Restaurants Die Schattenseiten der Gourmet-Gastronomie

Die Terrasse der Speisemeisterei, Schloss Hohenheim, im April 2018. Quelle: imago images

In der deutschen Gastronomie gibt es so viele Spitzenbetriebe wie noch nie. Doch immer stärker prägen ökonomische Zwänge, Regulierung und gesellschaftlicher Wandel das Geschäft mit dem guten Geschmack. Ein Beispiel aus Stuttgart.

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Und dann sitzen sie da in diesem Raum, der die schönen und die nicht so schönen Seiten dieser außergewöhnlichen Speisestätte so eindrucksvoll verkörpert. Der Gastronom, Gerd Schmid, und der Insolvenzverwalter, Philipp Grub, und schauen auf die Stuck-Decken, auf den goldenen Wandschmuck, die Weitläufigkeit dieses Ensembles. Der Raum gehört zur Speisemeisterei, von Schmid zusammen mit dem Sterne- und Fernsehkoch Frank Oehler betrieben, und eines der schönsten Restaurants der Republik. Untergebracht im ehemaligen Kavaliersbau von Schloss Hohenheim bei Stuttgart: Ein Rokoko-Schatz wie aus dem Bilderbuch. Ökonomisch wegen seiner Weitläufigkeit, seiner Lage und seines Zuschnitts allerdings eine Herausforderung. Wie Schmid heute weiß.

Im Frühjahr ging der Gastro-Unternehmer nach elf Jahren zum Insolvenzrichter. Weswegen er sich nun regelmäßig mit Grub über Gründe für und Wege aus dieser Pleite austauscht. „Sie hatten ein Auslastungsproblem“, sagt Grub. „Nein“, sagt Schmid. „Wir hatten zu wenig Gäste, die nach dem ersten Besuch wiederkamen.“ „Sie hatten also ein Auslastungsproblem“, beharrt Grub. „Wir hatten zum Teil nicht das ideale Personal, weswegen zu wenig Gäste kamen“, erwidert Schmid erneut. „Also ein Auslastungsproblem“, sagt Grub.

Das Sterben von Spitzenrestaurants geschieht oft im Stillen, weswegen es in der insgesamt eher lautstarken Branche schon mal untergeht. Wer aber genau hinschaut, beobachtet die Krise in einem Teil des Segments, das zwar oben mitspielt und so ambitioniert kocht wie keine Vorgängergeneration - das den Weg an die absolute Spitze der Branche aber aus verschiedenen Gründen nicht geschafft hat und oft auch nicht schaffen wollte: das Trific in Hamburg etwa, das vor wenigen Tagen für immer schloss. Die Hafenmeisterei in Dresden oder das ebenfalls dort beheimatete Bean & Beluga von Stefan Hermann. In München bereits im vergangenen Jahr das Plaza Mayor, die Brasserie Schwabing oder das Avva.

Sie alle werden zerrieben in einer Branche, in der der Platz zwischen den absoluten, von Gourmet-Führern wie dem Guide Michelin mit zwei oder drei Sternen bewerteten, Spitzenbetrieben am oberen und einer immer stärker wachsenden Systemgastronomie am unteren Ende der Qualitätsskala immer enger wird.

Frank Oehler (rechts) und sein damaliger Kollege Markus Eberhardinger in der Küche der Speisemeisterei im Dezember 2014. Quelle: imago images

Nun ist das Restaurant-Sterben so alt wie das Gastgewerbe selbst. Bisher aber erwischte es meist die Betriebe von Quereinsteigern, Bierpanschern und Fritteusen-Freaks. Schließlich gibt es ein gewisses Milieu in Deutschland, in dem man sich seit einigen Jahren eine Geschichte erzählt: Es ist die Geschichte von der spät, aber dann um so furioser erwachten Feinschmecker-Nation Deutschland. In den Fußstapfen großer Pioniere wie Eckart Witzigmann oder Harald Wohlfahrt sei eine junge Garde an Köchen herangewachsen, die die deutsche Gastronomie auf Augenhöhe mit den großen Klassikern in Frankreich, Italien oder Japan gebracht hätten: Ein Tim Raue aus Berlin etwa, ein Christian Jürgens am Tegernsee, aber auch die Vorreiter einer neuen deutschen Regionalküche wie Micha Schäfer vom Nobelhart & Schmutzig in Berlin oder Felix Schneider aus dem Sosein bei Nürnberg. Das deutsche Küchenwunder eben.

