Statussymbole Kennerschaft ist das neue Maß der Dinge

Wer zur Status-Avantgarde gehören will, definiert sich über ästhetische Codes: über Stil und kultivierten Konsum. Quelle: Gazelle

Wer Klasse zeigen will, darf nicht mehr protzen – kleine Dinge haben Wirkung, ob wurmstichige Bioäpfel oder ein altes Gazellerad. Und wenn viel Geld ausgegeben wird, dann bitte mit größtmöglicher Diskrepanz zum Nutzwert.

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Vielleicht war das iPhone das letzte große Statussymbol. Ein Demonstrationsobjekt des kollektiven Begehrens, des unbedingten Haben- und Zeigen-Wollens. Der Philosoph und Managerberater Jürgen Werner erinnert sich jedenfalls gut daran, welches Aufsehen man machen konnte, vor zehn Jahren, wenn man das am ersten Verkaufstag erworbene Apple-Produkt präsentierte. Gerade in Unternehmenskreisen: Man gehörte zur „Avantgarde“, durfte sich im Gefühl sonnen, „als Erster die Schwelle zu einer neuen Zeit“ überschritten zu haben. „Jeder wollte das Ding in die Hand nehmen“, sagt Werner, „jeder brauchte keine zwei Sekunden, um zu wissen: Das muss ich auch haben.“

Und heute? Ist es nur eine Frage der Zeit, wann das iPhone das Schicksal anderer Statusgüter ereilt. Das der Flachbildschirme etwa, die schon als vulgär gelten. Oder der PS-starken Imponierautos, auf die Jüngere nur noch mit Achselzucken reagieren. „Statussymbole“, so Jürgen Werner, „haben etwas Tragisches, manchmal auch Tragikomisches, weil sie überstrapaziert werden: Sie sollen von allen anerkannt werden und zugleich den Unterschied herausstreichen, das Individuelle betonen. Daran können sie heute nur scheitern.“ Soll das heißen, die Statussymbole sind tot? Ist ein Nachruf fällig? Keineswegs. Statussymbole, sagen Soziologen, wird es immer geben, solange der Wettbewerb um Anerkennung währt und wir uns gegenseitig beobachten und einsortieren.

Menschen sind geborene Selbstdarsteller, sagt Gerhard Schulze, der Autor der „Erlebnisgesellschaft“, sie machen das Leben zur Bühne, wollen zeigen, wer sie sind (oder gerne wären) – und mit wem sie lieber nichts zu tun haben möchten. Nicht die Statussymbole, so Schulze, seien verschwunden, „wohl aber ihre gesellschaftliche Reichweite“: Wir haben es „mit einer Partikularisierung der Symbolwelt zu tun“, mit einer Auffächerung in separate Milieus der Statusinszenierung: Bayreuth-Pilger und Regatta-Freunde, Hipster und Piercing-Fans kultivieren ihren speziellen Binnen-Code, bei dem es darauf ankommt, sich selbst zu beeindrucken.

Vor allem in den Traditionsmilieus lebt das alte Statusdenken fort, etwa in den Vorstandsetagen der Banken, wo man einander am Maßanzug erkennt (durchstochene Knopflöcher an den Jackettärmeln), auf Sylt, wo die Snob-Hamburgerin noch immer die dunkelgrüne Barbourjacke trägt (mit Logobrosche am Kordkragen links, damit jeder sieht, dass das Teil echt ist) – oder im „Closed shop“ der Megareichen, die ihre millionenschwere Kunstsammlung präsentieren als neoaristokratisches Superstatussymbol der Macht. In den breiten „Komfortzonen“ der Gesellschaft hingegen pflegt man das Understatement als diskretestes Distinktionsmerkmal. Oder man spielt mit den Statussymbolen, unterläuft sie „ironisch“, übertreibt sie, parodiert sie postmodern, wie es die Gebildeten unter ihren Verächtern tun.

