Restaurants Die Schattenseiten der Gourmet-Gastronomie

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Rechnen und verrechnen

Es ist der 30. April dieses Jahres, man tanzt in den Mai, als Schmid und die Seinen in der Speisemeisterei nochmal richtig auffahren. Unter alten Bäumen und schmucken Sonnenschirmen knuspert feines Rindfleisch aus der Region auf dem Grill, klimpern Champagnergläser, flanieren Kellner mit kleinen Happen von der Auster, vom grünen Spargel oder der schwäbischen Forelle, durch eine schick gekleidete Schar Stuttgarter Feinschmecker. Noch einmal flackert er auf, der schöne Schein der Speisemeisterei, bevor Schmid in den Folgetagen seinem Kompagnon, dem durch diverse TV-Shows bekannten Sternekoch Frank Oehler, die brisante Lage eröffnet. Man beschließt Insolvenz anzumelden.

„Wir waren in den vergangenen Jahren stellenweise immer wieder am Limit, und haben uns jedes Mal ins letzte Quartal gerettet, das dann das Jahr wieder ausgeglichen hat“, sagt Geschäftsführer Schmid. Doch dann kam das erste Quartal. „Das erste Quartal war schon immer schwierig. Frank Oehler und ich haben da oft eigene Mittel investiert, um über diese Zeit zu kommen.“ Diesmal reichte es nicht. Bevor unter der wirtschaftlichen Situation auch die kulinarische leidet, melden die Gesellschafter Insolvenz an.

Für Insolvenzverwalter Grub ist das ein neues Phänomen. „Einen Sternebetrieb haben wir noch nie betreut“, sagt er. Grub lernt in den folgenden Wochen so einiges über das Phänomen der ambitionierten Gastronomie in Deutschland. Die lässt sich in ökonomischen Dimensionen in etwa so beschreiben: Wer es als Koch in den gängigen Gastroführern, wovon das Sternesystem des Guide Michelin das bedeutendste ist, kulinarisch zu etwas bringen will, nimmt ökonomisch den Tod auf Raten in Kauf. Das Verhältnis von Personalkosten zu Umsatz, der Wareneinsatz, die großen Weinlager – all das lässt sich kaum wirtschaftlich betreiben.

Die zehn besten Restaurants in Deutschland
Der Mineralwasserhersteller Gerolsteiner hat aus den Bewertungen der sieben großen bundesweiten Restaurantführer, darunter Michelin und Gault&Millau, die Sieger ermittelt Quelle: dpa
Platz 10: Haerlin im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Hamburg Quelle: dpa
Platz 9: Tantris, München Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 8: GästeHaus Klaus Erfort, Saarbrücken Quelle: imago images
Platz 7: La vie, Osnabrück Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 6: Gourmetrestaurant Überfahrt, Rottach-Egern Quelle: dpa
Platz 5: Victor's Fine Dining by Christian Bau, Perl Quelle: dpa

In der Speisemeisterei etwa servierten sie mitunter acht Gänge á là Carte: Schnell muss die Küche da bis zu 30 unterschiedliche Gerichte koordinieren. Bei durchschnittlich 40 bis 60 Gästen pro Tag mit im Durchschnitt fünf Gängen zuzüglich Brotgang, dem Gruß aus der Küche, dem Gruß des Patissiers, kommen 360 bis 540 Teller pro Abend zusammen, manchmal auch 600. Viele Sterne-Betriebe machen Verlust, werden durch Mäzene oder angeschlossene Hotels querfinanziert. Wer es richtig gut macht, erwirtschaftet Renditen von ein, zwei Prozent.

Dennoch will das Duo Schmid und Oehler hoch hinaus, als sie im Jahr 2008 die Speisemeisterei übernehmen. Bereits unter dem Vorgänger war das Restaurant 17 Jahre lang mit zwei Sternen ausgezeichnet. In dem Segment soll die Zukunft liegen. Und in der Tat geht es auch gut los. Oehler inspiriert als eine Art Patron die Küche, schafft es, den Laden auf Sterne-Niveau zu halten. Die Stuttgarter Schickeria lässt es sich gerne dort schmecken. Es sind die goldenen Jahre eines Geschäftsmodells, das sich absehbar dem Krisenstadium nähert.

Denn wie in der Branche insgesamt, verschärft sich auch in der Speisemeisterei das Problem mit dem Personal. Markante Köpfe, die als Küchenchef und Gastgeber funktionieren, sind  unerlässlich. Gleichzeitig brauchen sie ein Heer an Zuarbeiterinnen und Zuarbeitern, die aber bei mäßig attraktiven Arbeitszeiten traditionell schlecht bezahlt sind. In der Speisemeisterei bemerken sie diesen Engpass zum ersten Mal 2013/2014, als ein Küchenchef abhandenkommt. Ein neuer wird gefunden, scheidet schnell wieder aus. Bis ein Nachfolger an die Spitze geführt ist, vergeht Zeit. Gleichzeitig geht im Service der prägende Kopf verloren, finden sich immer schwerer Leute, die die Arbeit machen wollen.

Seit 2015 mäandert der Service ohne Führung, mit ständig wechselndem Personal durch den Alltag. Mal fehlt ein Gastgeber, mal verweigert die Sommelière einem wichtigen Geschäftskunden den gewünschten spanischen Wein. Und das in einem Segment, in dem der Gast pro Kopf gut 200 Euro bezahlt und entsprechend hohe Ansprüche hat. Patron Oehler kann durch seine TV-Auftritte überhaupt nicht so viel Gäste neu anlocken, wie sie der Service in jener Zeit vergrault. Die meisten Gäste kommen einmal – und nie wieder. „Wir haben es hier nicht mehr geschafft, die wirklich exzellente Küche stillvoll zum Gast zu bringen. Dieses stilvolle und wertschätzende aber ist in unserem Segment eminent wichtig“, sagt Schmid heute.

Schließlich schlägt auch noch die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu. Ihr Mindestlohngesetz verlangt auch von Gastronomen, die Zeit ihrer Leute genau zu erfassen. Ein echtes Problem in der traditionell auf hemmungslosem Überstundenaufbau basierenden Spitzen-Gastronomie. „Wir haben es nicht geschafft, das Gesetz zum Mindestlohn so für uns umzusetzen, dass danach eine ökonomische Perspektive da war“, sagt Schmid. Wer in diesen Monaten mit Gastronomen über ihre wirtschaftliche Lage spricht, hört keinen Namen so häufig wie Nahles. Selbst absolute Spitzenbetriebe wie die Schwarzwaldstube in Baiersbronn haben ihr Angebot ausgedünnt, weil es unter den neuen Arbeitszeitenanforderungen nicht mehr ökonomisch zu betreiben war.

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