Nur: Mit dem Angebot wächst der Markt der geneigten Genießer nicht in gleichem Maße. Fachkräfte fehlen in der notorisch von schlechten Arbeitsbedingungen geplagten Branche, die Politik hat mit dem Mindestlohn einen echten Engpass für den Kulinarik-Kapitalismus geschafften. Und die Deutschen geben in diesem Jahr mit etwa 49 Milliarden Euro (plus zwei Milliarden im Vergleich zum Vorjahr) zwar so viel für Speis und Trank außer Haus aus wie nie. Doch das Wachstum findet nicht in tollen Restaurants statt, sondern bei Bäckern, Supermarkt- und Systemgastronomen.

Rechnen und verrechnen

Es ist der 30. April dieses Jahres, man tanzt in den Mai, als Schmid und die Seinen in der Speisemeisterei nochmal richtig auffahren. Unter alten Bäumen und schmucken Sonnenschirmen knuspert feines Rindfleisch aus der Region auf dem Grill, klimpern Champagnergläser, flanieren Kellner mit kleinen Happen von der Auster, vom grünen Spargel oder der schwäbischen Forelle, durch eine schick gekleidete Schar Stuttgarter Feinschmecker. Noch einmal flackert er auf, der schöne Schein der Speisemeisterei, bevor Schmid in den Folgetagen seinem Kompagnon, dem durch diverse TV-Shows bekannten Sternekoch Frank Oehler, die brisante Lage eröffnet. Man beschließt Insolvenz anzumelden.

„Wir waren in den vergangenen Jahren stellenweise immer wieder am Limit, und haben uns jedes Mal ins letzte Quartal gerettet, das dann das Jahr wieder ausgeglichen hat“, sagt Geschäftsführer Schmid. Doch dann kam das erste Quartal. „Das erste Quartal war schon immer schwierig. Frank Oehler und ich haben da oft eigene Mittel investiert, um über diese Zeit zu kommen.“ Diesmal reichte es nicht. Bevor unter der wirtschaftlichen Situation auch die kulinarische leidet, melden die Gesellschafter Insolvenz an.

Für Insolvenzverwalter Grub ist das ein neues Phänomen. „Einen Sternebetrieb haben wir noch nie betreut“, sagt er. Grub lernt in den folgenden Wochen so einiges über das Phänomen der ambitionierten Gastronomie in Deutschland. Die lässt sich in ökonomischen Dimensionen in etwa so beschreiben: Wer es als Koch in den gängigen Gastroführern, wovon das Sternesystem des Guide Michelin das bedeutendste ist, kulinarisch zu etwas bringen will, nimmt ökonomisch den Tod auf Raten in Kauf. Das Verhältnis von Personalkosten zu Umsatz, der Wareneinsatz, die großen Weinlager – all das lässt sich kaum wirtschaftlich betreiben.

Die zehn besten Restaurants in Deutschland
Der Mineralwasserhersteller Gerolsteiner hat aus den Bewertungen der sieben großen bundesweiten Restaurantführer, darunter Michelin und Gault&Millau, die Sieger ermittelt Quelle: dpa
Platz 10: Haerlin im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Hamburg Quelle: dpa
Platz 9: Tantris, München Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 8: GästeHaus Klaus Erfort, Saarbrücken Quelle: imago images
Platz 7: La vie, Osnabrück Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 6: Gourmetrestaurant Überfahrt, Rottach-Egern Quelle: dpa
Platz 5: Victor's Fine Dining by Christian Bau, Perl Quelle: dpa

In der Speisemeisterei etwa servierten sie mitunter acht Gänge á là Carte: Schnell muss die Küche da bis zu 30 unterschiedliche Gerichte koordinieren. Bei durchschnittlich 40 bis 60 Gästen pro Tag mit im Durchschnitt fünf Gängen zuzüglich Brotgang, dem Gruß aus der Küche, dem Gruß des Patissiers, kommen 360 bis 540 Teller pro Abend zusammen, manchmal auch 600. Viele Sterne-Betriebe machen Verlust, werden durch Mäzene oder angeschlossene Hotels querfinanziert. Wer es richtig gut macht, erwirtschaftet Renditen von ein, zwei Prozent.

