Restaurants Die Schattenseiten der Gourmet-Gastronomie

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Der verschlafene Kulturwandel

Es gibt diese Momente, in denen Schmid, ein lockerer Typ mit zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, das Ganze selbst nicht fassen kann. Man hätte, denkt er dann, eine einzige Veranstaltung mehr gebraucht im vergangenen Jahr, dann wäre es gelaufen. Oder, eine andere Hoffnungsrechnung: „Wenn wir aus jedem Gast 1,50 Euro mehr Erlös erzielt hätten, hätten wir es ebenfalls geschafft.“ Denn am Ende des Geschäftsjahres 2017 standen bei 1,5 Millionen Euro Umsatz der Speisemeisterei gerade einmal 40 000 Euro Verlust. Das wäre in vielen Branchen nicht wirklich ein Grund für den Gang zum Insolvenzrichter. Dass es dies für einen renommierten Spitzenbetrieb in der Gastronomie ist, sagt noch etwas anderes aus: Nicht nur Politik und Gesetz setzen der Gastronomie zu. Es ist auch der gesellschaftliche und kulturelle Wandel der Branche. Selbst kleine Umsatzsprünge sind kaum noch machbar, weil die Nachfrage stagniert, während das Angebot steigt.

Da wären etwa Unternehmenskunden, die lange Zeit vor allem dem Mittagsgeschäft in der gehobenen Gastronomie das Überleben sicherten. „Sie haben heute in allen großen Unternehmen eigentlich Compliance-Richtlinien, wonach Sie Geschäftspartner auf keinen Fall in ein Sterne-Restaurant einladen dürften“, sagt Speisemeister-Insolvenzverwalter Grub. In der Speisemeisterei brach dieses Geschäft entsprechend nach und nach weg.

Aber auch der private Kunde wird schwieriger. Zwar steigen die Ausgaben für Außer-Haus-Essen in Deutschland Jahr für Jahr. Allerdings findet das Wachstum bei Systemgastronomen und Snack-Anbietern statt. Die Gastromarktforscher NPD ermittelten für 2017 insgesamt 260 Millionen Besuche mehr als noch in 2014. Allein die Hälfte des Zuwachses stammt aus dem Jahr 2017. Davon profitierten am meisten Bäckereien, Lieferdienste, Arbeits- und Ausbildungsplatzverpflegung sowie Supermärkte – sie stellen zusammen 56 Prozent der positiven Entwicklung. Dabei machen sie nur ein Drittel der Gesamtmarktbesuche aus.

Die wertvollsten Fast-Food-Ketten der Welt
Burger King: Der berühmte Whopper ist groß – der Markenwert der Fast-Food-Kette im Vergleich zu seiner Konkurrenz etwas geringer Quelle: REUTERS
Bei Taco Bell gibt es Fastfood auf mexikanisch Quelle: AP
Tacos, Burritos und Co. gibt es bei Chipotle zu kaufen. Quelle: AP
Tim Hortons ist eine kanadische Schnellrestaurant-Kette. Quelle: AP
Domino's ist ein Pizza-Lieferservice, den es bereits seit den Sechzigerjahren gibt Quelle: AP
Käse im Rand, oder umso mehr obendrauf: Bei Pizza Hut wird nicht an Kalorien gespart. Quelle: AP
Frittierte Hähnchenschenkel aus dem Pappeimer - das ist seit Jahrzehnten das Erfolgsrezept von Colonal Sanders und seiner Hähnchenbraterei Quelle: REUTERS

Nach Zahlen des Kölner EHI-Retail-Institut erzielen Einzelhändler mit zusätzlich zur Standardware bereitgestellten Gaumenfreuden aller Art jährlich bereits fast 9,3 Milliarden Euro Umsatz. In den nächsten Jahren rechnen nach einer EHI-Umfrage zwei Drittel der Kaufleute mit stabilen, ein Drittel mit wachsenden Umsätzen in diesem Marktbereich. Gerade größere Lebensmittelgeschäfte entwickeln kulinarischen Ehrgeiz, stellen Köche ein, eröffnen Restaurant-Konkurrenz. Der Umsatz von klassischen Speiserestaurants stagnierte dagegen laut Bundesamt für Statistik zwischen 2015 und 2017 komplett.

Und während der eine Teil der Kundschaft gerne parallel zum Einkauf oder in der Mittagspause auswärts isst, lässt ein weiterer Teil sich das Essen am liebsten per Fahrradkurier aufs Sofa bringen. „Gerade im Sommer“, sagt die Betreiberin eines Düsseldorfer Restaurants der gehobenen Klasse, „müssen Sie sich etwas einfallen lassen, wie Sie ins Liefergeschäft einsteigen. Die Leute lassen sich die Sachen lieber auf den Balkon oder in den Stadtpark liefern, als auszugehen.“

Nur: Abgesehen davon, dass Lieferdienste an den ohnehin schon schmalen Margen der Restaurants bis zu 30 Prozent mitverdienen wollen – welcher ambitionierte Koch mag sein Arrangement schon in eine Pappbox verpacken und dann durch die halbe Stadt schaukeln lassen? Der besagte Düsseldorfer Laden bietet nun einen abgespeckten Teil seines Angebots für unterwegs an. Eine Lösung? „Ein Versuch“, sagt die Gastronomin.

Das alles wäre womöglich wirtschaftlich leichter zu vertragen, wenn nicht bei stagnierender Nachfrage das Angebot deutlich steigen würde: allein die Zahl der Sternerestaurants wuchs seit 2013 um 25 Prozent. Noch nie gab es in Deutschland so viele Restaurants, die mit einem Stern bewertet sind oder auf dem Niveau knapp unter einem Stern wirtschaften. Wenn gleichzeitig aber das Angebot an Ein-Sterne-Restaurants steigt und die Nachfrage stagniert, entwertet der Stern. Zumal der preisliche Unterschied zum absoluten Top-Segment im Zwei- und Dreisterne-Bereich dann doch nicht so groß ist, dass potenzielle Gäste nicht lieber gleich dorthin gehen.

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