Wenn es – wieder – eine tonangebende, stilprägende Schicht gibt im Umgang mit den „feinen Unterschieden“, dann ist es die neue akademische Mittelklasse, die mittlerweile das obere Drittel der Gesellschaft ausmacht. Sie definiert sich vor allem über ästhetische Codes: über Geschmack, Stilsicherheit und kultivierten Konsum. Es geht ihr nicht primär um die Dreieinigkeit von Haus, Auto und hohem Einkommen, sondern um Lebensqualität. Sie ist nicht bestrebt, Kaufkraft zu demonstrieren, sondern Kennerschaft zu beweisen.

Der an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder lehrende Kultursoziologe Andreas Reckwitz hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ deren Porträt gezeichnet, das Bild einer Klasse von begabten Nonkonformisten, die um Anderssein bemüht sind, um es mit anderen aus ihrer Peergroup zu teilen. Vor allem Design und Produktimage werden wichtig, wenn die Biografie zum Stilprojekt avanciert: Man sucht sein Heil in der Ausgestaltung seiner Existenz mit besonderen, unverwechselbaren Dingen und Erlebnissen. Weshalb man bei der Abendeinladung vom Besuch bei einem jungen, genialischen Moselwinzer schwärmt oder von der Vintage-Fotografie aus den Dreißigerjahren, die man in einer kleinen, feinen Berliner Galerie erworben hat.

Im „Modus der Singularisierung“, so Reckwitz, wird das Leben „nicht einfach gelebt“, nein, es wird komponiert und „kuratiert“: Das kreative Subjekt stellt seinen Konsum aus Versatzstücken virtuos zusammen, von der Garderobe bis zum nächsten Reiseziel. Man „kauft“ sich nicht „glücklich“, sondern wählt Dinge aus, die einen „kulturellen Mehrwert“ haben, gibt sich antikonventionell, sucht nach Konsum-Arrangements, die eine persönliche Handschrift verraten.

Nichts reicht an den statussymbolischen Wert zeitgenössischer Kunst heran

Daher das Spiel mit Stilbrechungen: So wird im Wohnzimmer der Bauhausklassiker vor Sichtbeton oder nackte Ziegel gestellt (Tapeten nur handbemalt) und mit dem Torso einer Maske kombiniert, die man als Souvenir von einer Neuguinea-Reise mitgebracht hat (bloß kein Massentourismus). Am Wochenende wechselt das Kickboxtraining mit dem Achtsamkeits-Kurs. Und im Kurzurlaub in Kapstadt steht neben dem Besuch des Zeitz Museum of Contemporary Art Africa eine Township-Tour auf dem Sightseeing-Programm. Eine Konsumstrategie, die sich doppelt auszahlt: nach „innen“ für den Konsumenten, der sich bereichert fühlt, nach „außen“ für Freunde und Bekannte (auch die in den sozialen Netzwerken), bei denen der Konsumvirtuose lässig punktet und lächelnd die „Was du alles machst“-Blicke einheimst (gern in Form von Foto-Postings, die ihn beim Rafting in den Rocky Mountains zeigen).

Dabei müssen die Konsumdinge der neubürgerlichen Mittelklasse nicht einzigartig sein oder teuer, sondern originell inszeniert. Dann hat das schräge Vintage-Stück vom Flohmarkt auf dem Jan-Kath-Teppich Platz, und die wurmstichigen Bioäpfel vom Odenwaldbauern ruhen geschmackvoll auf der Siematic-Arbeitsplatte aus Schiefer. Ausgesuchte, meist luxuriöse Konsumgüter, die der Statusskepsis der neuen Mittelklasse nicht widersprechen. Sie pflegt, wie Reckwitz sagt, einen „materialistisch grundierten Postmaterialismus“, der beträchtliche Statusinvestitionen erfordert: Man schätzt Einfachheit, egal, was es kostet, setzt seinen Ehrgeiz in Erlebnisse und Erfahrungen auch jenseits von Besitz. Kurz, man sucht kulturelles statt materielles Kapital, möchte zur Wissens- statt zur Geldelite gehören.