Dennoch will das Duo Schmid und Oehler hoch hinaus, als sie im Jahr 2008 die Speisemeisterei übernehmen. Bereits unter dem Vorgänger war das Restaurant 17 Jahre lang mit zwei Sternen ausgezeichnet. In dem Segment soll die Zukunft liegen. Und in der Tat geht es auch gut los. Oehler inspiriert als eine Art Patron die Küche, schafft es, den Laden auf Sterne-Niveau zu halten. Die Stuttgarter Schickeria lässt es sich gerne dort schmecken. Es sind die goldenen Jahre eines Geschäftsmodells, das sich absehbar dem Krisenstadium nähert.

Denn wie in der Branche insgesamt, verschärft sich auch in der Speisemeisterei das Problem mit dem Personal. Markante Köpfe, die als Küchenchef und Gastgeber funktionieren, sind  unerlässlich. Gleichzeitig brauchen sie ein Heer an Zuarbeiterinnen und Zuarbeitern, die aber bei mäßig attraktiven Arbeitszeiten traditionell schlecht bezahlt sind. In der Speisemeisterei bemerken sie diesen Engpass zum ersten Mal 2013/2014, als ein Küchenchef abhandenkommt. Ein neuer wird gefunden, scheidet schnell wieder aus. Bis ein Nachfolger an die Spitze geführt ist, vergeht Zeit. Gleichzeitig geht im Service der prägende Kopf verloren, finden sich immer schwerer Leute, die die Arbeit machen wollen.

Seit 2015 mäandert der Service ohne Führung, mit ständig wechselndem Personal durch den Alltag. Mal fehlt ein Gastgeber, mal verweigert die Sommelière einem wichtigen Geschäftskunden den gewünschten spanischen Wein. Und das in einem Segment, in dem der Gast pro Kopf gut 200 Euro bezahlt und entsprechend hohe Ansprüche hat. Patron Oehler kann durch seine TV-Auftritte überhaupt nicht so viel Gäste neu anlocken, wie sie der Service in jener Zeit vergrault. Die meisten Gäste kommen einmal – und nie wieder. „Wir haben es hier nicht mehr geschafft, die wirklich exzellente Küche stillvoll zum Gast zu bringen. Dieses stilvolle und wertschätzende aber ist in unserem Segment eminent wichtig“, sagt Schmid heute.

Schließlich schlägt auch noch die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu. Ihr Mindestlohngesetz verlangt auch von Gastronomen, die Zeit ihrer Leute genau zu erfassen. Ein echtes Problem in der traditionell auf hemmungslosem Überstundenaufbau basierenden Spitzen-Gastronomie. „Wir haben es nicht geschafft, das Gesetz zum Mindestlohn so für uns umzusetzen, dass danach eine ökonomische Perspektive da war“, sagt Schmid. Wer in diesen Monaten mit Gastronomen über ihre wirtschaftliche Lage spricht, hört keinen Namen so häufig wie Nahles. Selbst absolute Spitzenbetriebe wie die Schwarzwaldstube in Baiersbronn haben ihr Angebot ausgedünnt, weil es unter den neuen Arbeitszeitenanforderungen nicht mehr ökonomisch zu betreiben war.

Der verschlafene Kulturwandel

Es gibt diese Momente, in denen Schmid, ein lockerer Typ mit zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, das Ganze selbst nicht fassen kann. Man hätte, denkt er dann, eine einzige Veranstaltung mehr gebraucht im vergangenen Jahr, dann wäre es gelaufen. Oder, eine andere Hoffnungsrechnung: „Wenn wir aus jedem Gast 1,50 Euro mehr Erlös erzielt hätten, hätten wir es ebenfalls geschafft.“ Denn am Ende des Geschäftsjahres 2017 standen bei 1,5 Millionen Euro Umsatz der Speisemeisterei gerade einmal 40 000 Euro Verlust. Das wäre in vielen Branchen nicht wirklich ein Grund für den Gang zum Insolvenzrichter. Dass es dies für einen renommierten Spitzenbetrieb in der Gastronomie ist, sagt noch etwas anderes aus: Nicht nur Politik und Gesetz setzen der Gastronomie zu. Es ist auch der gesellschaftliche und kulturelle Wandel der Branche. Selbst kleine Umsatzsprünge sind kaum noch machbar, weil die Nachfrage stagniert, während das Angebot steigt.

