Gespräche mit dem wohl bekanntesten lebenden Spitzenkoch der Welt ähneln Schulunterricht. Ferran Adria zierte die Titelblätter zahlloser internationaler Magazine, er nahm nach der Schließung des El Bulli als Künstler bei der Documenta in Kassel teil. Immer mit dabei: die Konfrontation. Mal fragt er seine Gegenüber, was eine Tomate sei. Oder wer das Essen gekocht habe, das man gerade gemeinsam vor sich habe. Ratlose Blicke und keine richtige Antwort seiner Gesprächspartner – das ist Standard in einer Unterhaltung mit einem Mann, dessen niemals endende Suche nach Innovationen ihn zum einflussreichsten Koch der vergangenen Jahrzehnte machte.
Nun tourt Adria durch die Welt, um sein jüngstes Projekt zu bewerben. Eine Kooperation mit Amazon Prime Video. 15 Folgen einer Dokumentarserie stellt die Bewegtbildabteilung des Onlinehändlers am 2. Juli ins Programm – „El Bulli: Die Geschichte eines Traums“. 12 Folgen wurden bereits veröffentlicht, drei sind neu zum Start entstanden. Das Material mit mehr als 200 Beteiligten umfasst 13 Jahre des Schaffens von Adria.
Wer Adria folgen will, muss Fragen beantworten – künftig wolle er keine Interviews mehr geben, die weniger als zwei Stunden dauerten und Pflicht für das Gegenüber sei es, sich sämtliche Folgen angesehen zu haben. Adria hat eine Vision und eine Nachricht – die will er, so sagt er, mit dieser Kooperation in die Welt bringen – in 200 Ländern wird die Serie zu sehen sein.
Mit welchen Methoden Adrià unser Verständnis vom Essen revolutionierte
Die Zerlegung von Zutaten in Einzelteile, um bestimmte Geschmacksrichtungen mit einer anderen Konsistenz zu servieren, bildet eine der wesentlichen Grundlagen des Adrià’schen Küchenlateins. Einzelne Produkte wie zum Beispiel Pinienkerne servierte Adrià als Gelee, Eis und Körner.
Oft ahmt Adrià auch die Originalform einer Zutat nach, um den Esser zu verwirren – wie bei den vermeintlich grünen Oliven in Eiform, die zwar nach Oliven schmecken, aber aus Gelee hergestellt wurden.
Adrià nutzt für seine Entwicklungen neben technischen Geräten auch Zusatzstoffe wie die Geliermittel Johannisbrotkernmehl oder Agar Agar, die sonst in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden. Neben besonders starken Mixern setzte Adrià auch Wasserbäder mit kontrollierter Temperatur ein, in die er vakuumierte Zutaten von Gemüse bis Fleisch garte.
Zu Adriàs wichtigsten Innovationen gehören die Aufbereitung von flüssigen oder cremigen Speisen zu Schäumen, den sogenannten Espumas. Adrià erzeugt mithilfe von Sahnespendern mit Lachgaskapseln Schäume aus verschiedensten Zutaten – vom Spargel über die Zitrone bis zur Milch.
Aus Flüssigkeiten formte er mithilfe von verschiedenen Verdickungsmitteln Objekte, die wiederum den Eigengeschmack des Ausgangsproduktes besaßen – etwa Bandnudeln, die durchsichtig sind und nach Carbonara schmecken. Oder ein Teller mit acht kurzen Geleequadern in verschiedenen Farben und dem Aroma von gegrilltem Gemüse. Das Raucharoma wird durch Öl beigefügt, in dem Kohle zwölf Stunden einweichte.
Flüssiger Stickstoff hat eine Temperatur von etwa minus 200 Grad Celsius. Adrià entwickelte Rezepte, bei denen alle Zutaten von Früchten und Gemüse oder Milch für kurze Zeit in Behälter aus flüssigem Stickstoff getaucht werden. Dabei schockfrosten die vormals flüssigen oder weichen Gegenstände und können nach kurzer Zeit verzehrt werden. Der Umgang mit flüssigem Stickstoff ist gefährlich, aber ermöglicht spektakuläre Gerichte.
WirtschaftsWoche Online: Herr Adria, auf dem Weg zum Hotel haben Sie an einem Bücherladen gehalten und ein Foto einer im Schaufenster ausgestellten Buches über Gutenberg gemacht. Weil Buchdruck eine der weichenstellenden Erfindungen der Menschheit war?