„Das Begehren nach Statusanerkennung verlagert sich auf die immaterielle Seite“, sagt der Medientheoretiker Norbert Bolz. Weshalb man den Luxus des 21. Jahrhunderts „auf der Ebene des Zerebralkonsums“ suchen müsse, wo sich der Akademiker ohnehin am wohlsten fühlt. Dazu passen Umfragen von Allensbach, nach denen Menschen außer für die Einrichtung ihrer Wohnung vor allem für Ernährung und Reisen Geld ausgeben und bekunden, dass ihnen Dinge wichtig sind, die für Geld nicht zu haben sind: Zeit, Fitness, schöne Erlebnisse mit Freunden. Im postmodernen Statuskonsum verschränken sich materielle mit immateriellen Wünschen und Idealen. Deshalb werden die Dinge über ihren Gebrauchswert hinaus mit Erlebnissen, Gefühlen und Werten aufgeladen.

Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hat das an vielen Beispielen demonstriert. Produkte zeigen, wie wir uns sehen und gesehen werden wollen: als cooler Siegertyp im schnittigen Cabrio oder als verantwortungsvoller Konsument, der auf Bioprodukte schwört und mit dem Fahrrad, am besten einer Gazelle mit Brooks-Sattel, ins Büro fährt. Besonders deutlich sieht man das am Prestigewert der Kunst, die als Leitwährung Auto und Yacht beerbt hat. Es hat inzwischen einen „Hautgout“, so der Unternehmer und Kunstsammler Christian Boros, wenn man sich für 200.000 Euro ein Spaßmobil vor die Tür stellt. Statt ins Autohaus führt der Königsweg zum Status zur Art Basel. Weshalb geben reiche Sammler Millionen Euro aus für ein abstraktes Rakelbild von Gerhard Richter? Warum erzielt ein aufgeblasenes Kinderspielzeug von Jeff Koons Rekordergebnisse auf Auktionen?

Damit der Käufer, wie Ullrich sagt, „das Gefühl der eigenen Kaufkraft“ genießt und das Publikum über die „Diskrepanz zwischen Preis und Plattheit“ staunen kann. Der Distinktionswert von Kunst sei dann am höchsten, wenn kaum noch jemand versteht, weshalb so viel dafür gezahlt wird. Wenn sich der Sammler-Milliardär als Hasardeur inszeniert und sich über alle kapitalistischen Nützlichkeitskalküle hinwegsetzt. Ullrich spricht von „einer Art Potlatsch, einer Riesenverschwendung“: je aberwitziger ein Preis, desto größer der Statusgewinn.

Gewiss, für Reiche und Superreiche zählen auch andere schöne Dinge: die Villa in Halbhöhenlage, das Penthouse in London, die Oldtimer-Sammlung. Doch nichts in der aktuellen Konsumwelt reicht an den statussymbolischen Wert zeitgenössischer Kunst heran. Warum? Weil sie einen Besitz ermöglicht, der um etwas Immaterielles kreist: Exklusivität. Weil man mit ihr eine Kennerschaft inszenieren kann, die dem großen Publikum unzugänglich bleibt. Weil man sie vorzeigen kann, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, mit ihr zu protzen.

Denn das ist das größte Privileg der Kunst: Anders als die Yacht steht sie im Verdacht, etwas Höheres zu sein, gleichsam unmittelbar zu Gott. Sogar ein russischer Oligarch wie Roman Abramowitsch huldigt ihr. Zur Biennale in Venedig reist er schon mal mit einer seiner Yachten an. Mit an Bord, so erzählen sich Insider, ein voluminöser weiblicher Akt, Lucian Freuds „Schlafende Sozialarbeiterin“ – 2008 in New York ersteigert für 33,6 Millionen Dollar.

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