Da wären etwa Unternehmenskunden, die lange Zeit vor allem dem Mittagsgeschäft in der gehobenen Gastronomie das Überleben sicherten. „Sie haben heute in allen großen Unternehmen eigentlich Compliance-Richtlinien, wonach Sie Geschäftspartner auf keinen Fall in ein Sterne-Restaurant einladen dürften“, sagt Speisemeister-Insolvenzverwalter Grub. In der Speisemeisterei brach dieses Geschäft entsprechend nach und nach weg.

Aber auch der private Kunde wird schwieriger. Zwar steigen die Ausgaben für Außer-Haus-Essen in Deutschland Jahr für Jahr. Allerdings findet das Wachstum bei Systemgastronomen und Snack-Anbietern statt. Die Gastromarktforscher NPD ermittelten für 2017 insgesamt 260 Millionen Besuche mehr als noch in 2014. Allein die Hälfte des Zuwachses stammt aus dem Jahr 2017. Davon profitierten am meisten Bäckereien, Lieferdienste, Arbeits- und Ausbildungsplatzverpflegung sowie Supermärkte – sie stellen zusammen 56 Prozent der positiven Entwicklung. Dabei machen sie nur ein Drittel der Gesamtmarktbesuche aus.

Die wertvollsten Fast-Food-Ketten der Welt
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Domino's ist ein Pizza-Lieferservice, den es bereits seit den Sechzigerjahren gibt Quelle: AP
Käse im Rand, oder umso mehr obendrauf: Bei Pizza Hut wird nicht an Kalorien gespart. Quelle: AP
Frittierte Hähnchenschenkel aus dem Pappeimer - das ist seit Jahrzehnten das Erfolgsrezept von Colonal Sanders und seiner Hähnchenbraterei Quelle: REUTERS

Nach Zahlen des Kölner EHI-Retail-Institut erzielen Einzelhändler mit zusätzlich zur Standardware bereitgestellten Gaumenfreuden aller Art jährlich bereits fast 9,3 Milliarden Euro Umsatz. In den nächsten Jahren rechnen nach einer EHI-Umfrage zwei Drittel der Kaufleute mit stabilen, ein Drittel mit wachsenden Umsätzen in diesem Marktbereich. Gerade größere Lebensmittelgeschäfte entwickeln kulinarischen Ehrgeiz, stellen Köche ein, eröffnen Restaurant-Konkurrenz. Der Umsatz von klassischen Speiserestaurants stagnierte dagegen laut Bundesamt für Statistik zwischen 2015 und 2017 komplett.

Und während der eine Teil der Kundschaft gerne parallel zum Einkauf oder in der Mittagspause auswärts isst, lässt ein weiterer Teil sich das Essen am liebsten per Fahrradkurier aufs Sofa bringen. „Gerade im Sommer“, sagt die Betreiberin eines Düsseldorfer Restaurants der gehobenen Klasse, „müssen Sie sich etwas einfallen lassen, wie Sie ins Liefergeschäft einsteigen. Die Leute lassen sich die Sachen lieber auf den Balkon oder in den Stadtpark liefern, als auszugehen.“

Nur: Abgesehen davon, dass Lieferdienste an den ohnehin schon schmalen Margen der Restaurants bis zu 30 Prozent mitverdienen wollen – welcher ambitionierte Koch mag sein Arrangement schon in eine Pappbox verpacken und dann durch die halbe Stadt schaukeln lassen? Der besagte Düsseldorfer Laden bietet nun einen abgespeckten Teil seines Angebots für unterwegs an. Eine Lösung? „Ein Versuch“, sagt die Gastronomin.

Das alles wäre womöglich wirtschaftlich leichter zu vertragen, wenn nicht bei stagnierender Nachfrage das Angebot deutlich steigen würde: allein die Zahl der Sternerestaurants wuchs seit 2013 um 25 Prozent. Noch nie gab es in Deutschland so viele Restaurants, die mit einem Stern bewertet sind oder auf dem Niveau knapp unter einem Stern wirtschaften. Wenn gleichzeitig aber das Angebot an Ein-Sterne-Restaurants steigt und die Nachfrage stagniert, entwertet der Stern. Zumal der preisliche Unterschied zum absoluten Top-Segment im Zwei- und Dreisterne-Bereich dann doch nicht so groß ist, dass potenzielle Gäste nicht lieber gleich dorthin gehen.