Ferran Adria: Zunächst mal wollte ich tatsächlich nur festhalten, was an maximaler Dicke bei Büchern möglich ist, da war das ein gutes Beispiel. Wir produzieren gerade 36 Bücher und wollen wissen, wie viele Seiten ein Buch haben darf. Wir wollen bis zu 700 Seiten machen und das muss halten. Aber es ist natürlich richtig – auf einer metaphorischen Ebene ist im El Bulli ein Prozess passiert, wie er vielleicht bei Gutenberg auch dem Buchdruck voranging und eine Innovation zur Folge hatte.
Es ist in der neuen Serie zu sehen, in anderen Dokumentationen und lässt sich an der peniblen Auflistung aller jemals produzierten Gerichte ablesen: Sie gehen sehr systematisch vor. Ist Innovation etwas, das man erzwingen kann?
Diese gefilmten Dokumentationen wurden auch zu diesem Zweck für uns selbst gemacht: Damit wir uns nicht kopieren. Kennen Sie irgendein weltweites Unternehmen, dass solche Dokumentationen über sein Vorgehen anfertigt?
Ferran Adria über...
„Das beste an deutscher Küche ist Sauerkraut. Das ist nicht lächerlich. Sie haben ein Produkt mit einem sehr eigenständigen Geschmack. Fermentation als Zubereitungsmethode ist eine Besonderheit, die sehr wichtig ist.“
„Ich spreche nie über den besten Koch der Welt oder den kreativsten. Es geht um den einflussreichsten. Wer hinterlässt so viele Spuren, dass seine Innovationen von vielen Köchen aufgegriffen wird? Als ich in den 80er Jahren begonnen habe zu kochen, waren alle wichtigen Kochbücher von Franzosen – bis auf drei. Neben dem Schweizer Fredy Girardet war es Eckart Witzigmann, der erst im Tantris und dann später in der Aubergine maßgebliche Dinge geschaffen hat. Die Köche von heute haben einen anderen Kosmos – das Internet und die Chance, jederzeit sich Informationen aus aller Welt zu beschaffen.“
„Die Liste ist einerseits wichtig aber auch kritikwürdig – ich sage das, obwohl wir fünf Mal an Platz 1 der „50 Best Restaurants“ standen. Sie hat das Augenmerk der Haute Cuisine auf die ganze Welt gerichtet. Das liegt daran, dass die Jurys nach Gebieten aufgeteilt sind und damit Länder bewertet werden. Das hilft der Spitzengastronomie sehr, sie hat Köchen in Peru oder den Färoer Inseln gezeigt, dass sie es schaffen können. Die besten Restaurants der Welt sind aber nicht automatisch die einflussreichsten – und andersrum. Es gibt viel an dem Verfahren zu kritisieren auch an der Gala, die so langweilig ist wie die Oscar's, aber unterm Strich ist es gut, dass es diese Liste gibt. Sie kann jedoch besser werden.“
„Wenn sie einen Teller mit einem Gericht serviert bekommen, schneiden sie das Stück Fleisch vielleicht etwas dicker als ihr Tischnachbar. Der eine beginnt mit der Beilage, einer tunkt in der Sauce – jeder hat mit jedem Bissen ein anderes Erlebnis im Mund. Wer ist der Koch? Der Mensch, der in der Küche alles zubereitet hat oder sie selbst, die ihre Wahrnehmung beeinflussen? Im El Bulli haben wir zu Beginn oft auch provoziert. Es gab einen Teller mit Kräutern im Kreis wie Zahlen auf einem Zifferblatt einer Uhr. Und wir haben keine Reihenfolge vorgegeben – und eine Zutat war sehr scharf. Uns ging es im El Bulli nie darum, dass die Menschen einen schönen Abend verbringen, sondern wir stellten Dinge in Frage.“
Auf Anhieb nicht.
Es gibt sehr viele Dokumentationen, die sehr emotional sind, die von Unternehmensgründungen erzählen. Sie werden welche über Google oder Apple finden. Sie werden Personen sehen, es gibt Zeitfolgen. Aber es gibt wenig Serien über Innovationen. Es gibt viele falsche Vorstellungen von Innovation.
(Adria dreht sich zur Seite, wendet sich an sein Team. 20 Minuten habe man noch. Adria zückt einen Stift und zeichnet rasch auf einem Blatt etwas auf.)
Ich erkläre Ihnen meine Vision von Innovation. (Er malt verschiedene Kreise) Es gibt Säulen, auf denen Innovation beruht. Die eine ist die Qualität. Eine andere ist die Effizienz. Sie müssen in einem Unternehmen zu Beginn effizient sein, wenn sie wenig Geld haben. Und Geduld haben. Wir haben im El Bulli von 1984 bis 1998 quasi kein Geld verdient und dennoch uns immer weiter entwickelt, weiter die Innovationen vorangetrieben. Gleichzeitig entwickelt sich die Gesellschaft immer weiter. Nehmen wir ein einfaches Beispiel.