eines mit zwei Sternen, dafür hat es wohl einige der markantesten Restaurants des Landes.
Rund um den Wirt Billy Wagner und seinem Restaurant Nobelhart & Schmutzig hat sich mit Restaurants wie Horváth (zwei Sterne) oder das Ernst (erstmals ein Stern) eine Gruppe von ähnlich bis gleich gesinnten Gastronomen gefunden. Regionalität ist hier kein Lippenbekenntnis, sondern ein vor allem im Winter mühselig erarbeitetes Konzept. „Viel Bewegung ist nach wie vor in der Berliner Spitzengastronomie, die seit Jahren für ihre innovative Küche bekannt ist“, urteilt der Michelin.
In der Hauptstadt sind auch Restaurants wie das CODA Dessert Dining in der Lage, eine ausreichend große Zahl an Interessenten für eine Kochkunst zu finden, die auf Techniken der Patisserie setzt und im Menü auf die klassischen Zutaten ebenso verzichtet wie auf den Einsatz von raffiniertem Zucker. Sämtliche Süße gewinnt Koch René Frank aus den Zutaten selbst. Das sollte dann eigentlich fast jedem schmecken.