Kosten senken, aber wie?

Michael Ellis, der bis vor kurzem mit dem Guide Michelin den wichtigsten Gastronomieführer verantwortete und für das Sterne-System in der Gastronomie zuständig war, sagte gerade der Fachzeitschrift Effilee: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Region mit tausend Restaurants, von denen 150 Sterne haben. Wenn es dann irgendwann zweitausend Restaurants gibt, gehen dreihundert Sterne in Ordnung. Das Verhältnis muss stimmen.“ Stimmt es aber nicht, wird zwangsläufig ein Stern weniger Wert, ohne dass aber der Aufwand für die Gastronomie sinkt. „Es gibt“, sagt Elliott, „manchmal ein Ungleichgewicht zwischen der gastronomischen Kultur in den Restaurants und in der Gesamtgesellschaft. In den USA ist es genau umgekehrt: Viele Leute interessieren sich für gutes Essen, aber es gibt zu wenig gute Restaurants.“

Auch Speisemeister Schmid sagt: Es gebe so viele Sternerestaurants, dass der Gast zusätzlich nach immer neuen Erlebnissen neben dem Essen sucht. Gleichzeitig habe er den Anspruch des Sterns aber nicht aufgeben wollen: „Aus meiner Sicht ist er jedoch für den Standort hier bei dem aktuellen Konzept zwingend erforderlich, da wir durch die Nähe zur Messe und zum Flughafen immer wieder von internationalen Gästen und Gesellschaften profitieren, die sich einzig auf das Qualitätsmerkmal Stern verlassen.“ Nur, wie das bezahlen?

Bei der Speisemeisterei flossen 28 Prozent in den Wareneinkauf, bis zu 52 Prozent ins Personal. Für Sternegastronomie übliche Werte, Systemgastronomen kommen zusammen mit etwas über 30 Prozent aus. Da bleibt kaum Spielraum. Versucht haben sie es dennoch. Zum Teil, indem sie Köche Speisen servieren ließen, um im Service Ressourcen frei zu bekommen. Zum Teil, indem sie das Angebot reduzierten: „Nur“ noch 300 Weinpositionen auf der Karte statt 800, nur noch zwei Menüs mit vier bis acht Gängen zur Auswahl, statt wie vorher ein Vielfaches an Kombinationsmöglichkeiten. So sollte das Personal von mehr als 50 auf um die 30 reduziert, das ganze wieder ökonomisch attraktiv werden. „So hätten wir eigentlich auf Dauer acht Prozent Rendite erwirtschaften können.“

Allerdings hätten auch dafür gut 60 Gäste an einem Abend kommen müssen. Das aber ist im Bereich der mittleren Top-Gastronomie fast unmöglich an sechs oder sieben Tagen in der Woche. Selbst Billy Wagner, Gastgeber und mittlerweile schon fast legendärer Sommelier im Berliner Sterne-Restaurant Nobelhart & Schmutzig, das wie kein zweites deutsches Restaurant in den vergangenen Jahren wegen seines bedingungslosen Kampfes für eine regionale, originär deutsche Sterneküche gefeiert wurde, setzte dieser Tage einen Warnruf ab: „Nach drei Jahren“, sagt Billy Wagner der Fachpostille „Feinschmecker“, „hat auch uns die deutsche Realität eingeholt. Am Dienstag und Mittwoch bleiben gelegentlich Plätze frei.“ Ein Betrieb in dieser Größenordnung aber rechnet sich nur, wenn er jeden Tag fast ausverkauft ist. Wagner passt deshalb mittlerweile die Preise für das Menü an die Auslastung an, wer dienstags oder mittwochs kommt, speist günstiger.

Und die Speisemeisterei? Der gute Ruf jedenfalls ist noch nicht verblasst. Auch wenn es kommerziell ein Geschäft mit Fragezeichen sein mag, lockt das Prestige. Insolvenzverwalter Grub jedenfalls ist zuversichtlich, bis zum Ende des vorläufigen Insolvenzverfahrens am 30. Juni einen neuen Investor gefunden zu haben. Pizza und Pasta, so viel steht fest, wird der dort wohl nicht machen. „Die Speisemeisterei“, findet Grub, „ist ja ein Aushängeschild der Stuttgarter Gastronomie.“  Und Aushängeschilder wollen sich immer noch viele Gastro-Unternehmer halten. Trotz allem.

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